6554743-1948_15_09.jpg
Digital In Arbeit

Erin

Werbung
Werbung
Werbung

Am Rande von Europa, am Rande unsrer Welt, liegt, England vorgelagert, eine Insel: Irland. Es gibt viele, die ziemlich viel von England wüßten, es gibt aber ziemlich viele, die fast nichts von Irland wissen. Meist nur, daß es wieder Tonnen von Lebensmitteln an Österreich, oder sonst ein Hungergebiet Mitteleuropas, gespendet hat. Dieses warmherzige, hilfsbereite und zutiefst christliche Irland — ist die größere Südhälfte der Insel, ist die Republik Eire (sprich Ähra) .

Ich glaube nidit, daß es einen Europäer gibt, der Eire besucht hat und es vergessen konnte. Ich glaube nicht, daß es einen Europäer gibt, der in Eire gelebt und es nicht aus ganzem Herzen lieben gelernt hat. Und doch st Eire ein armes, bitterarmes Land, wenn man Reichtum nach Rohstoffen bemißt, nach öl, Kohle, Eisen, Baumwolle oder Getreide. Das Wunderbare an Eire, der Reichtum, aus dem es schenkt und spendet, das ist der Geist seiner Mensdien, ihr Wesen, ihr Sinn, gewachsen aus diesem linden Land am Golfstrom, erblüht aus St. Patricks Lehre, gespeist aus der mystischen Kraft einer längst eingeborenen katholischen Weltanschauung.

Zuerst, wenn war nadi Irland kommen, wir, aus Europas hastiger, geschäftiger Mitte, erscheint uns das Leben dort sträflich langsam, zurückgeblieben, unwirtschaftlich und was noch! Wir krempeln unsere Ärmel hoch und packen an und schaffen und schuften ... Die Iren, mit ihren lächelnden Augen, ihrem humorvollen Mund, sehen zu. Dann versuchen sie es auch. Kein Zweifel daran., daß sie eines der begabtesten Völker Europas sind, begabt für alles und jedes. Alsbald ist mitteleuropäischem Können und Schaffen das Wesen des Landes, das Wesen seiner Menschen aufgedrückt: diesen Menschen ist der Begriff der Ewigkeit natürlich im Blut. Der Kreislauf: Gott — Geschöpf — Gott ist das Gefüge der Welt, die allein sie kennen, und somit sind sie turmhoch erhaben über unsere neugierige, bahrende Hast, die mit dem Verstände mißt, wovon das verkümmerte Gefühl nichts mehr weiß; meilenweit entfernt von unserer Gier, der das Leben so kurz erscheint. Unmerklich, unaussprechlich stehen sie über dem ganzen irdischen Dasein, sehen und leben es von einer Art höheren Warte, erfüllt von einem Frohsinn, der alles durchblutet, mit einem Lächeln, das nicht aus den Augen schwindet, und einer wunderschönen, tiefechten Würde, die auch noch dem Bettler in Irland eigen ist. Damit gepaart ist eine Gastfreundschaft in des Wortes wahrster und schönster Bedeutung. Es ist vor allem der landfremd Zugereiste, der sie in ihren schönsten und echtesten Zügen erfährt, und der dafür sein Herz dort zurückläßt für immer.

Irlands greifbarer Reichtum sind seine Herden, von denen es uns schickt, was es sich selber abspart. Sie sind nicht groß, diese Herden, gemessen an denen Argentiniens oder denen Amerikas. Aber groß, gemessen am Bedarf dieses Volkes, das mit wenig so glücklich zu sein vermag. Ein Ire kann stunden',mg am Gatter lehnen, in die blaiue

„trin“ ist gälisdh für die Insel Irland, „Eire“ der gälisdie und offizielle Name des Staates.

Luft gucken und es zutiefst genießen, daß diese blaue Luft so lind ist, das Gras so smaragden, die Primeln so gelb und der Ginster so golden... So hat ihn Gott gemacht, und so und nidit anders mußte er ihn schaffen für dieses Land, über dem ein dicker grauer Himmel tief niederhängen kann durch Wodien, alles grau in grau malend. Wochen tropfender Wolken, tropfender Rinnen, tropfender Bäume und Sträucher, wo alles naß ist, naß, kalt, kahl und grau. Doch dann, Sonne in Irland! Dann ist der Himmel hoch, klar und blau und ohne Wolken oder mit den wundervollsten weißsiibernen Gebilden, die je ein Firmament besegelt haben. Dann ist das ganze Land erfüllt vom Jubelsang der Millionen Singvögel, dann leuchten die Blumen in Gärten und Parks, auf den Wiesen, in den Straßengräben, und Bäume und Sträucher blühn und duften. Alles auf irische Art: sachte, allmählich, glückselig, wie andächtig, wie ein Orgelton, der bebend wächst an Kraft. Als blätterte Gott selbst, langsam, ein Blatt im Buche seiner Schöpfung um. Dieser Schöpfung voller Güte, die im Land verstreute Seen in breiter Weite spiegeln und Seen, die wie blinder Blick, aus tiefen Schluchten himmelwärts schauen. Wenn in den hellen Sommernächten des Firmaments blaßgraue Kuppel sich wie benedeiend Uber das schlafende Land wölbt, wenn, wie zur Antwort, die alten Bäume leise rauschen, die breiten Ströme wie im Traume von der Schönheit murmeln, die des Tags sie widergespiegelt, wenn kleine Wasserfälle, wie vorsichtig sich Einhalt tuend, niedere Hänge abwärts hüpfen, wenn wiederkäuende Herden, auf den Weiden friedvoll ruhend, in das helle Dunkel lauschen, geht unser Herrgott durch dies Land. Ringsum das Meer! Es ist der Hintergrund, dessen milder Dunst das wundervolle Blühen erst möglich macht. So hat der Süden von Eire ganz subtropische Flora und im Westen säumen Fuchsienhecken die Straßen, die gepflegt und sauber, sich sorglos schlängelnd, von Ort zu On ziehen. Zwischen grünen Hecken oder zwischen Mauern ohne Mörtel, aus losegefügten Steinen, Mauern, die so alt sind wie die Menschensiedlungen selbst: soviel Steine gab es, daß die Menschen ihre Weiden damitzäunten, um sie wegzubringen. Steine und Moor, Eire hat Provinzen davon! Mit Menschen, die in weißgetünchten, strohgedeckten Hütten wohnen, und sich nicht nach der lauten Welt sehnen, die sie kaum kennen, kaum kennen wollen. Wozu? Ist Gott nicht überall und ist Gott nicht alles?

Dublin hat in Dunleary einen natürlichen, weiten, hellen Hafen zwischen Irischer See und Irischem Land. Einen Hafen ohne Lärm, ohne Hast. Wenn frühmorgens der Dampfer aus England auf seinen Platz an der Mole gleitet, plätschern verschlafen die Wellen, grüßt gegen einen blaßrosa Himmel ein offener Glockenturm wie steingewordene Spitze und dahinter der Dubliner Berge silbrige Silhouette. Irgendwo kräht ein Hahn, springt ein Motor an ... In Dublin gibt es, mitten in der steinernen Stadt, enge kleine Parks, mit herrlichen, liebevoll gepflanzten Blumen und alten Bäumen. An der Peripherie wundervolle „englische“ Parks. Die Existenzmöglichkeit eines Phönixpark, der einer der schönsten, weitesten und natürlichsten Parks in Europa ist, erscheint uns bedrängten Mitteleuropäern schon als ein Wun ' r. Es gleicht das ganze Eire, von Küste zu Küste, nidits so sehr als einem wundersamen Park des Friedens!

Dublin hat breite Straßen, weite Plätze, alte Palastbauten aus Englands Zeit. Eine berühmte alte Universität, eine der besten, die das britische Weltreich hatte, und eine irische Universität, die, vor einigen Jahren noch, nichts und niemand schien daneben; und die aber heute die steinerne Fassung ist jener reinen, ewigen Quelle, aus der die unaussprechliche, grenzenlose Liebe zu Irland, in nie endendem Kreislauf, durch das Herz des irischen Volkes strömt.

Seit den Tagen, da der hl. Patrick den christlichen Ewigkeitsbegriff als wie in einen lebendigen Schrein in das Wesen des Volkes von Erin senkte, bilden das Land und seine Menschen eine unabänderliche Einheit. Und jene Tage des hl, Patrick, sie stehen diesen Mensdien noch heute lebendig nahe. Näher und lebendiger als unsere Gegenwart mit Kriegen und Konferenzen, die ja doch sinn- und spurlos vergleiten wird in jener Ewigkeit, durch die, als Licht, che Lehre St. Patricks bestehen wird wie eh und je.

Eire ist kein Vaterland. Es ist ein mütterliches Land, seinen Kindern zärtlich hingegeben. Es beneidet kein anderes Land, noch haßt es ein anderes Land, seit es frei und unabhängig sein eignes Leben leben kann.

Ist es ein Wunder, daß Romane, die in Irland handeln, zu Hoheiiedern werden? Irland läßt sich nicht beschreiben. Läßt sich nur besingen. Mit lächelnden Augen und Tränen ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung