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ERINNERUNG SCHÖNER TAGE

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Zu Anfang der Neunzigerjahre lernte ich, der achtzehnjährige, im Altwiener Haus der Habsburgergasse, wo ich bei den Eltern meines Erziehers Doktor Oskar Walzel wohnte, den ungefähr ein Jahr älteren Hofmannsthal kennen, der klug auf die Pflege seines jungen Ruhmes bedacht, den Germanisten und Literarhistoriker Walzel besuchen kam. Man weiß, daß Hofmannsthal mit seinem ersten Werk „Gestern“, dem andere Einakter „Der Tod des Tizian“, „Kentaur und Weib“ folgten, in Wien und bald auch in Deutschland berühmt wurde, nicht weniger bei den Anhängern der traditionellen, wie bei denen der sogenannten modernen Literatur, von jenen wegen ihrer schön geglätteten, classischen Form als classioistisch angesprochen, bei diesen, weil sie Gedanken und Gefühle, die ihnen „modern“ und wie man damals sagte „fln de siecle“ dünkten, unter der schönen Hülle reizvoll geborgen fanden. „Sur des pensees nouveaux faisons des vers antiques“ dachten sich diese Bewunderer, zu denen auch ich gehörte.

Ich selbst hatte das Bewußtsein meiner dichterischen Wesenheit, und ihre Anerkennung durch Hofmannsthal, als er meine ersten Verse gehört hatte, trug, zusammen mit meiner Bewunderung für seine Dichtungen und für alle die Zauber seiner Persönlichkeit, nicht wenig dazu bei, aus unserer Beziehung in kurzer Zeit eine Freundschaft zu machen, die dann uns Beiden eine höchst bedeutende Sache, mir aber eine einzigartige geworden 'ist.

Man darf sie eine Jugendfreundschaft nennen, obwohl sie bis zu Hafmannsthals Tod angedauert hat, aber sie war, unseren Entwicklungsgesetzen nach, am concentriertesten in unseren Jugendjahren, während denen auch mein Bewußtsein, wie das seinige zeitlebens, um die Dichtkunst kreiste, und auch mein Leben größtenteils in Österreich verfloß, dem schönen Österreich um das noch schöne Wien des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, das im Großen und Kleinen soviele Spuren und Überreste der vorhergegangenen Zeiten aufwies. Hofmannsthal, der, keinem Kenner seiner Dichtung kann dies entgangen sein, so sehr um das Visuelle centriert war, dessen Inspiration so sehr dem Geschauten entquoll, war durch die Reize der Umwelt, die er einsog und die ihn formten, nicht weniger als durch die Rassenmischung in seinem Blute, ein echt österreichischer, ein altösterreichischer, ein großösterreichischer Dichter, und wie hätte er sich dessen nicht bewußt werden sollen?

In diesem Wien, das unmittelbar vor def Verwüstung durch die moderne Barbarei stand, wandelten wir jungen Dichter bei Tag und auch bei der zu jener Zeit gaserleuchteten Nacht. Noch war eine Reihe von Gassen und Plätzen unangetastet, der Am Hof, der Mehlmarkt, der Judenplatz, der um die alte Universität, die Freyung. Barock und Biedermeyer waren dort durch die Zeit zu einem harmonischen Ganzen fürs Auge verschmolzen, und jenseits der Ringstraße standen noch die alten, weiten und niedrigen, gelben Vorstadthäuser mit ihren vielen Höfen und Nischen mit Heiligenbildern. Einmal, als wir das Labyrinth eines solchen romantischen und malerischen Hauses bei Nacht durchstöbert hatten, kamen wir in eine kurze, dunkle und menschenleere Gasse. Ich erinnere mich, wie Hofmannsthal plötzlich stehen Wieb und sagte: „Von einer solchen Gasse würde Victor Hugo geschrieben haben: Ce sont les rues, oü les Alphonses aasassinent les Alles. Dieser Plural macht den Vers trivial. So soll ein Dichter nicht reden.“

Dieses Wien also liebten wir und wurden uns unserer Liebe um so schmerzlicher bewußt, als gegen die Jahrhundertwende die große Verwüstung begann und bald da und dort ein ehrwürdiges altes Haus abgerissen und durch einen häßlichen Neubau im überladenen Talmischmuck der letzten Jahrzehnte oder in der prätentiösen Kahlheit, die damals Mode geworden war, ersetzt und die schönen einheitlichen Veduten von gestern erbarmungslos zerstört wur- . den. Niemand, schien es, konnte oder mochte helfen, auch Kaiser Franz Joseph nicht, der nur, wenn er an so einem Neubau vorüberfuhr, mißbilligend mit den Achseln zuckte. Uns aber schmerzte diese Schändung unserer Hauptstadt, als solche empfanden wir sie, tief. Ich selber aber hatte das un-motivierbare, aber auch unwiderlegbare Gefühl, daß dieses Unheil Vorbote des Unterganges des alten, ruhmvollen Reiches, unseres Vaterlandes, war, den wir — und keiner von uns Beiden hat sich je ganz davon erholt — nicht lange darauf wirklich erleben mußten.

Bald, nachdem wir einander kennen gelernt hatten, begann Hofmannsthals Einjährigenjahr bei den schwarzen 6er-Dra-gonern. Es war eine große Anstrengung für ihn, der, zart gebaut und für körperliche Übungen nicht besonders veranlagt war. Aber dieser ehrwürdigen Armee, dieser Quintessenz von Österreich, anzugehören und wie er, eine alte Eidesformel citierend, halb im Scherz zu sagen pflegte: „Zu Wasser und zu Land, als seiner Majestät getreuester Kriegsknecht“ zu dienen, zuerst Einjährig-Freiwilliger, dann Offizier, gewährte ihm eine Befriedigung, die seine Müdigkeit überwand. Im Umgang mit den Mannschaften, wie auch mit den jungen Cavallerieoffizieren und überhaupt mit dem österreichischen Adel sog er sozusagen das Aroma der österreichischen Wesenheit ein, die seinen Werken entströmt. Ob unser großes Vaterland mit seinen Verheißungen und nur zum kleinen Teil erfüllten Möglichkeiten auferstehen wird, wie ein Widersacher des Reiches, der Präsident Masaryk, zum Kanzler Seipel sagte: „Glauben Sie mir, Excellenz, in irgend einer Form wird das alte Österreich doch wiederkommen“, wissen wir nicht. Dauert der Zustand der Bar-barisierung und Zerrüttung Europas an, welcher mit der Zertrümmerung der Großmacht in des Continents Mitte begann, so wird, wer noch Kulturgefühl besitzt, mehr noch als in Kleinösterreich, der Keimzelle und zugleich Reliquie des hingemordeten Staatengebildes, in den österreichischen Künstlern und insbesondere in den großen Dichtern Grill-parzer und Hofmannsthal dessen Wesenheit verkörpert finden. Die Umwelt, in der Hofmannsthal lebte, die Blutmischung, die in seinen Adern kreiste, ergaben das zarte und einzigartige schöne Lebenswerk, das schon allein den Begriff der österreichischen Nation, wie ich ihn im Jahre 1937 im Buche „Österreich im Prisma der Idee“, zum Zorn der Alldeutschen wissenschaftlich zu prägen und abzugrenzen versucht habe — seitdem ist er beinahe Gemeingut geworden —, rechtfertigen.

Hofmannsthal besaß die österreichische, die wienerische, Eigenschaft des vorsichtigen Ausweichens vor Ansichten und Überzeugungen, die den seinigen entgegengesetzt waren. Er verhielt sich behutsam und taktvoll. „Der Österreicher“, sagt Grillparzer, „denkt sich sein Teil und läßt die Andern reden“. So weit freilich ging bei ihm die Vorsicht nicht, wie bei Wildgans, der doch ein guter Dichter und auch ein guter Österreicher war. Als einmal wieder, etwa Ende der zwanziger Jahre, von Deutschland aus besonders aufdringlich Anschlußhetze geblasen und dabei auch dessen Name genannt wurde, forderte ich ihn auf, sich in der Presse offen gegen den Anschluß zu bekennen. Er sei gewiß dagegen, antwortete Wildgans, aber alle seine Leser in Deutschland seien dafür! Und was würde der Reichstagspräsident Loebe, ein begeisterter Bewunderer seiner Dichtung, sagen, wenn er sich gegen den Anschluß erkläre? Im übrigen sei das garnicht notwendig, denn die Großmächte würden ihn ohnehin nicht zulassen. Das war typisch wienerisch gesprochen. Nun, so naiv war Hofmannsthal nicht, wenn auch auf seine Geltung in Deutschland bedacht. „Kommt es je zum Anschluß, werde ich Schweizer“, sagte er. Im Übrigen hat er in dem Vorwort zu „Grillparzers politischem Vermächtnis“ echt österreichisch maßvoll die Grenze zwischen Deutschen und Österreichern gezogen, den Wahn der Alldeutschen und den Irrtum jener braven Patrioten, die meinen, das österreichertum sei, eine zweite Minerva, dem Haupte Jupiters, in allen Dingen fertig und vollendet, entsprungen, rechts und links von sich liegen lassend. Seine Charakteristik des Österreichers ist so schön, so vollständig und so liebreich, so gescheit dm höchsten Wortsinne, so weise, daß sich aus ihr allein schon ein Bild von Hofmannsthals Wesenheit und seines reifen Intellekts ergibt, der durchaus nicht aufs Reflektive orientiert, durch unablässige, gefühls- und instinktmäßig verwertete Beobachtung, die Nuancen der Dinge und ihr Zusammenspiel zur Totalität des Objektes zart und sicher erfaßte.

Wie oft gingen wir nicht miteinander in den Landschaften des Salzkammergutes oder in Niederösterreich in der Nähe des schönen Barockhauses in Rodaun, das nach seiner Verheiratung sein Heim geworden war, auf Wiesenpfaden zwischen reifen Feldern spazieren, oder in der Brühl, der seine Verse gelten:

Wo kleine Felsen, kleine Fichten Gegen freien Himmel stehen, Könnt ihr kommen, könnt ihr sehen, Wie wir trunken von Gedichten Kindlich schmale Pfade wandern, i Sind wir nicht vor allen andern Doch die unberührten Kinder? .. <

Wir empfanden und liebten, auch ohne darüber zu reden, die verschiedenen Einzelaspekte unserer Heimat und in dieser Liebe sowie in der großen Angelegenheit unseres Lebens, in der Dichtkunst, fühlten wir uns eins, und von unseren Lippen flössen, wie wir so dahingingen, Strophen, eigene oder anderer Dichter, jeder von uns begierig, mit dem Freunde in der Schönheit der von ihm dargebotenen Verse zu communicieren. Es war wirklich eine Freundschaft zwischen jungen österreichischen Dichtern, die ihre Wurzeln aus den Tiefen der Dichtkunst und aus dem Boden des großen österreichischen Vaterlandes nährte, das dem haßerfüllten, nationalistischen Politikerpöbel jener Zeit, der nichts, mit dem wahren Volke gemeinsam hatte, als Völkerkerker galt, auf dessen Zerstörung mit Feindeshilfe ihre Wühlarbeit gerichtet war.

Eines Tages sagte Hofmannsthal scherzend zu mir: „Der Fürst Liechtenstein hat dem Grillparzer 100 Dukaten geschickt, weil sein Name in .König Ottokars Glück und Ende' verherrlicht ist. Was bekomme ich, wenn ich den deinigen in mein Stück bringe? Sag mir Vielleicht einen Lehensnamen von euch, das ist noch besser.“ Nach einigem Hin und Her einigten wir uns auf „Morandinus“, einen alten Beinamen der Andriane, und so kamen in den „Kaiser und die Hexe“ die altösterreichisch empfundenen, uns Beide österreichisch verknüpfenden Zeilen: .

(Kämmerer tritt auf.) Der Kaiser: „Euer Name?“

Kämmerer: „Tarquinius Morandin! Herz, Gut und Leben

geb ich willig für den Kaiser.“

Das war in den ersten Jahren unserer Freundschaft. Nun will ich noch ein in viel späterer Zeit, nicht sehr lange vor dem Lebensende des Dichters, von mir abgelegtes Zeugnis für unsere österreichische Freundschaft anführen, von ihm im selben Geiste angenommen, als ich es gegeben hatte, ein Sonett „Dem Dichter Österreichs“, das in der Festschrift zu seinem fünfzigsten Geburtstag erschien. Er sagte mir, nichts von dem, was ihm damals gewidmet wurde, habe ihn so sehr gefreut, wie diese Verse:

Dem Dichter Österreichs.

Besinnst Du Dich, wie einst im Abendwind Schwarzgelb die Fahnen uns entgegenwehten, Da wir von Versen und vom Duft des späten Augusttags trunken ausgegangen sind

In Ostreichs Landschaft, unser Angebind Von Gott, der lieben hieß des vielgeschmähten Und vielverratenen Reiches Antlitz die Poeten Wie seine Mutter liebt das fromme Kind?

Wir waren reich, wir durften unser sagen

So wie der Kaiser! was in Österreich lebte.

Arm sind wir jetzt, denn unsre Welt entschwebte.

Dir aber, Dichter, ward hinauszutragen Der Reize Übermaß, das sie durchbebte, Zu fernen Ländern und zu fernen Tagen.

Die Orthographie dieses Beitrags folgt genau der des Dichten

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