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Erinnerungen an meinen Verleger Anton Kippenberg

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Das Geschick unserer Kultur, letzter Kultur Vielleicht, ist das Geschick Anton Kippenbergs. Er hat leitend und ausgestaltend den Insel-Verlag der Goetheschen Idee der Weltliteratur unterstellt: das war die Einzigartigkeit seines Verlags-werkes, daß seine Mitte Verehrung des Einzigen, Vollzug seines Weltbildes war. Martin Beheim-Schwarzbach hatte, um mir zu helfen, die Verbindung angeknüpft. Nach einem Gespräch mit Katharina Kippenberg — von dem ich das Gefühl hatte, da2 es zu keinem Ergebnis geführt habe — erwartete mich Anton Kippenberg ih der Halle des Hotels Esplanade. Ich kannte ihh nicht. Der Page hatte die Taktlosigkeit, laut seinen Namen zu rufen. Er erhob sich ärgerlich: „Doch nicht den Namen!“ Wie sehr er auch in der Oeffentlichkeit stand, so war sein Selbstbewußtsein doch viel zu stark, als daß er sich ihr ausgesetzt hätte. Wenige Vermochten mit solcher Sicherheit zurückzustehen vor den Zielen, die sie sich erwählt hatten, von denen sie erwählt worden waren. Die Verehrung eines Einzigen hat Anton Kippenberg geprägt, eine zugleich bewahrende, tätige, bahnbrechende Verehrung. Goethe erwies sich als Lebensmacht in seinem Dasein wie in seinem Werk. Für mich hat Anton Kippenberg unabhängig von der tiefen menschlichen Bedeutung eine symbolische: Dieser treueste Jünger und erschließende Verkünder war in eine Epoche gerufen worden, in der es tatsächlich um das Werk Goethes, seine Weltgeltung ging: darum, wie Volk und Menschheit zu ihm standen, was sie von ihm behaupten, abwerfen, neu gewinnen wollten. Während das von Goethe gelebte, gestaltete Ideal der Menschenbildung in die Flammen stürzte, trat das Tragische seines Lebens und Werkes hervor. Dieses Tragische, das Zerstörende als Lebensader des Schöpfertums, mußte aber einmal die ergreifen, die ihm im Geist und Herzen nahe waren. Kein Zweiter hat das zerstörende Nein, den nur in letzter, in religiöser Perspektive be-antwortbaren Widerspruch mit solcher Kraft und Legitimation gestaltet wie Goethe: es ist der Widerspruch gegen alles Erhalten und Lieberliefern, gegen die Verehrung selbst. Und es ist so absurd wie sinnreich, daß nach der die Goethe-Zeit abschließenden Katastrophe das Geburtshaus des großen Verneiners und Bewahrers kulissenhaft wieder aufgerichtet wurde. Es mag Epochen im Leben Goethes gegeben haben, dä der Widerstreit auf des Messers Schneide stand. Daß die bauende, herstellende Kraft endlich doch stärker war, bedeutet seinen Sieg. Aber damit ist nicht gesagt, daß die Hilfskräfte, di£ er aufrief, auch uns retten können: daß sie die von Goethe immer eingestandene Fragwürdigkeit geschichtlicher Existenz auch heute noch iti hiiiteichendem Grade eindämmen können, gegenüber beispielloser Bedrohung von innen und außen. Anton Kippenberg hat beides in seinem Leben ausgetragen: das Verehrende und das Zerstörende; jenes willentlich, dieses als Schik-kung; er bleibt, wie er es wollte, der Zeuge des Sternes, der im Obergeschoß des Hauses am Hirschgraben aufgegangen ist. Unter den Kostbarkeiten der Sammlung Kippenbergs war eine Mappe, in der Goethe eihen handschriftlichen Erlaß Friedrichs des Großen geborgen hat; er hat ihn eigenhändig mit Tinte umrandet und diesen Vers auf die Gegenseite geschriebeh:

Das Blatt, wo seine Hand geruht, Die eiiist der Welt geboten, Ist herzustellen fromm urtd gut, Heil ihm, dem großen Toten.

Welch doppelte Gefahr ist hier gebändigt: Mephisto und Faust, der Zerstörer des Reichs, beschwichtigt von der Pietas.

Und Pietas war Anton Kippenbergs Wesen: die Toten, die Form, das Große, die Familie, die Weserstadt als Sinnbild aller Ordnung: sit zu bestätigen in einer Epoche, die das Geheimnis der Form verachtete, war er geboren. Er hatte eine ganz verhaltene, aber sehr eindringliche Art, auf Jüngere zu wirken, eine formende Kraft, die Ausstrahlung seiner Form war. Wir stimmten überein in der Liebe zu periodischen Wiederholungen, zu Begegnungen am selben Ort und selben Tage. Wenn ich es einrichten konnte* kam ich am Karfreitag nach Leipzig. Uebef diesen Tag gebot die Matthäuspassion. Ich kann mir nicht denken, daß Anton Kippenberg sie je* inals versäumt hat. Leipzig hatte an diesem Tag das Gepräge einer Hansestadt: die Vertrauten, Ebenbürtigen fanden einander in der Thömas-kirche am gewohnten Platz. Sie grüßten sich wie Bremer sich grüßen, mit einem unmerklichen Nicken oder Lächeln.

Bin ich gleich von dir gewichen, Stell ich mich doch wieder ein. \

Unter der Erschütterung unsäglicher erlebter, geahnter Ereignisse redeten mich diese Verse an. Ich erinnere mich, wie wir darnach in Auerbachs Keller saßen. Die Abendzeitung meldete die Vergewaltigung Albaniens. „Was ist das schon?“ nieinte der Ober, „das kleine Land.“ — „Nun, nun.“ Herr von Einsiedel, Kippenbergs Schwiegersohn, saß mit am Tische, dem Tode näher als wir ahnen konnten. Kippenberg schloß mir in seinem Arbeitszimmer seine Schätze auf und ließ mich mit ihnen allein. Ich durfte die Blattet in Händen halten, die der Genius gezeichnet hat und empfand noch einmal und nun aufs stärkste, daß aus ihnen Geschichte heraufgestiegen war, sei es nun in Gestalt der Gefolgschaft oder der Abkehr, der Vetrats. Ueber das Vermächtnis und damit auch über das Haus irl der Richterstraße glitt ein unheimliches Licht.

Wir fuhren am Karsamstag nach Weimar durch die große Schlachtenebene der Deutschen, vorüber an der Stätte, wo die schwedische Fahne wehte zum Andenken an Gustav Adolfs Tod. Wir standet! an Nietzsches Grab: der mächtigen Platte an der Mauer der Röckener Dorfkirche. Der Flieder umblühte Friedhof und Pfarrhaus; Nietzsche ruht neben seiner Mutter, in der vom Vater betreuten Gemeinde. Ich hatte den Eindruck von Helmkehr, Geborgenheit, als sei der Widerspruch zurückgefallen in den Machtkreis,von dem er sich gerissen hatte. Es war eirie Antwort, aber gewiß nicht die des Christen jener und unserer Zeit, sondern des verborgenen Gottes. Wir saßen unter dem Dornburger Schloß, dem alten Turm von Tautenburg gegenüber, wo Nietzsche einen tragischen Sommer verlebt hatte. Wenn Anton Kippenberg als Präsident der Goethe-Gesellschaft in einem der Schlösser residierte, WUtde die blflue Fahne mit dem silbernen Stern gehißt. Katharina Kippenberg ließ die Hecken übet den Felsen pflegen in der Sorge für Rotkehlchen und Nachtigallen. Im „Elefanten“ auf dem Weimarer Markt. — Kippenberg war wohl mehr als fünfhundertmal dort abgestiegen — rezitierte er seine Schüttelreime auf eigen-tüffilieh klangvolle Weise; es war ihm gelungen, Weisheit, Resignation, selbst Schmerzen in eine humoristische Form zu schließen. Oder er erzählte vom einmaligen Glück des Sammlers: wie er von Weimar nach Leipzig fuhr, die Urschrift des Chorus Mysticus in der Tasche. Er holte die edelste Flasche Rotwein aus dem Keller, die beste Zigarre aus dem Schrank. Dann schloß er sieh in seiner Bibliothek ein mit den Versen, die nicht allein dein Werke Goethes, sondern einem bestimmten Aufbruch deutschen Geistes das umstrittene Ziel setzen. War das nicht Vollendung des Hauses, des Werkes? Die Hausfrau betreute den Garten, das Goldfischbassin; Otto Bertning schloß den edeln großzügigen Biblio-theks- und Vortragsraum an. Von der Schwelle bis zum Dachzimmer gebot lebendige Tradition. Aber eben das Turmzimmer! Für mich hatte der Raum, wo Rilke den „Laürids Brigge“ diktiert hatte — er war unberührt erhalten, ein Zimmer im Lichte weißer Mullgardinen, das eigentlich ein junges Mädchen hätte bewohnen könhen, wie auch Nietzsches Basler Zimmer als eirt solches geschildert wird —, nichts Bewegendes; das Buch ist mir ganz fremd, konträr: ich konnte es nicht zu Ende lesen. So oft ich Rilkes Bücher in die Hand nehme, befällt mich eine Traurigkeit, die mir kein zweiter zuträgt. Die „Elegien“ ergreifen mich als Ausdruck des Schicksals, der Zeit. Von dem Orte vor 19L4 wird ein Ausblick getan, eine Frage, vielleicht sogar ein Entschluß gefaßt: der ins Duhkle. Aber ich sehe nicht das Freiwerden von dieser schon abgesunkenen Zeit. Damit ist nichts gegen die Kunst, nichts gegen die Folgerichtigkeit in der Befolgung des Auftrags, die geschichtliche Bedeutung, die betörende Melodie gesagt. Mir widerstrebt diese Melodie: und es ist klar, daß sie sich nicht von der Aussage lösen läßt. Niemals läßt mich die Magie des Novalis los: aber eben deshalb finde und suche ich keinen Weg zu Rilke.

Das war eine Schwierigkeit; denn Rilke war für Anton Kippenberg der „säkulare Dichter nach Goethe“. Sie schien sich im letzten Gespräch mit Katharina Kippenberg lichten zu wollen. Der Krieg war da, Trauer in das Haus eingezogen, die Signatur der Zeit unverhüllt. Wir saßen an ihrem Arbeitstisch in der Villa und spracheh vom Jenseits. Katharina Kippenberg stimmte niemals meinem Glauben zu, nun aber auch Rilke nicht. „Nein, auch Rilke hat nicht recht gehabt. Es ist anders.“ Ich weiß nicht, ob sie eine Antwort fand, welche Antwort; ob es wahr ist. daß sie in den letzten Jahren, den überraschend schnell gekommenen, wirklich im zweiten Teil des „Faust“ das Letzte suchte oder gefunden, hat. „Ich will, ich werde neunzig Jahre werden“, sagte sie mir einmal. Auch diesen sehr starken Willen brach der Sturm.

Aber das Haus, dessen Untergang der Herrin tödlich werden sollte, steht unversehrt vor meinen Augen. Wohl hatten gewisse Angriffe Anton Kippenberg tief verletzt, aufgewühlt. Aber im Verlagshaus, wo ein jeder in seinem Stöckwerk als Souverän regierte, war kein Stuhl verrückt Kippenberg zog niieh vor das kleine Aquarium auf seinem Schreibtisch. Die winzigen, durchsichtigen, göldnen, roten, silbernen Fische bewegten sich nach unlenkbaren Gesetzen im einstrahlenden Licht durch den unterseeischen Urwald: „Sehen Sie das an, und Sie werden ruhig.“ Auch in der Villa hing ein jedes Bild an seinem Ort, Karl August, die Renoirs, das Porträt Rilkes. Würde galt in Deutschland nicht mehr; hier galt sie noch: Bremen und Weimar, der Schlüssel und der Stern. Anton Kippenberg glaubte fest an die Menschheit im Sinne Goethes, an die Macht der Kultur. „Nein, diesem Hause wird nichts geschehen. Diesem Hause nicht.“ Er vertraute der Welt, der er gedient hatte. Er vertraute einem Bild der Welt und Geschichte, das ohne Legitimation, aber mit einer ftifchtbätert Folgerichtigkeit, zertrümmert worden ist. Ich denke zurück, und ich sehe Goethes Antlitz in seiner entsetzlichen Zwie-gesichtigkeit; den frommen Bewahrer, den abgründigen Ironiker, Verherrlicher der Ehe, der Sitte im Werke, Zerstörer im Leben und im Werke; den Dichter, dessen Gedicht den Deutschen zum Ruhme gereicht, dessen Leben eines ihrer Verhähgnisse war. Er hatte die Kraft, das Tragische einzubeziehen, die Hinfälligkeit alles Fertigen, Vollendeten anzunehmen im unzerstörbaren Glauben an die Dauer des Geistigert. Wohl sah er das Tragische der Geschichtswelt — vielleicht aber nicht in ausreichendem Grade die des Geistes selbst und der Ueberzeugungert, des in ihnen gründenden Daseins. Seine Zeit war furchtbar — denn was die Französische Revolution wirklich war und zerriß, ahnen wir, die wir in ihrem Klima lebett, kaum —, aber sie gewährte ihm doch die Rettung der Penaten im wohlbegründeten, geschützten Hause. Unsere Zeit gewährt sie nicht. Sie fordert den Menschen heraus, den haus- und schutzlosen, der die Werte in sich trägt, der sie lebt, verkörpert. Aber sie duldet diesen Menschen nicht. Er ist nur da, insofern er sich opfert. Als Anton Kippenberg, von unsäglichem Leid gebeugt, den Kranz niederlegte an den nach erniedrigender Irrfahrt in die Fürstengruft zurückgekehrten Gebeinen: da war er dieser Mensch.Aus „Verhüllter Tag“, Verlag Jakob HegMr.

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