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ERINNERUNGEN AN ST. JERZY LEC

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Sein eigentlicher Familienname lautete Letz, er polonisierte die Schreibart auf Lee. Er gab sein erstes Buch noch im Jahre 1933 in Lemberg heraus; es war ein kleiner Band lyrischer Gedichte, betitelt „Die Farben”. Zwei Jahre spater iibersie- delte er nach Warschau, und damals erschien sein zweites Bandchen, „Zoo“. Bald darauf kam auch ich in die polnische Hauptstadt, und wir lemten uns in der Redaktion einer literarischen Zeitschrift kennen. In Warschau begann in dieser Zeit eine neue satirische Wochenzeitung („Szpilki“) zu erscheinen, wir wurden zur Mitarbeit eingeladen, und da wir beide auch auf Wohnungssuche waren, schlug Lee vor, daB wir zusammen wohnen sollen, und wir bezogen gemeinsam ein kleines Zimmer im jiidischen Studentenheim am rechten Weichselufer. Wir wohnten dort, bis eines Tages — im Verlag Fruchtman waren damals seine „Pathetischen Satiren” er- schienen — Lee erregt nach Hause kam und schon an der Tiir ahkiindigte: „Ich ziehe aus. Ich werde Esther heira- ten...“ So begann ein Marchen. Nach einem Jahr kam ein Madchen zur Welt, und die Lee’ nannten es, so wie im Marchen, Gretl. Der Krieg brach aus. Staschek und Esther konn-

ten sich jedoch retten. Und unmittelbar nach dem Krieg be- kamen sie einen Sohn. Sie nannten den Buben Hansl; sie wollten das Marchen fortsetzen. Ich lebte schon in Palastina, und als ich von dem freudigen Ereignis bei den Lee’ und wie sie das Kind genannt hatten erfuhr, schrieb ich ihnen und fragte, ob dies ein Name Oder ein Titel sei.

Lee, der stundenlang uber Wien, den Kaiser Franz Joseph und Verbindungen zwischen osterreichischen Adelsfamilien sprechen konnte, wurde als Presseattache des kommunisti- schen Polen nach Wien geschickt. Eines Tages klopfte jemand an der Tiir meiner Tel Aviver Wohnung. Es war Lee. Er hatte die diplomatische Vertretung Polens in Osterreich verlassen und war mit der Familie als Oleh (Neueinwanderer) nach Israel gekommen. In dieser Zeit redigierte ich eine Zeitung in polnischer Sprache in Tel Aviv, und ich bot ihm den besten Posten, den die Zeitung zu vergeben hatte, an. Lee lehnte jedoch ab. Es war seine Frau, sagte er, die nach Israel wollte; er habe nur unter ihrem Druck zugestimmt — und er bereue es. Er schreibt polnisch und mochte nach Polen zuriick. Und wenn noch irgendwelche Chancen, die Genehmigung zur Riickkehr zu bekommen (es war die Ara, die wir heute die des Personenkults nennen) besttinden, so nur, wenn er sich weder politisch noch literarisch im Ausland betatige. Er be-

gann als Hilfsarbeiter im stadtischen Gartenamt zu arbeiten und verhandelte durch das polnische Konsulat in Tel Aviv mit Warschau. Lee besuchte uns am Abend; wahrend des Tages fuhr ich ofter zu ihm, in den Gan Atzmaut (Park der Unabhangigkeit), dem er damals zugeteilt war. Lee trug einen blauen Arbeitsanzug und hohe Gummistiefel. Wenn es nur moglich war, setzten wir uns unter einen Baum oder in einen Graben, und Lee las mir Gedichte vor, die er damals schrieb. Es war wieder Lyrik, die spater die Sammlung „Das Jeru- salemer Manuskript” bilden sollte. In einem dieser Gedichte hieB es unter anderem: „... Im Norden stand meine Wiege, und im Norden wird auch mein Grab sein...“

Kurze Zeit nachher kam Lee erregt zu uns. „Ich habe die Zustimmung Warschaus. Ein Jahr Oder zwei Jahre werde ich nichts drucken durfen, aber sonst — keine anderen Repressalien. Ich fahre nachste Woche...“ Bevor er abreiste, brachte er mir eine Kopie des „Jerusalemer Manuskripts”. Er bat mich, es aufzubewahren; inzwischen dfirfe ich nichts davon veroffentlichen; er hoffe, daB er es doch in Warschau heraus- geben konne. Ich dfirfe es nur dann drucken, wenn ihm etwas passiert und die Gedichte nicht erscheinen. Sie sind jedoch erschienen; nicht nach zwei, sondern nach vier oder fiinf Jahren. Das Druckverbot wurde jedoch npeh YprAblayf derio Zweijah sfrist aufgehpben. ... t

Ich traf Lee wieder, als ich 1959 nach Warschau kam. Damals erschien eine Auswahl seiner kurzen, meist zweizeiligen satirischen Gedichte „Aus Tausend und einer Xenie”. Die Auswahl enthalt auch Ubersetzungen von Grillparzer, Karl Kraus und Arthur Schnitzler. Lee aber war schon ganz auf die ..Unfrisierten Gedanken” eingestellt. Er erzahlte, wie er auf diese Idee gekommen ist. Ofter kam es vor, daB er einen Einfall fiir eine Xenie hatte, jedoch keinen passenden Reim fand; er notierte dann die Pointe in sein Notizbuch. Als er nach langerer Zeit das Notizbuch durchschaute, sah er, daB sich ziemlich viele Notizen, die wie Aphorismen oder Para- doxa klingen, angesammelt hatten. Er schrieb sie auf ein Blatt Papier, betitelte sie ..Unfrisierte Gedanken” („Die Idee”, sagte er, „ist.mir beim Haarschneiden gekommen”) und gab sie dem Redakteur einer Zeitung. Der Redakteur war begei- stert, druckte sie sofort und bat Lee um weitere. Sie waren poetisch, witzig, und zwischen ihren Silben wehte der Wind der Liberalisierung. Idh mochte hier nur einige von ihnen zitieren:

„Ein Denkmal kann auch als Sonnenuhr dienen. Sogar dann, wenn es nicht mehr steht, weiB man, welche Stunde geschlagen hat.“

„Ich weiB, von wo die Legende vom jiidischen Reichtum stammt. Juden miissen fiir alles bezahlen.”

„Die Reform des Kalenders wird die Schwangerschaft nicht abkiirzen.”

„Schade, daB man in das Paradies mit dem Totenwagen fahrt.”

„Das schwachste Glied einer Kette ist ihr starkstes. An ihm reiBt die Kette."

,,Es gab Zeiten, da man Skiaven legal kaufen muBte."

Im Westen suchte man Anzeichen des kritischen Denkens in den kommunistisch regierten Landern; man suchte Zeichen einer inneren Opposition. „Die unfrisierten Gedanken” paB- ten gut in dieses Konzept. Sie wurden in verschiedene Spra- chen iibersetzt, und dank Lee’ Witz und seiner melancholi- schen Poesie konnten sie sich auch behaupten. Sie schufen den weit iiber die Grenzen Polens reichenden Ruhm Lee’.

Lee wurde es gestattet, Reisen in den Westen zu unter- nehmen. Am hauflgsten besuchte er Wien, wo auch seine Verwandten leben. Im Jahre 1963 erschien noch ein 98 Seiten starker Band mit lyrischen Gedichten, „Der Steckbrief”. Ein Gedicht in diesem Band eroffnet ein Motto des hebraischen Dichters Ch. N. Bialik. Das alles aber war schon am Rande. In der Mitte standen „Die unfrisierten Gedanken”.

Wahrend seines letzten Aufenthaltes in Wien klagte Lee fiber Schmerzen und Miidigkeit. Kurz nach seiner Riickkehr nach Warschau stellten die dortigen Arzte eine hoffnungslose Diagnose. Lee war 57; er wurde mit alien Ehren in der Allee der besonders Verdienten bestattet. („In das Paradies — mit dem Totenwagen”.)

Vor mir liegt ein Band von Lee; auf der Riickseite des Einbands ist eine kurze Autobiographic gedruckt. Sie endet mit dem Satz: „Ist das Verbum ,Ich lebe!‘ nicht iiberhaupt das angenehmste in der Biographie eines Menschen?” Hat Lee seinen vorzeitigen Tod geahnt?

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