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Erkenntnisse —100 Jahre früher

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DRAMATISCHE WERKE VON FERDINAND RAIMUND in zwei Bänden. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Gustav Pichl er, Bergland-Verlag, Wien. I. Band: 312 Seiten, 16 Illustrationen. II. Band: 400 Seiten, 16 Illustrationen. Ganzleinen. Preis 190 S. - HÄUPTLING ABENDWIND ODER DAS GREULICHE FESTMAHL. Eine indianisch Faschingsburleske. Von Johann N e s t r o y. Bibliophile Ausgabe, bestehend aus einem Faksimiledruck nach dem Originalmanuskript und einem Neudruck mit einer Einführung von Gustav Pichl er. Bergland-Verlag, Wien. I. Faksimiledruck: 6t Seiten, Illustration. II. Neudruck: 70 Seiten, Illustration. Preis 235 S.

Diese gediegen ausgestattete Gesamtausgabe der dramatischen Werke Ferdinand Raimunds, die von Gustav Pichler, dem Präsidenten der ..Raimund-Gesellschaft“, betreut wurde, bietet vor allem jenen Text, der wirklich von Raimund stammt. Dies ist in diesem Fall besonders wichtig, da im Lauf der Jahre durch zahlreiche Abschriften der Bühnenstücke so viele Varianten entstanden sind, daß da und dort schon die Gefahr drohte, die Aussage des Volksdichters Raimund zu verwässern oder gar durch eine gut gemeinte Aktualisierung ihrer Ursprünglichkeit und Frische zu berauben. Der Herausgeber weist im biographischen Teil des Vorwortes darauf hin, daß es sich Raimund in seinen acht Zaubermärchen angelegen sein ließ, das Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu bilden. Aber diese erzieherische Tendenz vereint sich mit so viel Gemüt, mit so viel österreichischem Charme, daß sie dem Stimmungsgehalt der Dichtung keinerlei Abbruch tat. In einer Studie, die seinerzeit in der „Neuen Rundschau“ (Frankfurt am Main) erschien, wird hervorgehoben, daß Raimund in „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ Erkenntnisse der Psychoanalyse, die 100 Jahre später durch Sigmund Freud bekannt wurden, im Bereich der Dichtung vorweggenommen habe. Dies erhöht noch die Tragik von Raimunds unseligem Familienleben und dessen Flucht in den Tod, bezeugt es doch die Heftigkeit der Kämpfe, die sich in seinem Inneren abgespielt haben. Und dieser innere Zwiespalt, dieses Wissen, nicht so handeln zu können, wie man eigentlich handeln müßte, mag seine Phantasie beflügelt haben ... Die musikalischen Hinweise auf das Schaffen des Komponisten Raimund sind wertvolle Behelfe für jeden Dramaturgen, der sich eine stilechte Raimund-Aufführung angelegen sein läßt.

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Der Bergland-Verlag, Wien, hat seiner Faksimileausgabe von Johann Nestroys letztem Werk, „Häuptling Abendwind“, in jeder Hinsicht so viel Sorgfalt angedeihen lassen, daß jeder Bibliophile mit Freuden seine Bücherschätze durch dieses prächtige Werk bereichern wird. Der erste Teil der Ausgabe, der Faksimiledruck, folgt genau dem Original, das aus 16 vierseitigen losen Riesenbogen besteht und ein alles umschließendes Titelblatt besitzt. Das Manuskript, mit Bleistift geschrieben und von Nestroy selbst mit roter Tinte „entschärft“ beziehungsweise vorzensuriert, gehörte Jahre hindurch zu den Glanzstücken der wertvollen Handschriften-

sammlung Stefan Zweigs und gelangte auf dem Weg über einen namhaften Antiquar in den Besitz Dr. Gustav Pichlers. Als Herausgeber hat Pichler den zweiten Teil des Werkes, den Neudruck, mit einem Vorwort eingeleitet, das kulturpolitisch aufschlußreiche Hinweise auf die Entstehung dieser Posse gibt. Ein Offenbach-Einakter hatte Nestroy zum „Häuptling Abendwind“ angeregt, dem er den Untertitel „Das greuliche Festmahl“ gab. Die Musik zu dieser „Indianischen Faschingsburleske“ in einem Akt, frei nach dem Französischen, steuerte Offenbach bei. Esprit und Ironie, Witz und Humor waren die Paten, so schuf Nestroy eine sozialkritische Satire und damit etwas bis dahin

Unbekanntes: die politische Operette. „Wilde und Zivilisierte“ stehen einander gegenüber, und mit dichterischer Hellsichtigkeit wird der übersteigerte Nationalismus angeprangert. Nach einigen Aufführungen geriet das Werk eine Zeitlang völlig in Vergessenheit. In den letzten Jahren brachte unter anderen auch das Burgtheater — und zwar im Februar 1957 — diese köstliche Satire mit Hermann Thi-mig in der Titelrolle in einer Inszenierung Leopold Lindtbergs heraus. Die Aufführung mußte 25mal wiederholt werden. Ein Beweis, daß der „Häuptling Abendwind“ auch heute noch so aktuell ist wie vor 100 Jahren.

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