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Erlöschender Leuchter

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Das Erbe des christlichen Ostens ist reich. Farbige Bildbände bei uns im Westen deuten es an. Die ganze Fülle bot sich mir heuer im Sommer an einem Julisonntag dar. Es war ein Besuch der sechs katholischen Dome im Christenviertel der Kreuzfahrerstadt Aleppo. — Dagegen war die wuchtige Zitadelle und die Große Moschee der Halbmillionenstadt mit überwiegend moslimischer Bevölkerung bei weitem keine solche Attraktion. Die Residenzen und Dome der katholischen und auch nichtkatholischen Prälaten sind hier, wie auf einer Goldschnur die Perlen, dicht in der Nähe, wenn nicht gar nebeneinander.

Die Gegenwart des christlichen Ostens ist überschattet. Verhängnisvoll für seinen Bestand wirkt sich die Trennung aus. Das Bild der getrennten Christen zeigt weder Schwung noch Leuchtkraft. Die Zwietracht der Christen ist für den Korangläubigen eine Strafe Gottes. Den Nutzen aus dieser Trennung genießt die nachchristliche Gesellschaft. Unvergeßlich hat sich mir die Konzilsstadt Nicäa eingeprägt. Die ehemalige Festung mit 300.000 Einwohnern zählt heute eine Bevölkerung von 6000 Einwohnern. Zwei Tatsachen machen den Unionsfreund hellhörig: einmal gibt es in der Stadt zweier großer Konzile keinen Getauften. Das Herzstück der nachchristlichen Gesellschaft in Nicäa sind die Moscheen, mit farbigen Fayenceplatten umgeben. Für sie ist das Christentum überholt. Dann aber ist die Konzilsstätte, die ehemalige Aja Sofia, ein musealer Trümmerhaufen. Wer jahrelang Sonntag für Sonntag mit Ergriffenheit das hier erarbeitete Glaubensbekenntnis bewußt rezitiert, dem gibt dieser Anblick einen Stich. Die später angebauten Minarettstumpen tragen gegenwärtig Storchennester!

Die M i n d e r h e i t von Christen IN in ihrer ersten Blütestätte im öffentlichen Leben der Gegenwart ohne Gewicht. Die Christen konnten ihre inneren Spannungen nicht bewältigen und trugen anfangs in entscheidender Weise zum Zusammenbruch des byzantinischen Kaiserreiches mit bei und beschworen dadurch die folgenschwere Niederlage des Christentums und damit die ' Stellung in diesem Raum mit herbei. Die Auswirkung war der stürmische Vormarsch der Jünger des Propheten aus dem vorderasiatischen Raum über Afrika bis tief nach Europa hinein. Spät erst kam die Kaiserstadt am Bosporus dran. Der Stolz Kaiser Justinians 1., die Aja Sofia, dieses Juwel oströmischer Baukunst, wurde das Siegespfand des Sultans. Dabei blieb es. „Lieber ein Trümmerhaufen, als die Rückgabe an die Christen!“ hieß das Loswort der Bevölkerung nach dem ersten Krieg. Der herrlichen Fassung, den von den Amerikanern in entzückendem Farbenschmelz freigelegten Mosaiken, fehlt das Kleinod — die unter ergreifenden Tönen sich vollziehende göttliche Liturgie. Das griechisch^ Volk sieht aber in der Aja Sofia sein Haupt, sowie der heilige Berg Athos sein Herzstück darstellt. — So hat der Nahe Osten längst sein christliches Gepräge abgestreift und ein nichtchristliches angelegt. Unter 87 Millionen Einwohnern leben 6 Prozent Christen. Ihre Anteilnahme an der Gesamtbevölkerung — vom Libanon mit seiner knappen christlichen Mehrheit abgesehen — schwankt von 0,7 Prozent in Persien bis zu 14 Prozent in Syrien. Die Türkei mit dem ehemaligen Missionsfeld des heiligen Paulus hat in den Enklaven von Konstantinopel, Izmir und Adana unter dem Schutz der Lausanner Verträge 0,8 Prozent Christen. Dieses ungünstige Verhältnis ergab sich aus der Vernichtung der Armenier und der Aussiedlung-der Griechen in unserem Jahrhundert.

Die katholische Minderheit von 1,3 Millionen Seelen lebt im Nahen Osten zerstreut. Ihre Höchstzahl von 650.000 Angehörigen wohnt im Libanon, und die geringste Anzahl von 19.000 Gläubigen in der Türkei. Mehr als 100.000 Katholiken leben in Ägypten, Irak und Syrien; Iran und Palästina erreichen diese Zahl nicht. Quer durch die Katholiken verlaufen die Grenzen ihrer Zugehörigkeit zu den Riten mit Volksgruppencharakter und eigenen Jurisdiktionsgebilden. Der Patriarch der Maroniten ist nicht nur das geistliche Oberhaupt seines Völkleins, das ihm darüber hinaus auch in nichtkirchlichen Dingen Gefolgschaft leistet. Die Stärke der Ritenfamilien schwankt von 5 3.000 Armeniern bis zu 533.000 Maroniten. Die Melkiten haben gut 200.000 Seelen, die Chaldäer und Lateiner gut 100.000, die Kopten und Syrer erreichen diese Höhe nicht.

Die Zukunft des Christentums im Nahen Osten beruht auf zwei Gegebenheiten. Die moslimische Mehrheit der Bevölkerung prägt zunächst das geistliche Gesicht dieses Raumes. Der gesetzliche Rahmen des Korans gewährt den Christen das Lebensrecht ohne Gleichstellung, vor allem keine Mission. Daran ändern auch nichts die von den Regierungen .übernommenen und unterfertigten Menschenrechte der UNO vom 10. Dezember 1948. Gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell ist ein Übertritt zum Christentum nach dortiger Auffassung ein unvorstellbares Ereignis, wenn auch kein Todesverbrechen mehr wie früher. Praktisch ist hier eine christliche Mission eine Illusion, ein gefährliches Unterfangen. Was die Islammission im Westen für sich beansprucht, dazu haben die Christen hier ihrerseits kein Recht. — Das religiöse Leben der Christen ist die zweite Komponente für die Zukunft. Denn einzig nur ein bewußt gelebtes und betätigtes Christentum wird die Christen erhalten. Dabei ist weniger die bäuerliche Bevölkerung als die Stadtbevölkerung gefährdet, der religiösen Gleichgültigkeit zu verfallen. Die Kaufleute in den Städten sind wenig eifrige Christen. Die Begegnung der Moslimen mit den Christen im Westen ist eine große Chance — aber praktisch stellen wir im Gegenteil fest: Unsere österreichischen Hochschülerinnen wandern mit moslimischen Hochschülern nach dem Nahen Osten — zur Zeit haben wir 2000 Hochschüler aus dem Nahen Osten — als Gattinnen mit, deren Kinder gesetzlich Muslimen sind und die steigende Zahl der Nichtgetauften vermehren.

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