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Erlösungsgeheimnis 1963

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DER ISRAELISCHE POSTEN auf dem Sionsberg vor dem Abendmahlsaal betrachtet mißtrauisch das lebhafte Treiben unten im Zedrontal, auf jordanischer Seite. Die verzweigten Spitzen des Stacheldrahts — dornenkronenähnlich — stellen sich vor den wolkenlos blauen Himmel. „Nun ging Er hinaus und begab sich nach Seiner Gewohnheit an den Ölberg. Die Jünger aber folgten Ihm.“

DIE STEINSTUFEN, eine alte Stufenstraße, auf der Jesus damals schritt, stünden wieder für ihn bereit, sie sind erst vor kurzem ausgegraben worden. Aber dem Weg der Erlösung stünde ein Stacheldrahtzaun entgegen; jedem ist der Weg von Israel nach Jordanien, vom Abendmahlsaal zum Garten Gethsemani verschlossen. Nur zweimal jährlich, zu Ostern und Weihnachten, öffnet sich für wenige Christen am Mandelbaumtor die Grenze in dieser Richtung.

Dann aber, wenn der Garten am Fuß des Ölbergs erreicht ist, wenn uns die hohe Gartenmauer Gethsema-nis einschließt und die acht greisen Ölbäume im Garten Schatten und Frieden spenden, bleibt das Erlösungsgeschehen ganz auf jordanischer Seite — bis hin zum Ostermorgen, bis hin zum dreisamen Weg zwischen Jerusalem und dem Flecken, welcher Emmaus heißt.

DER WEG DER ERLÖSUNG HAT EINSAME und laute Stellen, damals wie heute. „Kreuzige Ihn!“ schrien die Juden vor dem Gerichtshaus vor der Burg Antonia, dem Sitz des Pontius Pilatus. Der Lärm, das Menschengewühl der heutigen Altstadt Jerusalems reicht auch in unseren Tagen bis an die Mauern der Ecce-Homo-Basilika über dem ausgegrabenen Teil des Lithostrotos, macht die Bilder des evangelischen Geschehens aufs neue lebendig.

Laut, vom antreibenden Ruf der Knechte begleitet, geschah der Kreuzweg — und auch heute führt der Weg, vorbei an den gekennzeichneten Kreuzwegstationen, mitten durch das laute Jerusalem der Basare, durch Straßen voll gestikulierender, leidenschaftlich feilschender Händler, vorbei an Jungen, die Lasttiere, Maulesel antreiben, quer durch die von eigenartigen Gerüchen geschwängerte, gestautheiße, atembeengende Luft der Basarstraßen, begleitet von Kindergeschrei, Händlergekreisch, Beduinenmusik aus Kofferradiogeräten.

DIE ERDE, die Seinen mit Blut verschmierten Schweiß trank, die Trümmer der ärmlichen Bauten und Wohnhöhlen, die Ihn das Kreuz schleppen sahen, liegen als Schutt metertief unter dem heutigen Kreuzwegverlauf. Araber und Griechen, amerikanische Reisende und europäische Pilger gehen die Wege, die einmal Juden, arme und reiche, ehrlich im Glauben bemühte und scheinheilige Pharisäer, gingen. — Aber plötzlich zerbricht das laute Gewimmel. Fast allein gelassen, hängt Christus am Kreuz. Kreuzabnahme und Begräbnis sind das Werk weniger. „Joseph von Arimathäa ging also hin und nahm den Leichnam Jesu ab. Auch Nikodemus kam dazu, der einst bei Nacht zu Jesus gekommen war; er brachte eine Mischung von Myrrhe und Aloe gegen hundert Pfund. Sie nahmen den Leichnam Jesu und wickelten Ihn samt den Spezereien in linnene Tücher, so wie es bei den Juden Begräbnissitte ist. An dem Ort, wo Er gekreuzigt wurde, war ein Garten, und in dem Garten ein neues Grab, in das noch niemand gelegt worden war. Dorthin trugen sie Jesus.“ (Joh.)

SO BRICHT AUCH DAS LAUTE JERUSALEM, das der engen Basarstraßen und gestikulierenden Menschen, jäh ab, weicht dem weiträumigen Hof vor der Grabeskirche und ihrem ruhig-ernsten, schattig-kühlen, von wenigen gedankenvollen Menschen erfüllten Inneren. Das gewaltige Gebäude umschließt den Felsen Gol-gotha und das Grab, das leerstand, als das Erlösungswerk vollbracht war. Das Grab, das den Erlöser aufnahm, da es schien, als habe diese Welt keinen Platz mehr für ihren Erlöser. Das Grab, das die aus dem Norden gekommenen Christen durch eine Kniebeuge und durch ein ernstes, klares Gebet grüßen, das die ganz anders gearteten Christen aus südlichen Ländern verehrungsvoll mit Küssen bedecken.

Vor dem Heiligen Grab brennen öl-gespeiste Gold- und Silberampeln. Die Rechte, einzelne dieser Lampen zu entzünden und zu verlöschen, liegen bei den verschiedenen christlichen Glaubensgemeinschaften, die über die Grabeskirche wachen: bei Katholiken und Griechisch-Orthodoxen, bei Armeniern und Kopten. Mehr als eineinhalb Jahrtausende sind vergangen, seit der Felsen Golgotha, seit der nahegelegene Garten mit dem Felsengrab zur Kirche wurden. Für die ersten Christen mag Golgotha und der Garten noch ein Stück der Landschaft gewesen sein; Kaiser Hadrian ließ im Jahre 135 auf der gleichen Stelle einen Tempel mit der Marmorstatue der heidnischen Göttin Venus errichten. Als heidnischer Kultort überlieferte dieser Tempel die Grabstelle den Christen der konstantinischen Zeit — Konstantin selbst ließ im Jahre 325 den Venus-Tempel niederreißen und baute an der Grabstelle die erste christliche Basilika.

Konstantins Kirche wurde ein Opfer der Perserangriffe. Auch die jetzige Grabeskirche, zu Beginn des zwölften Jahrhunderts von den Kreuzfahrern erbaut, hatte Brand, Krieg und Erdbeben zu überstehen. Eisenpfeiler stützen die baufällig gewordene Fassade. Sie, die Kirche, ist ein vergängliches Bauwerk des Menschen; unvergänglich bleibt uns die Gnade der Erlösung.

DIE FRAUEN LIEFEN, daß die Händler das Feilschen vergaßen, die Kinder das Schreien und der Junge vor Staunen sein Lasttier, den Esel, nicht mehr antrieb. Sie trugen die Osterbotschaft überall hin, wo Getaufte in Seinem Namen versammelt waren. Das Volk von Jerusalem strömte in den Garten vor der Stadtmauer, zu dem weggewälzten Stein, zu dem leeren Grab.

KERZEN VERTEILT der Franziskanerpater, der uns in die Grabeskirche begleitet. Wir haben die vielen Räume und Kapellen des mächtigen Bauwerks gesehen, wir haben eines der alten Gräber besucht, die unter dem heutigen Jerusalem freigelegt wurden — nun treten wir noch einmal durch den engen Eingang hin zur Grabbank. Die Grabbank ist leer. Wir haben die Kerzen entzündet. Wir heben die Kerzen empor wie der Priester in der Osternacht.

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