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ERNST KRENEK / VON „JONNY“ ZUR „SESTINA“

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„Wem ich mein bisheriges Lebenswerk betrachte, scheint es mir, daß ich im wesentlichen von zwei Kräften bewegt werde, deren sichtbare Wirkungen einander häufig zu widerstreiten scheinen. Frühzeitig in meiner Laufbahn fühlte ich mich angezogen von der Idee reiner, kompromißloser Schöpfung, unabhängig von den Strömungen des Tages, ja vielleicht diesen einigermaßen entgegengesetzt. Gleichzeitig empfand ich jedoch immer wieder die Versuchung, praktische Resultate ,in dieser Welt' zu erzielen.“ So schreibt Krenek in seiner bereits vor zehn Jahren erschienenen Selbstdarstellung.

Eine Reihe von 45 Werken hatte der im Jahre 1900 in Wien geborene Komponist geschaffen, war bereits dreimal bei den Musikfestspielen in Donaueschingen zu Wort gekommen und galt als einer der waghalsigsten Avantgardisten, als er 1927 mit seiner Jazz- Oper „Jonny spielt auf“ einen Welt erfolg errang und, völlig unfreiwillig, zu skandalöser Berühmtheit gelangte. Kreneks Freunde gerieten in Verwirrung — und er selbst in eine schiefe Situation. Den einen galt er als Zyniker, der es darauf angelegt hatte, die Sensationslust der Massen auszubeuten und der die Sache der ernsten Musik verraten hatte (Die Reaktion von dieser Seite war so heftig, daß der Komponist selbst den Eindruck hatte, alles, was er bisher an Rang und Ansehen erreicht hatte, mit einem Schlag verloren zu haben). — Ein anderer Teil des Publikums, der an „Jonny“ sein Vergnügen fand, erwartete von dem Komponisten weitere Schlager im gleichen Stil. So fand sich Krenek, der durch „Jonny spielt auf“ für die nächsten Jahre materiell unabhängig war, als Künstler zwischen sämtlichen herumstehenden Stühlen sitzend . . .

Drei Jahre später geriet Krenek auch in eine „innermusikalische Krise. Die Kompositionen seiner „romantischen Periode“, zu denen auch das „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ zählt (und das in der. meisterhaften Interpretation Julius Patzaks sogar in der Heimatstadt Kreneks einige Popularität erlangt hat), konnten nicht mit den Werken jener Komponistenkollegen konkurrieren, die das traditionelle Material viel unbedenklicher und populärer handhabten. Den Modernisten aber galten die Werke dieser mittleren Periode als Kuriosa eines ehemals fortschrittlichen Komponisten.

So drängte die Krise zu einer radikalen Entscheidung. Krenek beschloß, zum Kern der modernen Tonsprache vorzudringen. Nach ' gründlichem Studium der Werke Schönbergs, Bergs und Weberns beschloß Krenek, sich künftig der Zwölftontechnik zu bedienen. Das erste große, in der neuen Tonsprache geschriebene Werk war die Oper „Karl V." nach einem selbstverfaßten, literarisch und geistig anspruchsvollen Text, in dem sich auch die weltanschauliche Entwicklung des Komponisten in diesen Krisenjahren spiegelt. (Die enttäuschenden Erfahrungen, welche Krenek gerade mit diesem Werk machte, sollen bei anderer Gelegenheit ausführlich erzählt werden; sie waren mit ein Grund dafür, daß sich Krenek1 zur Emigration nach den USA entschloß, die er 1937 zum erstenmal besuchte.)

Eine lange Werkreihe ist inzwischen entstanden: für die Bühne, für Kammermusikensembles in verschiedenster Besetzung — und besonders viele Chöre, darunter zahlreiche nach geistlichen Texten, ln diesen Wochen weilt Ernst Krenek in Wien, um dem Musikpublikum seiner Heimatstadt einige davon vorzuführen; darunter auch die „Lamentatio Jeremiae Prophetae“ von 1941/42 und seine neueste Komposition. „Sestina“ auf einen selbstverfaßten Text, in dem der Versuch gemacht wird, aus der seriellen Dichtungsform (die von Troubadours des 12. Jahrhunderts entwickelt und von Dante und Petrarca benützt wurde) eine entsprechende, gleichfalls serielle, musikalische Struktur zu entwickeln.

„Meine Beziehung zur Stadt meiner Herkunft hatte deutlich die Charakterzüge unerwiderter Liebe angenommen“, schreibt Krenek in der eingangs zitierten Selbstdarstellung. Dem bedeutenden Komponisten und glänzenden Musikschriftsteller, der auch in Amerika ein guter Oesterreicher geblieben ist, wünschen wir, daß seine Liebe zur Heimat nunmehr erwidert werden möge.

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