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Ernsthaftes und Scherzhaftes

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Dem Bühnenerstling „Zeit der Schuldlosen“ des namhaften Erzählers Siegfried Lenz, 1961 uraufgeführt, ging der Ruf eines „der interessantesten Beiträge der neueren deutschen literarischen Produktion zum Zeittheater“ voraus. Das Volkstheater zeigt nun das zweiteilige Schauspiel in den Außenbezirken. Es spielt in einem vagen Land der Diktatur. Auf den Gouverneur wurde ein Attentat verübt, das mißglückt. Neun „Schuldlose“, mit dem gefolterten Attentäter in eine Zelle gesperrt, sollen ihm die Namen der Mitverschworenen entlocken. Aber er kann sie nicht nennen, denn was bedeutet schon eine Handvoll Namen? „Da draußen leben Millionen, deren Seufzer ich bis hierher höre...“ Doch der Autor meint gar keine bestimmte Tyrannei und die von ihr Unterdrückten, sondern das Schuldigsein an sich. Darum läßt er den Attentäter sagen, daß man „für die Idee der Liebe sterben“ könne. Und er stirbt auch wirklich, als er von einem der Unschuldigen heimtückisch im Dunkeln erdrosselt wird. Die zweite Hälfte des Stückes spielt vier Jahre später. Die Partei des erwürgten Attentäters ist an die Macht gelangt und will nun den Mörder aus den neun Männern von damals herausfinden. Einer hat Selbstmord begangen. Das Problem der Schuld und Sühne wird jetzt aus der Gruppe der „Schuldlosen“ selbst entfaltet. Einer von ihnen, der Student, der den Diktator beseitigt hat, richtet die anderen und sagt nun das merkwürdige Wort, daß es einen Mord aus Gerechtigkeit, aus Liebe zu den Menschen gebe. Das Geschehen wird von einer Figur, dem „Baron“, das ganze Stück hindurch kommentiert. Als jedoch am Ende über das naive Schuldbekenntnis eines, der sich opfern will, abgestimmt werden soll, schießt sich der „Baron“ in den Mund; nicht nur weil er an der Schuld des Bekennenden, sondern an allem zweifelte.

Die erste Hälfte des Stückes leidet darunter, daß die „Schuldlosen“ keinen echten Gegenspieler haben. Darum wirkt das Nachspiel zur Mordhandlung überzeugender als die Handlung selbst, die teils thesenhaft karg, in guten Augenblicken jedoch dramatisch geballt ist. Die eigentliche Schwierigkeit liegt in der Besetzung der tragenden Männerrollen. Die Schauspieler haben Individuen des realistisch-modernen Alltags als eine Art Querschnitt durch die verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und Berufe (Lastwagenfahrer, Buchdrucker, Bauer, Hotelier, Student, Arzt, Bankier, Ingenieur usw.) und zugleich allegorischzeitlose Sinnbilder zu verkörpern. Diese schwierige Aufgabe gelang In der Inszenierung des Volkstheaters (Regie: August Rieger) nur zum Teil. Von den zahlreichen Mitwirkenden seien hervorgehoben: Jörg Kornmüller als Attentäter, Georg Lhotzky als Student und Richter der „Schuldlosen“, Joseph Hendrichs als „Baron“. Es gab einen lebhaften Achtungserfolg für das Stück. *

Zweimal englisches Lustspiel, zweimal englischer Humor. In dem fälschlich als „satirische Komödie“ deklarierten Stück „Ein wunderbarer Mann“ (Semi-De-tached) von David Turner bringt der Versicherungsagent Mr. Midway die fünfköpfige Familie der Midways durch Pfiffigkeit und spleenige Skrupellosigkeit aus den kleinbürgerlichen Niederungen

^in die ersehnte Nähe der nächsthöheren Gesellschaftsschicht. Die allzu direkte Frivolität, die sich vergebens einen etwas gesellschaftskritischen Anstrich zu geben versucht, wird durch die Kunst der Darsteller im Theater in der Josefstadt (Regie Heinrich Schnitzler) gemildert. Köstlich Theo hingen als Allerweltskerl Mid-

' Yfäy, getreu assistfert'^^vW-'“seiner -ein wenig begritfstützigen Gattin TVilma Degischer). Das Publikum schien sich gut zu unterhalten.

Graham Greene bewegt sich in seinem Lustspiel „Der verbindliche Liebhaber“ (The Complaisant Lover) außerhalb seines wahren Elements: der „Sündenmystik“ seiner Romane. Sein drittes Stück ist eine Komödie der Enttäuschung, eine Variation über das englische Sprichwort, daß die meisten Menschen ihren Kuchen behalten und zugleich essen wollen. Eine Frau steht zwischen zwei Männern, welches Verhältnis schließlich auf Vorschlag des aufgeklärten Gatten zu einem richtiggehenden ehelichen Dreieck werden soll. Greene zeigt sich in dem durchaus nicht frivol, sondern bisweilen sogar nachdenklich wirkenden Stück als ein geschickter Mann des Theaters, besonders in der ersten Hälfte, wo er in unterhaltender Weise die satirische Deflation innerhalb des Dreiecks zeigt. Das Volkstheater brachte unter der Regie von Heinrich Trimbur eine nette Aufführung zustande. Recht gut Egon Jordan als willfähriger Gatte, Harry Fuß als willfähriger Liebhaber und zwischen ihnen Traute Wassler als geliebtes Objekt. Ausgezeichnete komische Typen stellten Kurt Sowinetz als Hoteldiener und Oskar Willner als schwatzsüchtiger Holländer dar. Es gab gute Laune und viel Beifall.

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