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Eroberung durch Erpressung

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Indonesien möchte Holländisch-Westindien haben. Wenn eine Regierung im Innern bedroht ist, sucht sie nach Ablenkung durch Eroberung. Die neuen Herrscher Indonesiens können zwar das Dutzend verschiedenartiger Teile des eigenen Landes weder befriedigen noch befrieden, in Sumatra und Amboina verteidigt sich das Volk mit Waffen gegen die Unterdrückung, sehnt sich schon nach den besseren Zeiten unter den Holländern zurück, aber die Regierung möchte noch ein Land in ihre Gewalt bringen, auf das sie nicht das geringste juristische, ethnologische, historische oder kulturelle Recht hat, dessen gewaltigen Aufgaben sie in keiner Weise gewachsen ist. Das alles macht nichts. Eine Mehrheit von Staaten mit zum Teile gleichen Zielen unterstützt dieses Bestreben bei den Vereinten Nationen. Sie fördern den neuen, schlech-

teren Kolonialismus, wenn er nur von Farbigen ausgeht.

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Man muß Neuguinea besucht haben, um diesen Anspruch voll zu würdigen. Die. zweitgrößte Insel der Erde ist in ihren waldbedeckten Tälern und Schluchten, die sich bis zu gletschergekrönten Bergen — am Aequatorl — erheben, in ihren reich gegliederten Buchten und zahllosen Inseln von einer so rückständigen Bevölkerung bewohnt, daß man sich ins Steinzeitalter zurückversetzt glaubt. Nur bei den Nagas im Nordosten Indiens und bei einigen Indianerstämmen im Herzen Südamerikas kann man gleiche Rückständigkeit finden. Es ist keine leichte Aufgabe, diesen Papuas die Anfangsgründe der Zivilisation beizubringen, konkreter ausgedrückt, sie davon zu überzeugen, daß man sich auch ohne Raub und Mord am Nachbardorf ernähren könne; daß man der reichen umgebenden Natur durch Arbeit die Mittel für eine Befriedigung steigender Bedürfnisse abringen, Sachen erzeugen oder einhandeln könne, die das tägliche Leben wie durch Zauber angenehmer, reinlicher, gesünder gestalten; daß der Glaube Menschen nicht zu Feinden machen müsse, die wegen eines vermeintlichen Zeichens von oben Unschuldige opfern, sondern daß er sie zu besseren, hilfsbereiten Schützern Schwacher und Hilfloser machen könne; daß man Dinge lernen könne, durch die man sich nicht nur mit den Nachbarn im nächsten Tale, sondern mit ganz fremden Menschen verständigen kann.

Diese Erziehung hat im östlichen Teil der Insel, der seinerzeit teilweise von Deutschland kolonisiert war, Australien, im westlichen Holland übernommen. In seinem Teil hat Australien ein Wirtschaftswunder geschaffen, dessen Tempo die Entwicklung im Mutterlande übersteigt. Im Westen versuchen die Holländer mit geringeren Mitteln, aber erheblichen Opfern, die im Jahre 40 Millionen Gulden erreichen, dasselbe. In überraschend kurzer Zeit haben sie einen Teil der Eingeborenen auf eine Stufe gehoben, der viele Teile Indonesiens übersteigt, und dort, wo ihr Einfluß hinreicht, eine Sicherheit geschaffen, wie sie im „befreiten“ Indonesien nirgends mehr,

außer vielleicht im Fremdenschaukästchen Bali, zu finden ist.

Zu diesem Erfolg haben die Missionen nicht wenig beigetragen. Im Norden arbeiten die protestantischen, im Süden die katholischen Missionen. Würde die'indonesische Hetze gegen alles Christliche — nicht weil es christlich ist, sondern weil es von Weißen stammt — herübergreifen, so müßte dieses opfervolle und gefähr-liche Werk eingestellt werden.

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Zwischen den Eingeborenen und ihren Zivilisatoren liegen ein paar Jahrtausende. Sie zu überbrücken braucht viel Erfahrung, Geduld und Opfermut. Die Sprach- und Verkehrsschwierigkeiten sind gewaltig. Straßen gibt es fast nur an der Küste, und auch die sind zum Teil ein Erbe der amerikanischen Besetzung. Im Innern des Landes gibt es nur Fußpfade durch das Dickicht, der wirkliche Verkehr vollzieht sich in einfachen, bescheiden eingerichteten, aber sicheren Flugzeugen. Selbst die höchsten Beamten verlangen bei ihren Dienstreisen weder Sonderbehandlung noch Luxus, wie es eine neue Beamtenschaft in jungen Ländern tut, um ihre frische Herrschaft auszukosten.

Es ist den Holländern aber schon gelungen, einen kleinen Teil der Bevölkerung aus dem Urzustände herauszuheben, der als Kern für die Verbreitung der Zivilisation dient. Es gibt schon einige Papuas, die Kooperativen verwalten, Ersparnisse anlegen, in modernen Häusern wohnen. Ihre Frauen können einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine bedienen. Ihre Kinder haben die erforderliche Vorbildung, um die weiße Schule zu besuchen. Es gibt keine Rassenunterschiede, nur Bildungsunterschiede. In einem Dorfe bauten die Eingeborenen selbst mit abgespartem Gelde eine prächtige Schule, damit ihre Kinder dort die neuen Zaubereien lernen können. Das haben die Holländer in ein paar Jahren, seit sie ihre Energie auf diese Kolonie verlegten, vollbracht; man kann ausrechnen, wie lange es dauern wird, um ohne Gewalt Wilde in zivilisierte Menschen zu verwandeln.

Eine solche Entwicklung kann nicht überstürzt werden und ist nur in einer ruhigen politischen Atmosphäre, ohne Schlagworte und Aufhetzung, möglich. Dazu braucht man die Erfahrung einer jahrhundertealten Praxis, die noch vor hundert Jahren, als „Multatuli“, der Eingeborenenfreund D e k k e r, seine Bücher schrieb, plump war, sich aber seither zum besten Kolonialsystem der Erde entwickelt hat. Erfahrene, in Indonesien geschulte Kolonialbeamte, weiße und auch einige indonesische, sind* herübergekommen“ und dienen mit- Hingebung der. Entwicklung des Landes: mancher ist aus Indonesien herübergekommen und zieht die schwere Arbeit in einem primitiveren Lande dem Dienste in der alten Heimat unter neuen Herren vor. Auswanderung nach Indonesien kommt kaum vor. In der Richtung de? Wanderungsstromes liegt Anerkennung und Krit'k.

Welches Los Fremden und fremden Unternehmungen in Neuguinea unter indonesischer Herrschaft blühen würde, zeigt dem kurzsichtigsten Optimisten ein Blick auf Indonesien. Ein Land, das das reiche Erbe Hollands nicht verwalten kann, sondern vergeudet; in dem sich schon die Züge des Verfalls zeigen, weil man das Versprechen föderalistischer Gestaltung aus Machtgier brach; das auseinanderzubrechen droht, will sich die schwere Aufgabe zumuten, ein-ganz verschiedenes Volk zu zivilisieren. Was herauskommen kann, kann man sich ausmalen. Die Australier und die wenigen Papuas, die verstehen, um was es geht, malen es sich bereits aus und bereiten einen härteren Widerstand als selbst die Holländer vor.

Die Herrscher Indonesiens wollen nun ihr Ziel, die Auslieferung der Bevölkerung von „lrian“, wie sie Holländisch-Neuguinea nennen, durch Erpressung an Hilflosen erreichen. Sie richtet sich gegen die 46.000 unschuldigen Holländer und deren Familien, die so unvorsichtig waren, den indonesischen Versicherungen zu trauen, die ihnen volle Sicherheit für sich, ihre Familien und ihr Vermögen versprachen. Was von solchen Versicherungen zu halten, ist, zeigt der mörderische Feldzug gegen Wehrlose, denen man Wasser, Nahrungsmittel und Elektrizität verweigert, und die Ausreise nach berühmten Mustern, wenn überhaupt, nur ausgeraubt gestatten will. Die Indonesier haben sich ausgerechnet, daß das holländische Vermögen in Indonesien immerhin noch 40 Milliarden Schilling wert ist, also viel mehr, als ganz Holländisch-Neuguinea. Durch die Bedrohung Hollands in diesem Vermögen wollen sie ihren rechtlosen Anspruch auf Neuguinea durchsetzen, also durch Raub und Erpressung im Dienste der internationalen Politik, im Schatten der Vereinten Nationen.

Würde selbst Holland dieser Erpressung weichen, Neuguinea in die Hölle der indonesischen Verwaltung fallen lassen, Verrat an

dessen Bevölkerung üben, so würde es damit nicht mehr gewinnen als eine Atempause. Nachdem man sich von der Wirksamkeit der Erpressung überzeugt hat, würde der nächste Scheinanlaß dazu dienen, sie neuerlich anzusetzen. Die holländischen und nicht nur die holländischen Anlagen in diesem Lande, wie in

allen ähnjicher Struktur, sind schon verloren, die persönliche Sicherheit der Fremden, und nicht nur der Fremden, ist zerstört, die Kulturarbeit von Jahrhunderten ist untergegangen. Beispiele erfolgreicher Erpressung machen rasch gefährliche Schule. Unrecht, das sich lohnt, verbreitet sich!

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