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Eröffnung des erneuerten Grazer Opernhauses

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Es ist ein bleibender Ruhm für die Grazer Oper, an die Spitze der Eröffnungsvorstellungen im erneuerten Haus keine der bei solchen Gelegenheiten üblichen Festopern gestellt zu haben, sondern ein modernes Werk — und welch ein Werkl —, nämlich Hindemiths „Mathis der Maler“. Die zweitgrößte Opernbühne Oesterreichs ist damit einer Verpflichtung nachgekommen, deren sich zuerst das Linzer Theater erinnert hatte und die die Wiener Staatsoper noch immer nicht erfüllte.

Von dem Augenblick an, da zum erstenmal die Posaune den Cantus firmus „Es sungen drei Engel ein süßen Gesang“ anstimmt, bis zu der Szene, in der das alte Lied auf den Lippen der sterbenden Regina zerbricht, steht der Weg des Malers Mathis Neithart vor unseren Augen, der Weg, der auch der des Meisters Hindemith war: ein Weg, zu gehen durch alle Wirrnisse der Welt, durch alle Versuchungen der Un-Ordnung hindurch, als ein anderer Antonius, bis zur Erkenntnis des Auftrags des Ewigen, der wiedergefundenen Sinnmitte unserer Existenz, einer Erkenntnis, die ihm in den helfenden Worten des heiligen Paulus wird: „Laßt uns dem Bcdcn danken, laßt uns den Himmel preisen!“ Das ist der Auftrag, in der Welt zu sein, doch nicht von der Welt. Es ist der Weg des schöpferischen, mehr noch, des Menschen, auch unserer Tage. Hier liegt nicht einfach ein ethisch hochstehendes Werk vor, sondern ein gläubiges, das Vermächtnis einer Künstlerpersönlichkeit, die sehr wohl den Weg zu weisen vermag, weil sie ihn selbst hatte gehen müssen.

Die musikalische Sprache rührt an die Seele, obwohl hier kein Takt auf Effekt gearbeitet, die Musik nie Illustration ist, sondern immer gedrängteste Aussage. In hochgespannten Melodiebögen, kämpferischen Reformationschorälen, gregorianischen Weisen, rhapsodischen Streichergängen steigert sich die musikalische Schöpfung bis zur zentralen „Versuchung des heiligen Antonius“, jenem flirrenden, peitschenden Getriebe der Sünde, türmt sich auf in den leuchtenden Akkordfolgen des Allelujahgesanges und mündet endlich in die einfachste und schlichteste Aussage des Schlusses in der Grablegung allen Hoffens, Strebens, Liebens im Angesicht des Gekreuzigten, vor dem Altar.

Wie wenig „Schrecknisse“ diese Partitur heute, mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung, dem Opernbesucher bietet, beweist die ergriffene Zustimmung des sonst so konservativen Grazer Publikums. Dem Werk wurde aber auch eine Wiedergabe zuteil, der man den tiefen Ernst und die künstlerische Hingabe aller Beteiligten anmerkte. Vor allem verdient die unnaturalistische Bühnengestaltung durch H. Ludwig hervorgehoben zu werden: in vornehmer Stilisierung beherrscht der Rahmen des Isen-heimer Altars alle Szenen. Der Regisseur A. D i e h 1 findet zu einem eher statischen Stil der Darstellung, der jedoch die Konvention noch nicht ganz überwunden hat. G. Czerny hat Orchester, Chor und Solisten bestens vorbereitet und hält sie sicher in der Hand. „Sie sungen, sie sungen alle so wohl“, könnte man mit dem Fastenlied, das dem Werk Leitmelodie ist, sagen. Ueber das beachtliche Niveau des Grazer Ensembles ragt noch um ein gutes Stück der Mathis Otto Wieners hinaus: eine Meisterleistung! — Die Premiere fand vor einem hochgestimmten Publikum statt, das nicht zuletzt auch gekommen war, das ganz in Weiß und Gold prangende Haus zu bewundern.

Tags darauf ging als zweite Eröffnungspremiere Adolphe Adams Spieloper „W enn ich König war'“ in Szene. Regisseur und Dirigent hatten das Operchen gründlich umgearbeitet und es als modernes Märchen den Zusehern vorgestellt. Die Musik — zwischen Rossini und Offenbach — ist so „mignonne“ wie die bekannte Ouvertüre. Ein internationales Ensemble extemporierte lustig mit Anspielungen auf die eigene Herkunft. — Die musikalische Substanz, die der Grieche Caridis als Dirigent wirkungsvoll betreute, ist im wesentlichen durch die Ouvertüre aufgezehrt, so daß die Regie (Paul Graf) die so entstandene Lücke durch leider etwas kasperl-hafte Operettengags zu füllen suchte. Man fand das Ganze übereinstimmend „recht nett“ und ging doch irgendwie unbefriedigt von dannen. — Doch war dieser Abend ein guter Uebergang zum leichten Genre, das mit dem „Spitzentuch der Königin“ von J. Strauß seinen heurigen Anfang nahm. Die Textfassung von R. Oesterreicher ist handwerklich geschickt gemacht (nur der 3. Akt fällt ab). Die Inszenierung J. Kepplingers ist sauberes, solides Operettentheater mit viel Walzerseligkeit, Temperament und dem unvermeidlichen Schuß Sentimentalität, das es nicht nötig hat, zu den Mitteln der Revue zu greifen. — Zu guter Letzt gab es noch eine Reprise aus dem Vorjahr, den „Rose n-k a v a 1 i e r“, über dessen bemerkenswert hohes Niveau trotz einiger Bedenken seinerzeit in der „Furche“ berichtet worden war. Oskar Czerwenkas lebens- und kraftstrotzender Ochs ist auch diesmal der unbestreitbare Mittelpunkt.

Es waren festliche Tage für die Grazer Opernfreunde im schön erneuerten Haus, gefeilte und künstlerisch hochstehende Leistungen und vor allem die Bekanntschaft mit einem der gewaltigsten Werke unseres Jahrhunderts. Hoffen wir, daß ein Abglanz dieser Tag-: auch auf die ganze Spielzeit fällt.

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