Eros als zeitweiliger Gast

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Umberto Galimberti bietet keine Rezepte, aber dafür tiefgründige Einblicke in die "Liebe".

Der italienische Anthropologe und Psychoanalytiker Umberto Galimberti hat ein anspruchsvolles Buch über die Liebe geschrieben, welches einen irreführenden Untertitel trägt: Eine Gebrauchsanweisung. Da erwartet man sich konkrete Hinweise auf wiederkehrende Fehler, gute Ratschläge, Fallbeispiele. Nichts von alledem enthält dieses Buch. Der Autor verwebt Gedanken von Sokrates, Platon, Schopenhauer, Nietzsche, Freud, Jaspers und vielen anderen mit seinen eigenen. In 19 Kapiteln umkreist der Gelehrte die Himmelsmacht, die so viel Leiden schafft, jenes weite Feld, auf dem sich jeder junge Mensch als Experte fühlt und die meisten in späteren Jahren auf einen Scherbenhaufen blicken: Eros.

Die erste Feststellung von Galimberti lautet: "In unserer Zeit wird die Liebe für die eigene Selbstverwirklichung unverzichtbar, aber auch unmöglich wie nie zuvor: Was in der Liebesbeziehung gesucht wird, ist nicht der andere, sondern die Selbstverwirklichung durch den anderen." Die von der technischen Rationalität beherrschte Gesellschaft gewähre dem Menschen keinen Raum mehr, er selbst zu sein. "Als Gegengewicht muss die Liebe zum einzigen Zufluchtsort des Sinns, zum Ort für Entdeckungen, zum Übungsgelände für die eigene Freiheit werden. Das geht an die Grenzen der Anarchie."

Das Buch ist keine Anklage gegen die Liebesunfähigen oder die Sex-Besessenen. Es erinnert vielmehr an die Einsicht, die schon Platon besaß: Eros ist ein Einbrecher und zeitweiliger Gast im Haus unseres Ichs. Die Liebe ist nicht etwas, worüber das Ich verfügen kann, sondern etwas, das über das Ich verfügt. Die derzeitige Krise der Ehe, die die gesamte westliche Welt charakterisiert, bedeutet, ganz unabhängig von individuellen Schicksalen, dass wir in unserer Kultur keinen Begriff der Liebe haben, der sich nicht in der Leidenschaft erschöpfen würde. Diese verfliegt bekanntlich rasch. Wenn eine selbst gewählte Verpflichtung eingegangen wird, eine Ehe, die auf Leidenschaft gegründet ist, läuft es unweigerlich schief. Leidenschaft ist eine passive Haltung. Als tragfähige Basis für eine Ehe sollte der Mensch erkennen, dass er aktiv die Liebe erschaffen muss, immer wieder aufs neue. Die Liebe ist eine Beziehung, keine Verschmelzung. Vor der Selbstpreisgabe kann gar nicht eindringlich genug gewarnt werden, denn sie führt in die totale Abhängigkeit.

"Die Angst, dass niemand uns beschützen könnte, oder die schreckliche Unsicherheit, womöglich abgelehnt und verlassen zu werden, sind die Alpträume der Kindheit, aber auch die Gespenster des Erwachsenenalters." Eifersucht, man weiß es, enthält mehr Eigenliebe als Liebe. Umgekehrt belebt der Ungetreue im Seitensprung seinen kindlichen Narzissmus, stärkt sein Selbstvertrauen, befriedigt seine Selbstliebe, die nichts mit der Liebe zu einem anderen Menschen zu tun hat.

Wer einmal nicht mit simplen Rezepten abgespeist werden will, sondern in den Abgrund schauen möchte von Liebe und Verführung, Liebe und Geld, Liebe und Einsamkeit, Liebe und Hass, Liebe und Wahnsinn, wird in Galimbertis Buch fündig werden, vielleicht auch ein bisschen traurig; auf jeden Fall wird er begreifen, dass er mit seinen Qualen nicht allein ist.

LIEBE

Eine Gebrauchsanweisung

Von Umberto Galimberti

C. H. Beck Verlag, München 2006

223 Seiten, geb., Euro 15,40

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