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EROS UND „MORALISCHE ANSTALT“

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Laienspiel- und Amateurtheaitergruppen treffen sich seit elf Jahren im obersteirischen St. Lambrecht, um dort die Ergebnisse ihrer Arbeit vorzustellen, diese kritisch zu prüfen, Voraussetzungen und Ziele bewußt zu machen. Die Darbietungen umfassen das gelegentliche Spiel einer Volksschulklasse wie die Inszenierung eines Amateurtheaters mit festem Spielplan. In den Spielleitergesprächen werden nicht Stäbe gebrochen, sondern Maßstäbe gesucht; in Referaten und Diskussionen Horizonte erweitert, nicht Grenzen gesetzt.

Diesmal war „Eros im Spiel“ das Motto, an dem sich gegenwärtiger Stand und Richtungen der Spielarbeit aufzeigen lassen, was hier an Hand einiger Stichworte aus Referaten und Gesprächen versucht werden soll. Der Ausdruck „Spiel-iarbeit“ enthält einen Widerspruch, er verdeutlicht aber jene Spannung, welche die Praxis zeigt: Spiel aus reiner Freude und guter Meinung einerseits, Erarbeiten des Handwerklichen, der Ausdrucksmittel anderseits. Aber das ist nicht mehr so neu, und eine Synthese größeren Ausmaßes läßt noch auf sich warten. Zur Freude am Spiel und zum Bemühen um gekonntes Theater kommt langsam aber merklich der Zug zum Engagement im Medium des Theaters, auch der Amateure. „Eros im Spiel“ ist im Grunde eine Tautologie, bedeutet als Motto aber nicht nur eine allgemeine Grundlagenbesinnung, sondern auch eine gewisse Stellungnahme gegen die Spielpraxis in bestimmten Gruppen der Gesellschaft und ihren Institutionen. Es war aber ebenso als Anstoß zur rechtzeitigen Überprüfung der Standfestigkeit gegenüber der Sexwelle gedacht, die das Amateurtheater zwar noch nicht überrollt, aber einen kräftigen Sog hat, nicht wegen des Ideals der Hemmungslosigkeit, sondern durch ihre ideologischen Grundlagen. Es ging also auch um ein Engagement für und — so weit es um bestimmte Gruppen ging — auch gegen die Gesellschaft.

Spiel wurde lange Zeit vorwiegend im Rahmen der Erziehung Jugendlicher gepflegt (bei Erwachsenen lief es eher unter Herzensbildung), also durchaus in moralischen Anstalten. Die Forderung einer amoralischen (nicht unmoralischen)

„Das greuliche Festmahl", ein Urwaldmusical nach Hestroy

Spielhaltung (Werner Simon, München) mußte manche Teilnehmer schockieren.

Daß man (dennoch) die Bühne als moralische Anstalt im Sinne Schillers betrachten kann, zeigten die tiefenpsychologi- Bchen Ausführungen (Dr. Baxa, Graz):

Erziehung und Umwelt beschränken die Selbstverwirklichung des Menschen, die von seiner Libido angestrebt wird. Was dieser im Alltag versagt ist, kann sie im Spiel verwirklichen, ähnlich wie im Traum. Spiel hat also Komplementär- funktion. Damit erfüllt es durchaus erzieherische oder gar heilende Aufgaben, ist damit aber noch lange nicht „moralisch“ im heutigen Sinn.

Auswüchse des Sex werden von Erziehern mit Recht bekämpft. Ist aber diese Sexwelle nicht vielleicht auch eine Reaktion auf eine blutleere, weil mißverstandene Agape? Müßte sich die Entrüstung der Filmbeurteiler nicht auch auf Filme der „Grausamkeitswelle“ erstrecken? Können Erziehungsmaßnahmen statt negativ (gegen bloßen Sex) nicht auch positiver Art sein, indem man zu einem gesunden Eros erzieht? In der „ guten“ Spielliteratur geht es um Pflicht, Opfer, Jenseitsstreben. Dafür herrscht in vielgespielten Volksstücken oft die Zote und die schlüpfrige Halbheit.

Auch Prüderie hat ihre Geschichte. Sie ist heute vielfach vom Sexuellen zum Gefühl übergewechselt. Man ist sehr empfindlich für die Echtheit des Gefühls. Aber nur vom Unterspielen, von Distanzierung und geistreichen Dialogen lebt das Theater nicht. Das Miteinander-ins-Spiel-Kommen, die Freude am Spielpartner, Anziehung und Abstoßung als

Handllungsimpulse im Spannungsfeld des Raumes, bewegte Ausdrucksgestalt des Leibes sind auch erotische Momente, die das Theater braucht, nicht nur, um nicht steril zu werden. Das gilt aber nicht bloß für die Texte, viel mehr noch für die Spielleiter, die sich um Wort und Gedanken bemühen, statt um Verieibli chung. Das Hintergründige müßte mehr vom Anschaulichen ausgehen, von der Aktion zwischen Menschen, die sich am Wort entzünden. Theater ist von der Schaustellung nicht zu trennen, Eros braucht das Schöne, nicht so sehr das „Pin-up“ als das, was die Sache trifft, und deshalb schön und wahr ist. Wahrheit ist das Kriterium für Schönheit und Gefühl geworden.

Allerdings ist dies für viele ein Freibrief für schmutzigen Blut- und Sexnaturalismus. Namhafte Kritiker (unter anderem Siegfried Melchinger in „Theater heute“) wurden zitiert und diskutiert: Tragödie ist nach wie vor Schocktherapie, Schauer sei heute nur noch durch Blut und Sex zu erregen. Daß Liebe brennen kann, sei bei ihrer weitgehenden Konven- tionalisierung für viele nur noch an der Abartigkeit erfahrbar. Das Ordinäre würde allerdings schwinden, wenn das „Piekfeine“ fehlt. Das Häßliche sei ein Bekenntnis zu dem, was aus dem Alltag verdrängt wird.

Wozu will man sich also bekennen, wonach will man beurteilen? Darstellendes Spiel soll die Wahrheit des ganzen Menschen zeigen und dem Theater geben, was des Theaters ist: Leiblichkeit und Eros. Man sollte nicht so sehr gegen Schamlosigkeit als gegen Charmelosigkeit wettern. Moralismus und Ästhetizismus sind keine gültigen Kriterien. Zu vermeiden ist, was peinlich ist: das Anzügliche, Zweideutige, Halbverhüllte und so weiter. Also doch wieder Prüderie? Man sollte nicht vergessen, daß vor allem das peinlich wirkt, was nicht gekonnt ist, unorganisch ist, mit schmutziger Absicht aufgesetzt ist; also Sex, der nicht motivisch verankert ist, nur auf Publikums Wirksamkeit und Kommerz zielt; oder verklemmter, darstellerisch nicht gestalteter Sex. Mit dieser Überlegung sind wir aber bereits mitten in der Praxis der Spielarbeit, die in St. Lambrecht die Theorie mehr als illustriert hat, ja sie begründete oder sie für weiterführende Fragen offen hielt.

Zunächst Eros in kindlicher Form: Im Märchen wird geheiratet, aber nicht geliebt; es zeigt Schreckliches, aber kein Blut. Wieviel offene, anschaubare mitmenschäiche Spannung hat Spiel von Kindern, wo es kindlich bleibt und dem Tatendrang Handlungsaufgaben gestellt werden! Das gelang der Volks- und Hauptschule St. Lambrecht mit „Schwan kleb an“ (von Marianne Garff) und mit „Schwabenstreiche“ (von Margerethe Cordes); Es mißlan'g d'ėt- Htiuptšchutė Scheifltüjj

mite„Fj;ąuzjska und die drei Freier“ (nach Hans Sachs , von Herbert Kranz), weil die Spieler sich selbst überlassen blieben, der Text bei ihnen nicht zündete und daher auch die Zusehen1 kalt ließ. Es wurde problematisch bei pubertierenden höheren Schülern (1. BG Graz), die ihre Art der Bursch- Mädchen-Beziehung ohne darstellerische Aufgabe (dafür mit vom Spielleiter her einfließendem Moralin) mit der eigenartigen Spielemulsion „Auf eigene Faust“ darstellen mußten. Da wäre es schon besser gewesen, den Spielleiter aus den eigenen Reihen zu nehmen, was die 6 a der BEA Liebenau sehr selbstbewußt, ahne Notwendigkeit, aber erfolgreich tat. „Das greuliche Festmahl“ (von Johann Nestroy, mit musikalischer und textlicher Bearbeitung von Gottfried Kellermayr) wurde ein turbulenter Spaß mit vielen Spielpointen, welche den Textpointen zwar öfters den Atem nahmen und sich gelegentlich der Kontrolle des mitspielenden Spielleiters (auch bei ihm selbst) entzogen, aber gerade dadurch eine herrliche, unschulmäßige Vitalität sichtbar machten, die auch die einzige (außerschulische) Spielerin einbezog. Auch bei den „Schwabenstreichen“ gelang die sonst bei jeder Nähe zum Rüpelspiel fragwürdige Einbeziehung des Weiblichen.

„Das Romeo-und-Julia-Thema in der Literatur“ war der Versuch einer literarischen Revue (von Ingo Wampera) im Dienste der Verlebendigung des Literaturunterrichtes am Mus. Päd. RG Murau und stellte Entsprechungen zur „Balkonszene“ Shakespeares bei Kleist, Anouilh und Oehlschle- gel zusammen. Dies zeigte die literarische Wandlung der feindlichen Adelsfamilien über gegensätzliche psychische Anlagen und Umweltseinstellungen bis zur gesellschaftstrennenden Mauer in Berlin sehr interessant auf, jugendliche Erotik war durchaus da, kam aber nur dort ins Spiel, wo die Gestaltungskraft der Spieler die literarische Form erfüllen konnte. Das Besondere des Versuches, Literatur neben der rationalen Durchdringung durch die Schule unmittelbar erlebbar zu machen, und zwar mit Hilfe, nicht zum Zwecke der Darstellung, ist unter dieser Voraussetzung durchaus zu bejahen.

So weit das Schulspiel. Als Übergang zum Amateurtheater mögen zwei Beispiele des Spieles von Jugendgruppen veranschaulichen, wie man es nicht machen soll — nicht aus moralischen, allein aus Gründen des Könnens. Bloß gut gemeint war „Robinson soll nicht sterben“ (von Friedrich Forster) von der Spielgruppe des Katholischen Familienverbandes Klagenfurt. Wirkungsbewußte Routine, krampflge Komik, weinerliche Tragik um den Zuschauern Freude zu machen! Es ist schade, daß ein verbildetes Publikum durch seinen Beifall noch zur Verbildung an sich begabter Spieler beiträgt. Falsch verstandenes, weil gewaltsames Engagement zeigte die Laienspielgruppe Perchtoldsdorf mit ihrer „Zer- szenierung“ von „Es gibt immer zwei Möglichkeiten“ (Anny Tichy). Mit liebenswürdiger, aber treffender (weiblicher!) Ironie soll hier Alexander der Große als Politiker und Mann entmythologisiert werden. Die „fast historische Komödie“ wurde bis zum Widerspruch mit den Gestalten des Stückes aktualisiert, der Konversationston des Textes durch metallige Härte zum Blech. Dieser Spielleiter hatte Ideen, Mut, echtes Engagement. Doch der Träger seiner Ideen, das Stück, hielt dem groben Meißel nicht stand und zerbrach, nicht nur stilistisch. — An beiden Beispielen konnte die Diskussion frucht-

bare Argumente entwickeln, der Spielleiter der Perchtolds- dorfer tat eifrig mit, für die Klagenfurter dürfte die Diskussion nutzlos gewesen sein.

Perfektes Theater boten zwei ausländische Gruppen. Perfektes ist nicht immer auch gut. Beim „Theater im Kolpinghaus", Rosenheim, waren „der Lügner und die Nonne“ (von Curt Goetz) zwei gewiegte Spieler mit herrlicher Spiellaune und unbekümmerter Erotik. Bei Frau von Schicketanz und dem Spielleiter-Kardinal (von zwei ehemaligen Berufsschauspielern dargestellt) merkte man der Perfektion etwas kühle Rechnung mit Wirkung (vielleicht auch mit Finanzen) an. Man hat heute nichts mehr gegen eine Zusammenarbeit zwischen Berufstheaterleuten und Amateuren, sofern sie nur fruchtbar ist. Ein Amateur kann vom Schauspieler manche Technik lernen, ein Profl eine erfrischende Unbekümmertheit wieder erlangen. Auf der Bühne sollte man dann aber keine Brüche spüren. Perfektes Theater bot auch das Amateurthea

'Vi

ter „Slava Klavora“ aus Maribor mit „Wo ist die Grenze“1 (von Josip Ogrinec) und „Das ehrenhafte Mädchen“ (von Miroslav Vilhar) und bewies damit, wie elegant und präzise man auch Volksstücke spielen kann.

Nun zu den gelungensten Aufführungen: Die „Spectral" - Bühne Wien brachte Entscheidendes zum Thema, gekonnt und konzentriert. „Bei geschlossenen Türen“ (von Jean Paul Sartre) enthält einen Kernsatz Sartres: „Die Hölle, das sind die anderen“, also eine Umkehrung des Eros. Dies wurde sehr gekonnt dargestellt, ging unter die Haut und wurde sogar bei solch behutsamer Darstellung der Frau-Frau-Beziehung nicht peinlich. Da spielte viel Intellekt, konnte aber die Spannung nicht ganz durchhalten. Einige störende Bildwirkungen entgingen dem Spielleiter, seine etwas stereotypen Gesten bei seinen Mitspielern. In dieser Hinsicht wurde in Lambrecht dreimal klar, daß der Spielleiter eher vor als auf die Bühne gehört.

Das Zweigespann Politik-Eros, ironisch betrachtet, das den Perchtoldsdorfem nicht gelang, glückte den „Spielvögeln“ Graz. „Das Opfer Helena“ (von Wolfgang Hildesheimer), ursprünglich ein Hörspiel, wurde durch eine geschlickte Inszene auch ein Schauspiel. Auch, oder gerade im Konversationston wurde die Bitterkeit darüber deutlich, daß sogar Eros nur eine Karte kn Spiel der Machthungrigen ist. Feine Ironie kann empfindlicher treffen als massive Anklage. Ironie und Eros (hier wird Paris durch Helena verführt) waren bei bewußter Regie charmant und locker. — Den Höhepunkt brachte das Amateurtheater „La Colombe de Fribourg“ mit der „Ballade des Fremden“ (von Charles Besoussan, Musik von Arghyris Kounadis). Hier gelang Synthese auch in der Praxis: Die Leiter und Autoren sind Schul- und Theaterleute, das selbstgebaute Stück kann literarischen Anspruch erheben. Pantomime, Text und Musik waren eine organische Einheit. Individuelles Schicksal und gesellschaftliches Engagement in gegenseitiger Durchdringung und Erhellung wurden lebendig in einem hinreißend leibhaften, bildkräftigen Agieren, das mit seiner Dichte bezwang und zu beglückendem Schauen löste.

Pros im Spiel und moralische Anstalt mögen theoretisch • -' unterscheidbar sein, im Alltag einander bekämpfen. Wo darstellendes Spiel in höchster Form gelingt, lösen sich die Gegensätze auf. — Dank und Anerkennung für die Ermöglichung und Gestaltung der fruchtbaren Lambrechter Tage gebühren den Veranstaltern (Steir. Volksbildungsreferat und Landesjugendreferat) und der künstlerischen Leitung (Ingo Wampra).

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