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Daniel Glattauers intelligente E-Mail-Liebesgeschichte: "Gut gegen Nordwind".

In der neuesten heimischen Prosa gibt es einen Hang zum Originellen, zu jener Art von Experiment, die dem Unterhaltungsbedürfnis nicht in die Quere kommt. Die Dialogform scheint sich hier anzubieten, als Interview wie bei Wolf Haas' "Das Wetter vor 15 Jahren" oder als E-Mail-Korrespondenz wie in Daniel Glattauers neuem Roman, dessen Titel ebenfalls meteorologisch getönt ist."Gut gegen Nordwind" erfüllt dabei natürlich das sehr alte Muster des Briefromans. Mit den technischen Möglichkeiten verändert sich die Briefgestalt: Auch das Mailen lässt Raum für die großen Bekenntnisse und Analysen, doch mitunter verkehrt man quasi life, spontane Reaktionen und elliptische Kürzestantworten sind möglich, ein Schlagabtausch wie im Gespräch.

Kein Wunder, dass der Feuilletonist Daniel Glattauer sich auf diesem Terrain bewegt wie ein Fisch im Wasser: Hier kann er seiner Lust am Formulieren, an der Pointe und am individuell maßgeschneiderten Stil freien Lauf lassen (nur die dritte Person, die sich später in die Korrespondenz hineindrängt, wirkt sprachlich nicht ganz authentisch).

Schnippischer Dialog

Die Protagonisten und Mailpartner verdanken ihr Schreib-und Lebensglück einem Versehen: Weil Emmi Rothner die Zeitschrift Like abbestellen will, aber irrtümlich Leike in die Adresse tippt, landet ihre Nachricht bei einem Mann mit dem leicht artifiziell anmutenden Namen Leo Leike. Es entspinnt sich ein zunächst schnippischer, bald herzlicher und schließlich unverhohlen anzüglicher Dialog, dessen Reiz bis zum Schluss darin liegt, dass Er und Sie einander ein nur unvollständiges Bild von sich zeichnen. So können Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit zwischen ihnen zirkulieren, mit denen sie spielen, die sie bald bestätigen, bald in Frage stellen. Emmi verrät immerhin, dass sie mit einem älteren Mann glücklich verheiratet ist, zwei Kinder hat und Homepages gestaltet. Da Leo Leike praktischerweise Sprachpsychologe ist, erstellt er aus Emmis Mails ein kühnes Schreiberinnenprofil (Schuhgröße 36, zierlich, quirlig, dunkelhaarig), was ihr wiederum schmeichelt. Zugleich versucht sie, den virtuellen Freund auf Distanz zu halten: "Ich bin für Sie wie Telefonsex, nur halt ohne Sex und ohne Telefon. Also: Computersex, nur ohne Sex und Bilder zum Herunterladen. Und Sie sind für mich reine Spielerei, eine Flirt-Wiederauffrischungsgarnitur."

Zweite Stimme

All diese Manöver dienen in erster Linie dazu, die Neugier anzufachen: Man arbeitet auf ein persönliches Kennenlernen hin. Da trifft es sich wiederum gut, dass Emmi und Leo in derselben Stadt wohnen, ein Umstand, der sie gar nicht zu überraschen scheint. Wo die Stadt liegt, geht aus der Email-Adresse nicht hervor, wie sie heißt, wird nicht verraten, gewisse lexikalische Eigenheiten deuten auf Wien, andere auf Deutschland: Die Mailpartner sagen nicht, wie hierzulande meist eingedeutscht, "das Mail", sondern wie im Norden (wo man offenbar "die Post" mitdenkt), "die Mail".

Das erste Treffen im Kaffeehaus kommt nicht zustande, weil Leo beim Begräbnis seiner Mutter seiner Exfreundin begegnet. Das zweite findet zwar statt, aber unter gewissen Spielregeln der verdeckten Ermittlung, sodass nach wie vor offenbleibt, wie der/die andere ausschaut. Glattauer führt anschaulich vor, wie man sich schriftlich verliebt. Es beginnt mit der gegenseitigen Versicherung einer Seelenfreundschaft. Der Mailpartner erfüllt jene Wünsche, die im realen Leben sonst unerfüllt bleiben. "Sie sind wie eine zweite Stimme in mir, die mich durch den Alltag begleitet. Sie haben aus meinem inneren Monolog einen Dialog gemacht. Sie bereichern mein Innenleben. Sie hinterfragen, insistieren, parodieren. Sie treten in Widerstreit zu mir", schreibt Leo seiner Emmi. Wie aus der Dramaturgie der Screwball-Comedy bekannt, verfügt die Streitlust über ein beträchtliches erotisches Potenzial. Dabei bahnt sich ein Rollentausch an: ER erklärt Aussehen und Sex für Fragen von sekundärer Dringlichkeit, SIE ist es, die verbal immer zur Sache kommt.

Daniel Glattauer erzählt diese Geschichte klug und amüsant, und, dank seinem virtuosen Umgang mit retardierenden Momenten aller Art, auch spannend. Hie und da ist eine Wendung des Geschehens vorhersehbar, das Ende, das hier tabu bleibt, ist aber ganz und gar nicht glatt. Es macht aus einem gehobenen Unterhaltungsroman eine intelligente Liebesgeschichte - die ideale Lektüre für schlaflose Menschen: Gut gegen Nordwind eben.

Gut gegen Nordwind

Von Daniel Glattauer

Deuticke im Zsolnay Verlag Wien 2006

223 Seiten, geb., Euro 18,40

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