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Ersatz für Hofmannsthal

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RICHARD STRAUSS-STEFAN ZWEIG: BRIEFWECHSEL. S.-Fischer-Verlag. 179 Seiten. Preis 14.80 DM.

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RICHARD STRAUSS-STEFAN ZWEIG: BRIEFWECHSEL. S.-Fischer-Verlag. 179 Seiten. Preis 14.80 DM.

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Nachdem am 24. Juni 1935 im Dresdner Opernhaus die komische Oper „Die schweigsame Frau“ von Richard Strauss und Stefan Zweig uraufgeführt worden war, erhielt die deutsche Fachpresse die Weisung, den Namen des Textautors nach Möglichkeit unter den Tisch fallen zu lassen. Worauf ein vor kurzem verstorbener deutscher Musikkritiker schrieb, der Librettist gehöre zu jenem Zweig der Literatur, von dem jetzt nicht mehr gesprochen werden soll. — Nach drei erfolgreichen Aufführungen mußte, auf einen Wink von oben, das Werk abgesetzt werden. Stefan Zweig selbst war der Premiere femgeblieben. Dies war die Atmosphäre, in der sich die Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Stefan Zweig abspielte.

Als Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1929 in seinem Haus in Rodaun bei Wien gestorben war, glaubte Richard Strauss, sein Opernschaffen sei beendet. („Arabella" war ihr gemeinsames Abschiedswerk gewesen.) Aber bereits im Winter 1930/31 vermittelte der Leiter des Insel-Verlages, Dr. Kippen- berg, die Bekanntschaft zwischen dem Komponisten und dem ehemaligen Insel-Autor Stefan Zweig. Die beiden Künstler verständigten sich sehr schnell, und schon Ende Juni 1933 konnte Strauss dankend den Empfang eines „Morosus“-Entwurfes bestätigen. („Sir Morosus" war der Arbeitstitel des Librettos, das Zweig nach der Komödie „Epicoene, or The Silent Woman“ von Ben Jonson, 1573 bis 1637, für Strauss schrieb.) — Die Zusammenarbeit gestaltete sich völlig reibungslos, manchmal hat man bei der Lektüre des Briefwechsels den Eindruck, es ginge alles ein wenig zu glatt. Jedenfalls war Strauss von seinem neuen Librettisten so angetan, daß er unmittelbar nach Beendigung des 1. Aktes (140 Seiten Partitur in zweieinhalb Monaten!) Zweig bat, nach neuen Stoffen Ausschau zu halten:

„Am besten liegen mir süddeutschem Bourgeois ,Gemütskisten‘... Mufl man 70 Jahre alt werden, um zu erkennen, daß man eigentlich zum Kitsch die meiste Begabung hat? Aber Spaß beiseite, haben Sie kein neues gemütvolles Stöffchen für mich?“

Bald taucht im Briefwechsel eine Opernhandlung „über ein Culturbild in der Art der Meistersinger“ auf, etwas später der Plan zu einem „festlichen Einakter“, aus dem später „Der Friedenstag" wurde, und schließlich die Idee zu „Capriccio" nach des Abbate Casti „Prima la musica, poi le parole". — Strauss war, trotz aller Schwierigkeiten, fest entschlossen, mit Stefan Zweig weiter zusammenzuarbeiten:

„Ich gebe Sie nicht auf, auch nicht, weil wir jetzt gerade eine antisemitische Regierung haben.“ In zwei bis drei Jahren, meinte Strauss, wird der Spuk vorüber sein, und diese Probleme werden sich von selbst erledigt haben. Nur bittet er immer wieder seinen im Ausland lebenden Librettisten, sich von jederlei deutschfeindlicher Kundgebung zurückzuhalten. — Stefan Zweig sieht die Situation pessimistischer, macht Strauss auf die immer größer werdenden Schwierigkeiten aufmerksam (Zusammenarbeit mit den Juden) und versucht immer wieder, ihm andere Textautoren vorzuschlagen: Lernet-Holenia, Joseph Gregor usw. Weitere Librettopläne werden erwogen: Stuckens „Weiße Götter“, „Semiramis“, nach Calderons „Tochter der Luft“ (ein altes Hofmannsthal-Projekt), Kleists „Amphitryon", wobei sich Zweig anbietet, die neuen Mitarbeiter in uneigennütziger Weise zu beraten. Hierfür dankt Strauss und fährt fort:

„Aber empfehlen Sie mir keinen anderen Librettisten; Es kommt nichts dabei heraus, es ist schade um das Briefpapier.“

Und am 17. Juni 1935 schreibt er an Zweig:

„ihr Brief vom IS. bringt mich zur Verzweiflung. Dieser jüdische Eigensinn! Da soll man nicht Antisemit werden! Dieser Rassestolz, dieses Solidaritätsgefühl — da fühle sogar ich einen Unterschied. Glauben Sie, daß ich jemals aus dem Gedanken, daß ich Germane (vielleicht, qut le salt?) bin, bei irgendeiner Handlung mich habe leiten lassen? Glauben Sie, daß Mozart bewußt ,arisch' komponiert hat? Für mich gibt es nur zwei Kategorien von Menschen: solche, die Talent haben, und solche, die keins haben, und für mich existiert das Volk erst in dem Moment, wo es Publikum wird.“

Schließlich mußten sich die Freunde doch trennen. Der letzte Brief stammt vom Dezember 1935. — Wenn man weiß, wie schwierig sich oft die Zusammenarbeit mit Hofmannsthal gestaltet hatte, so ist das wiederholte Bekenntnis zu diesem fast rührend. Strauss nennt ihn den „Treuen“, „Genialen“, „Wundervollen", der immer gewußt habe, was er — Strauss — als Künstler gerade brauchte.

Die vorliegende, sehr lesenswerte Briefsammlung wurde von Willi Schuh herausgegeben, der das Buch auch mit 70 Anmerkungen und einem Register versehen hat.

RICHARD STRAUSS UND JOSEPH GREGOR: BRIEFWECHSEL. 1934 bis 1949. Otto-Müller-Ver- lag, Salzburg. 324 Seiten. Preis 75 S.

Stefan Zweigs Nachfolger war Joseph Gregör, auf den er selbst wiederholt hingewiesen hatte. Der enzyklopädisch gebildete Theaterfächma'rin waT ein glühender Verehrer der Musik von Richard Strauss und ergriff mit beiden Händen die sich ihm bietende Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit dem verehrten Meister. Zunächst stürzte sich Gregor auf den Semi- ramis-Stoff und entwarf in wenigen Tagen zehn große „Visionen" (Bilder). — Strauss antwortet kühl: er glaubt nicht an die Verwendbarkeit des Entwurfes, und in einem zweiten Brief schreibt er: „Warum dichten Sie, wenn Sie zehn Akte eines Calderon als Vorlage haben?“ Ferner bittet er seinen neuen Textautor: keine Nebengedanken, keine poetischen Eigenbröteleien usw.

„Nein, so geht es nicht. Seien Sie nicht böse ob meiner Offenheit: Aber wenn aus unsrer Zusammenarbeit wirklich einmal etwas 'werden soll, müssen Sie mir schon gestatten, Ihre ersten Schritte in das Klassenzimmer der Oper mit den sanften Rutenstreichen des erfahrenen, ergrauten Schulmeisters zu begleiten ..."

Und so blieb, fast die ganze Zeit über, der Ton in diesen 350 Schriftstücken, die, mit wenigen Ausnahmen, reine Werkstattbriefe sind. Strauss entschuldigt sich wiederholt wegen seiner „rohen, brutalen Kritik“, seiner „Drastigkeit“. Er findet in Gregors Vorschlägen „schulmeisterliche Weltanschauungsbanalitäten“, in seiner Sprache einen „nicht immer glücklich imitierten Homer-Jargon“, die Gedanken gingen „auf Stelzen“, das seien keine dramatischen Dialoge: „So besprechen sich zwei Schullehrer über das Thema .Dreißigjähriger Krieg'!“ (anläßlich der Arbeit am Text zu „Friedenstag"). So kam es bereits im Oktober 1935 zur ersten Krise in der Zusammenarbeit. Gregor beruft sich darauf, daß er in wahrer und echter Begeisterung für Strauss schaffe. Aber gerade dagegen ist Strauss mißtrauisch: „Solche Produkte halten weder dem nüchternen Kunstverstand stand noch erwecken sie dieselben Empfindungen beim Zuhörer...“

Aber Gregor ist nicht zu entmutigen. Das tritt besonders während der Arbeit an der von Hofmannsthal entworfenen „Danae“ zutage. Strauss war durch Hofmannsthal nicht nur literarisch gebildet worden, sondern mit den Jahren auch immer anspruchsvoller. Nun macht sich Gregor an den „Danae“-Stoff. Aber Strauss findet den Hofmannsthalschen Entwurf „feiner, harmloser, graziöser“. Was Gregor ihm vorlegt, ist ihm teils zu „bombastisch", teils zu „nachlässig und ungefähr: schlechte Parodie“.

Immerhin kamen, als Resultat zahlreicher Gespräche und mühsamer Korrespondenz, drei Libretti zustande: „Friedenstag“ (Uraufführung in München 1938), „Daphne“ (Dresden 1938) und „Die Liebe der Danae“ (Hauptprobe bei den letzten Salzburger Kriegsfestspielen, öffentliche Uraufführung in Salzburg 1952).

Daneben regt Gregor verschiedene Ballettsujets an,von denen aber leider keines mehr zur Ausführung kam. Folgende Stoffe wurden gemeinsam erwogen: „Nausicaa“, „Zenobia“ nach Calderon, „Alkestis", „Nophretete“, „Phaeton , „Pandora“ und zuletzt — mit schon ziemlich ins Detail gehenden Vor- arbeiten — „Aphroditens Rache . Ganz zuletzt, bereits nach Kriegsende, plante Strauss von Zürich aus eine Schuloperi „Des Esels Schatten“, nach Wieland, zu der Gregor Wilhelm-Busch-artige Knittel- Verse schreiben sollte. Aber auch hierzu kam es nicht mehr. .

Daneben handeln die Briefe von Gregors verschie denen Bemühungen um das Werk von Richard Strauss: Ausstellungen, Festreden und das Buch „Richard Strauss. Der Meister der Oper" (1939). Auch an dieser Arbeit hat Strauss verschiedenes auszusetzen, vor allem ermahnt er Gregor, den Anteil Hofmannsthals an seinem Werk stärker zu betonen.

Die vorliegenden Briefe wurden im Auftrag der Wiener Philharmoniker von Dr. Roland Tenschert herausgegeben und mit Fußnoten versehen, der versichert, vom Rotstift nur sparsamen Gebrauch gemacht zu haben.

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