"Erst mal ein Kölsch"

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Andreas Neumeisters popliterarische Vermessung der Welt verzichtet auf Figuren und Handlung und erzählt Assoziationen zu real und virtuell bereisten Räumen und Zeiten.

Könnte Köln sein. Was könnte Köln sein? Könnte interessant sein. Muss aber nicht.

Andreas Neumeister wird zu den neueren Popliteraten gezählt, er hat ein Verfahren perfektioniert, das man nach Moritz Baßler als Archivierung und Inventarisierung bezeichnen kann. In "Angela Davis löscht ihre Webseite" waren es, wie schon der Untertitel verkündete, "Listen, Refrains, Abbildungen". In "Gut laut", später auch aufgelegt als "Version 2.0", ging es um das Drumherum der Popmusik, der Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre oder, als sein englisches Vorbild, Nick Hornby bereits in Romanen gehuldigt haben. Kurz gesagt: Neumeister sucht sich immer wieder neues Terrain, das er vermessen kann, und was wäre da näherliegend als eine popliterarische Vermessung der Welt.

Anders als Daniel Kehlmann, der seinen Roman so benannte und weltweit Erfolge feierte, dürfte Neumeister kaum Chancen haben, in den Charts der Literaturindustrie auf einem vorderen Platz zu landen. Er verzichtet auf alles, was traditionell einen Roman ausmacht und lesenswert macht - auf Figuren und auf Handlung. Übrig bleiben Assoziationsketten, lose gegliedert nach geografischen Räumen, die offenbar der Autor selbst durchreist hat, mal höchstselbst, andere Male aber auch, darauf lassen seine Bemerkungen schließen, beim Surfen in der virtuellen Netzwelt. Stationen sind neben anderen Rom, Berlin, Tallinn, Moskau, München, Los Angeles und eben Köln. Nicht nur Geografie, auch Geschichte wird von DJ Neumeister gemixt, dass einem Lesen und Sehen vergeht. Lenin und Hitler sind Gespenster der Vergangenheit, die sich beim Spazierengehen durch die Architekturlandschaft offenbar ebenso wenig bannen lassen wie historische Großereignisse des 20. Jahrhunderts überhaupt, von der Erfindung Hollywoods über die Niederschlagung der Münchner Räterepublik bis hin zur Geiselkatastrophe der Olympischen Spiele in München 1972. Und immer wieder der 2. Weltkrieg, mit seinen bekannten wie weniger bekannten Protagonisten.

Weisheiten und Pauschales

Listen mit geografischen Namen werden abgelöst von Weisheiten wie: "Städte, die ihre Existenz dem Bestehen einer Furt durch einen Fluss verdanken, sind in aller Regel älter als Städte, die ihre Existenz dem Bau einer Brücke über einen Fluss verdanken." Gut, dass das mal geklärt wurde. Kryptisch heißt es hingegen: "der Greenback wurde in Frankfurt am 24.11.96 auf 1,5245 (1,5345) gefixt". Gemeint sind der Dollar und die Börse. Bei beiden Zitaten handelt es sich nicht nur um Absätze, sondern um Abschnitte, abgetrennt durch mehr oder weniger großen Leerraum, der - würde man ihn komplett streichen - das Buch um mindestens ein Viertel zusammenschnurren ließe. Gut passen dagegen würde eine Stelle über die Abholzung des Regenwaldes, dies als Vorschlag für eine Ergänzung in "Könnte Köln sein. Version 2.0".

Immerhin wird es die Frankfurter freuen zu erfahren: "(Mein Verhältnis zu Frankfurt ist relativ neutral)". Denn das gilt nicht für alle Orte, die der Erzähler mit seinem Besuch beehrt. Österreicher, insbesondere Tiroler, dürfen zur Kenntnis nehmen, dass der Erzähler Innsbruck "als Kind gerne verfluchte". Den Grund hätte man schon gern erfahren. Dafür folgt das Pauschalurteil: "Städte in tief eingeschnittenen Tälern gehören verboten. Zum Wohl und Schutz ihrer Bewohner. Die Stadt, ein Flughafen zwischen Inntalautobahn und Brennerautobahnzubringer gequetscht." Doch es erfolgt noch so etwas wie eine Ehrenrettung, die freilich nur der Architektin Zaha Hadid zu danken ist: "Das Beste an Innsbruck war nicht die gewonnene Schlacht gegen Franzosen und Bayern. Das Beste an Innsbruck ist Frau Hadids neue Sprungschanze." Die so neu gar nicht mehr ist. Bitte, lieber Herr Neumeister, besuchen Sie doch, bevor Sie die "Version 2.0" schreiben, Innsbruck noch einmal und werfen Sie einen Blick auf die wirklich brandneue Hungerburgbahn, ebenfalls von Zaha Hadid entworfen. Vielleicht mildert das Ihren Zorn ein wenig.

Und jetzt: "erst mal was trinken, erst mal ein Kölsch". Könnte auch Kulmbacher sein. Aber bitte nicht planlos mit anderen Getränken mischen. Über die Nebenwirkungen eines solchen Verfahrens weiß Ihr Leser ein Lied zu singen.

Könnte Köln sein

Städte. Baustellen

Roman von Andreas Neumeister

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2008

277 Seiten, geb., € 17,30

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