Erstaunliche Schicksale trauriger Helden

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Josef Haslinger erzählt von "Zugvögeln" mit Heimatbedarf.

Letzthin habe ich in einem wichtigtuerischen und nicht besonders intelligenten Rezensionsschlenkerer wieder einmal gehört, Josef Haslinger sei "der Amerikaner unter den österreichischen Schriftstellern". Diese unsinnigen Erkenntnisse werden mit dem Vorhandensein seiner großen Romane "Opernball" und "Das Vaterspiel" begründet. Zwei, ach so amerikanisch-dicke Wälzer. Für mich ist Josef Haslinger ein durch und durch realistischer österreichischer Dichter.

Kompetente Differenz

Haslinger hat durch die verschiedenen Phasen seiner Arbeit, weil er dazu intellektuell imstande ist, immer wieder Rechenschaft abgelegt oder Bestand aufgenommen, wie er zu Fragen der Literaturtheorie beziehungsweise zu seinen Erzählstrategien steht. Seine Haltung und Position stellen eine kompetente Differenz zu anderen Autoren seiner Generation oder Geschichte dar. Thomas Bernhard bezeichnete sich noch als "Geschichtenzerstörer", als Haslinger schon lesbare und nacherzählfähige Geschichten baute. Prosa mit Fleisch. Nicht umsonst hieß die Zeitschrift, die er mitherausgegeben hat, im Untertitel "Zeitschrift für brauchbare Texte" und war im Übrigen ein "Wespennest" österreichischer Literatur.

Mit Autoren wie Josef Haslinger wurde laut Wendelin Schmidt-Dengler sozusagen der soziale Umbruch statuiert. Hätten früher Beamtenkinder mit ihren Geschichten die Literatur bevölkert, waren es ab der Kreisky-Ära Schreiber aus "proletarischem und bäuerlichem Milieu". Und Wolfgang Schaffler sorgte für das Haptische. Ungefähr in diese Zeit fallen Haslingers erste wahrgenommene Veröffentlichungen, "Der Konviktskaktus" oder "Der Tod des Kleinhäuslers Ignaz Hajek". (Unvorstellbar eigentlich, dass einer der großen US-amerikanischen Autoren eine "novel" mit dem Titel "Der Tod des Kleinhäuslers John Brown" schreiben würde.)

An diese Prosa knüpft Haslinger - nach einer besonderen Entwicklungsgeschichte mit weltweiten (Studien-)Aufenthalten - an. Der Titel seines neuen Buchs, "Zugvögel", ist programmatisch. Ein Ich-Erzähler geht auf Reisen. Ostdeutschland, das Waldviertel, Wien, Rovinj sowie die Vereinigten Staaten von Amerika und und und sind seine Destinationen. Die Städte, Landschaften und Sehenswürdigkeiten sind jedoch nur vordergründige Ziele. Im Mittelpunkt der "Zugvögel"-Geschichten stehen die Menschen, denen der Erzähler als Reisender begegnet.

In den Gesprächen am Strand, an der Hotelbar, im Flugzeug und sonst wo offenbaren sich erstaunliche Schicksale zumeist trauriger Helden. Auch sein eigenes lässt aufhorchen. Ein Jahr lang fliegt er mit einem gefälschten Ausweis in den Vereinigten Staaten herum. In New Jersey legt ihm ein Cowboyhut tragender Polizist Handschellen an.

Kleinschreibung

Und die "Moral" der gekonnt erzählten sieben Erzählungen: Irgendwann holt dich die Vergangenheit ein. Die Geschichte macht aus Menschen etwas und die Menschen etwas anderes aus ihrer Geschichte, trotz vorhandener Holzwege samt Abzweigungen. Vielleicht könnte man aus den "Zugvögeln" einfach herauslesen, dass jeder Held oder Reisende beziehungsweise Ziehende eine Heimat und Verwurzelung braucht.

Josef Haslinger bedient sich im Buch der seinerzeit modernen Kleinschreibung. Aus welchem Grund er sich für diese entschließt, leuchtet eigentlich nicht ein. Diese Schreibart wirkt im Zusammenspiel mit seinem Realismus etwas inhomogen.

Parallel zu seinen Erzählungen hat Josef Haslinger, gemeinsam mit dem Schriftsteller-und Professorenkollegen Hans-Ulrich Treichel, einen weiteren Theorieband über die Dichtkunst herausgegeben. Belletristen und Dozenten für literarisches Schreiben geben in "Schreiben lernen - Schreiben lehren" Auskunft über dieses Handwerk. Eine Tätigkeit, die der österreichische Gegenwartsschriftsteller Josef Haslinger mit Können beherrscht. In Theorie und Praxis. Oder in Lehre und Ausübung.

Zugvögel

Erzählungen von Josef Haslinger

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2006

203 Seiten, geb., e 19,50

Schreiben lernen-Schreiben lehren

Hg. von Josef Haslinger und Hans-Ulrich Treichel

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2006. 232 Seiten, brosch., e 11,95

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