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Erwacht Spaniens Jugend?

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SIE WIRKEN WIE Europäer, wie Engländer, Deutsche oder Franzosen, gilt doch ein junger Spanier als besonders elegant, wenn er nach englischer Mode gekleidet ist, und das spanische Mädchen versucht sich wie eine freie selbständige Sekretärin zu bewegen. Aber lernt man sie genauer kennen, muß man gestehen, daß sie noch weit von der aufgeschlossenen Weltanschauung entfernt sind. Nur Söhne und Töchter aus der allerobersten Klasse kümmern sich wenig um die Gesetze der Gesellschaft, die der wohlhabende Mittelstand Spaniens so treu zu bewahren versucht.

Schon die Erziehung der spanischen Kinder unterscheidet sich wesentlich von der der unseren; sie ist viel strenger. Der Vater entscheidet über Studium oder Beruf, und die Mutter bemüht sich, dem Kind Anstand und Feingefühl für alles Schöne beizubringen. Die junge Generation hat sich der älteren vollkommen unterzuordnen.

Im Straßenbild der spanischen Großstädte fehlen die „Halbstarken“ oder wie man sonst die unerzogenen Halbwüchsigen nennen mag, und die Jugendkriminalität ist sehr gering.

DIE FAMILIE, BESONDERS bei der breiten Mittelschicht, spielt eine äußerst wichtige Rolle. Aufs strengste behütet wachsen die oft zahlreichen Kinder heran, die Eltern gehen ganz in der Erziehung und Versorgung auf. Dafür verlangen sie von der Jugend strengsten Gehorsam, solange sie sich im Elternhaus befinden, und üben auch dann noch großen Einfluß auf sie aus, wenn sie schon ihre eigene Lebensbahn gewählt haben. Daraus ergeben sich Respekt und Ehrfurcht vor den Eltern — die wenigen Altersheime in Spanien sind ein offensichtlicher Beweis hierfür — wie das Bestrehen, so bald wie möglich eine Familie zu gründen. Der Katholizismus schlingt um dieses Gefüge das festigende und einigende Band. So schön und richtig das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Jugendlichen erscheinen mag, so bringt es doch viele Nachteile mit sich.

SPANIENS JUGEND BEGINNT zu erwachen, und vor allem beginnt sie über die Grenzen in das übrige Europa zu blicken. Sie beginnt zu verstehen, daß sie selbständiger werden muß und nicht blind alles von der älteren Generation übernehmen darf. England dient ihnen als Beispiel von meinungsbewußter Jugend.

Eltern und Erzieher gestatten keine frühe Urteilsreife oder Aufgeschlossenheit oder die Überwindung des oft großen Standesunterschiedes. Die Jugend hat es schwer, sich dagegen aufzulehnen, sich gegen die aufgedrängte Meinung zu stellen, um frei denken zu können, denn sie wünscht durchaus keinen Bruch in ihrem Verhältnis zu ihren Erziehern. Die spanischen Studenten der Gegenwart beweisen, daß sie selbständig werden, daß sie nicht mehr alles als eine gegebene Tatsache hinnehmen und, wie die Studentenstreiks in diesem Jahr gezeigt haben, auch gewillt sind, dafür einzustehen. Sie haben konkrete Forderungen, deren endgültiges Ziel es sein wird, die Meinungsfreiheit, wenigstens innerhalb der Universitäten, zu erlangen.

Das politische Uninteresse und das sorglose Blicken in die Zukunft der jungen Menschen muß beseitigt werden, und sie müssen von der Notwendigkeit der geistigen Freiheit und des Fortschrittes überzeugt werden. Bei einer kleinen Umfrage unter Studenten kamen wir zu dem Ergebnis, daß sie im allgemeinen den Staatschef Franco zu schätzen wissen, ihm dankbar sind, daß er ihnen die 26 Jahre Frieden und den beginnenden Wohlstand beschert hat, doch würde man einen frischeren politischen Wind begrüßen. „Genug mit Franco“, ist die Antwort. Nur selten findet man unter ihnen Vertreter der kommunistischen Ideologie, um so mehr Demokraten aber. An die Wiedererrichtung des Königshauses glaubt kaum jemand, da man dem von Gene-ralissimo Franco bevorzugten Kandidaten keine besonderen Fähigkeiten als Staatsmann zutraut.

POLITIK INTERESSIERT DIE SPANIERIN NICHT, wie auch kulturelle Themen nicht allzusehr. Nur ein kleiner Prozentsatz der jungen Mädchen entscheidet sich für ein Studium, und wenn, dann wendet sie sich hauptsächlich dem Lehrfach zu. Bevor jedoch die Spanierin in die Universität eintritt, muß sie eine dreimonatige Haushaltsschule besuchen.

Der Großteil der jungen Mädchen verzichtet jedoch auf höhere Bildung und ist bestrebt, mit Hilfe von sämtlichen Verwandten sich so bald wie möglich zu verheiraten. Dem jungen Spanier wird auch deshalb beim

Erwählen seiner jungen Ehefrau wenig Freiheit gestattet, denn trifft er sie regelmäßig wenige Sonntage hindurch, wird er bereits ihren Eltern vorgestellt und mit ihr verlobt, ehe er noch über seine eigenen Gefühle ihr gegenüber urteilen kann.

Die junge Spanierin kennt nicht das Verlangen, selbst zu verdienen und sich in der Geschäftswelt nützlich zu erweisen. Daraus ergibt sich im Wirtschaftsleben ein empfindliches Fehlen von weiblichen Fachkräften. Vielleicht gerade wegen dieser passiven Einstellung zum öffentlichen Leben wird die Spanierin vom männlichen Geschlecht nicht als geistig gleichwertig betrachtet. Diese Meinung wird natürlich nicht offen zugegeben, aber man spürt sie nur allzu deutlich.

Der junge Spanier genießt die Stunden der Freizeit im Kreise seiner Freunde. Auch wenn er bereits eine „novia“, also Verlobte, hat, wird er nur mit seinen Freunden seine Probleme besprechen. Mit seinem Mädchen geht er spazieren, besucht Cafes oder Tanzveranstaltungen, behütet und umschmeichelt sie. Sie wird wahrscheinlich seine Frau werden, aber seine persönliche Meinung über viele Dinge kennt sie nicht, diese kennen nur seine Freunde. Das Mädchen ist damit zufrieden; sie weiß, er wird sie und seine Kinder ernähren können. Er schätzt und ehrt die junge Spanierin und kann mit ihr einer ruhige Ehe entgegensehen. Für seine flüchtigen Abenteuer stehen ihm die ausländischen Mädchen, seien es nun Studentinnen oder Touristinnen, zur Verfügung, die er als „Freiwild“ betrachtet und die nun den Platz einnehmen, die früher die Dienstmädchen für ihre Väter innehatten. Doch muß man auch hinzufügen, versteht es ein Mädchen aus Nord- oder Mitteleuropa, sich der strengen spanischen Moral zu fügen, wird sie sich dank ihrer Intelligenz und allgemeinen Interessen wegen großer Beliebtheit erfreuen und auch auf keine Schwierigkeiten stoßen, einen Spanier als Ehemann zu finden.

IN 46 VERSCHIEDENEN STÄDTEN Spaniens befinden sich Universitäten. Die größte von ihnen ist in der Hauptstadt Madrid, an deren Stadtrand eine vorbildlich geplante Universitätsstadt errichtet wurde. Der Großteil der Studenten widmet sich dem technischen Studium, da viele die beruflichen Chancen in Südamerika nützen wollen. Die medizinische Fakultät kann eine große Hörerzahl deshalb aufweisen, da Söhne aus den reichsten Häusern, die niemals vorhaben, ernsthaft zu arbeiten, den akademischen Titel in der Medizin erringen wollen.

Die Freizeitgestaltung besteht aus Kinobesuchen und den verschiedenen Sportarten, wie Fußball, Basketball und Pelota — ein baskisches Ballspiel. Jedoch alle Spanier interessieren sich für den Stierkampf, und es gibt kaum einen Jungen, der nicht einmal geträumt hat, Torero zu werden. Besonders in den letzten

Jahren hat diese Tradition wieder neue und kräftige Impulse erhalten. Der Satz eines jungen Spaniers, „Es ist schön, das Leben zu riskieren“, mag dafür als typisch erscheinen. Viele Burschen laufen von zu Hause weg, um Torero zu werden; sie schleichen sich nachts auf die Weiden der wilden Stiere, um an ihnen ihren Mut und ihre Geschicklichkeit zu erproben. Viele springen während eines Stierkampfes, mit dem roten Tuch unter dem Hemd versteckt, in die Arena, um ihr Können zu zeigen und von einem Manager entdeckt zu werden. Arrest und Geld sind die Strafen, doch der Wunsch, Torero zu werden, ist stärker. Das Publikum verlangt Mut und eiserne Nerven; El Cordobes ist deshalb berühmt geworden und ein Vorbild für die mutige Jugend Spaniens.

NICHT NUR WAGEMUTIGE TOREROS stellt die junge Generation. Sie bringt, obwohl viele ihrer Überzeugung wegen gegen den vom

Staat gehüteten politischen Strom schwimmen mußten und auswanderten, doch noch vielversprechende Talente hervor, die in Spanien klingende Namen besitzen und deren Ruf bereits ins Ausland dringt. Namen wie Camilo Jose Cela oder Alfonso Paso sind unter den jungen Autoren am vielversprechendsten. Maler wie

Viana, Hermosoila, Boro, Alvara und Carunche sind Talente, die mit ihren Gemälden bereits gute Preise erzielt haben.

Der Malerei gilt das Interesse der spanischen Jugend. Die spanische Geschichte weist große Maler auf, und man weiß sie zu schätzen. So wie sich in Österreich viele junge Leute für Musik begeistern, so gilt die Aufmerksamkeit in Spanien der Malerei.

Musik ist in ihren klassischen Formen nur bei 20 Prozent der befragten Jugendlichen beliebt. Der Rest schwärmt für Volksmusik und sentimentale Lieder. Die Beatles werden belächelt. 60 Prozent ziehen bei der Frage, welche Literatur sie lesen, Novellen von Zilahy oder spanische Klassiker vor, 10 Prozent entscheiden sich für Lorca, Alexander oder Walt Whitman.

WENN ES SPANIENS Jugend gelingen wird, sich in der Zukunft vor der Tradition zu lösen und sich aui selbständiges Handeln zu berufen, ohne dabei ihre ausgeprägte Achtung vor allem Höheren zu verlieren, so werden noch viele Begabungen, die jetzt noch auf Grund der streng zu befolgenden Vorschriften der Gesellschaftsklassen ersticken, zur vollen Entfaltung gelangen.

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