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Michael Köhlmeier lässt "Nachts um eins am Telefon" Geschichterln drucken

Michael Köhlmeier ist ein Geschichtenerzähler. Einer, der nicht anders kann. Der erzählen muss um des Erzählens willen; was er erzählt, ist dabei gar nicht so wichtig. Und seine Figuren hat er bereits angesteckt damit. Schlüssig muss die Handlung nicht sein. Hauptsache, es wird gut erzählt.

Ganz im Ernst, würden Sie mitten in der Nacht am Telefon jemandem einen Schwank aus Ihrer Jugend vorsetzen? Ist einem da nicht mehr nach Austausch als nach monologischem Gschichterldrucken? Aber na gut, Menschen sind eben verschieden, lassen wir sie reden, was sie wollen. Sie haben es nötig.

"Nachts um eins am Telefon" ist eine Prosasammlung von 23 Versuchen, dem selbst errichteten Gefängnis Einsamkeit zu entfliehen. Wenn die Wohnung so leer ist wie das Leben, dann tut der Griff zum Hörer wohl ganz gut, holt einen das Klingeln des Telefons, sehr laut in der Stille der späten Stunde, aus düsterer Realität in farbigere Phantastereien zurück. Und dass dabei manches nicht ganz nachvollziehbar ist, tut nichts zur Sache, es liest sich trotzdem nett.

Denn eines versteht Köhlmeier ausgezeichnet: seine Figuren lebendig werden zu lassen, ihnen Fleisch zu verleihen. Sie sind vielleicht Eigenbrötler, überspannt oder sonst ein wenig eigenartig - papieren sind sie sicher nicht. Ihre Schrullen werden unbarmherzig und bis ins letzte Detail beobachtet und montiert zu den Geschichten. Die sie zum Teil auch selbst erzählen dürfen: der Nachbarin, einem alten Freund, der großen Jugendliebe.

Allesamt reden sie, ohne zueinander zu finden. Sie erzählen an ihrem Leben vorbei. Und der, der als Dreizehnjähriger ein Held war, "ein Genie", der seinem Vater nach einem Unfall den Daumen, das Leben gerettet hat, kann als erwachsener Mann nur noch davon berichten. Aus den besten Anlagen ist wohl nichts geworden, sein eigenes Leben hat er nicht im Griff. Jedenfalls nicht so, wie er möchte, sonst wäre er nicht so allein.

Köhlmeier hat viel Verständnis für seine Figuren und ihre Sorgen, er stellt sie beinhart zur Schau, aber er stellt sie nicht bloß. Sie haben das Miteinander verlernt, sind beinahe schon angewiesen auf ihr ödes Alleinsein: "Ich selbst weine, wenn mir etwas peinlich ist oder aus Wut, aber nur allein. Ich kann nicht mit jemandem an einem Tisch essen, ich kann nicht mit jemandem in einem Bett schlafen. Ich kann nicht in Gegenwart eines anderen weinen. Aber warum sollte ich weinen? Es gibt keinen Grund dafür." Aber vielleicht winkt am Ende doch auch noch ein bisschen Glück für alle. Dann gibt es wirklich keinen Grund zum Weinen.

Doch bis dahin müssen sie sich nachts um eins am Telefon noch die lange Weile um die Ohren schlagen. Lieber nur am Telefon, echte Nähe wär dann doch zu nah. Die Nachbarwohnung und die eigene waren einmal eine. Bezeichnenderweise sind sie nun für Singles adaptiert. Die Trennwand ist dünn, man hört alles durch, vor allem das Klingeln des Telefons ...

Kein Miteinander

Köhlmeiers stellenweise etwas platt erzählter Text schreit geradezu nach der gesellschaftskritischen Lesart: Wir leben in einer Kommunikationsgesellschaft und können nicht mehr direkt miteinander reden. Jeder versinkt in seinen eigenen Geschichten, Liebe ist, die Geschichten des anderen hören zu wollen. Oder gilt das nur dann, wenn sie gut erzählt sind? Wir haben alle ein Handy, aber es läutet nie dann, wenn es soll. Keiner von uns will immer allein sein, aber wir schlafen doch am liebsten im eigenen Bett, Rücksicht nehmen ist mühsam, die Privatsphäre ist heilig. So heilig, dass sich keiner mehr hereintraut. Außer zaghaft nachts um eins am Telefon. Ist das die Quintessenz?

NACHTS UM EINS AM TELEFON

Von Michael Köhlmeier

Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005

109 Seiten, geb., e15,40

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