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Es begann mit Nestroy

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Ein Beginn mit Nestroy ist ein guter Beginn. Die Wiener Theatersaison begann mit zwei wenig gespielten Spätstücken von Nestroy — es widerstrebt uns, sie heute alle noch einheitlich als „Possen mit Gesang“ zu bezeichnen —, und das Publikum war es zufrieden. Gerade diese selten gespielten späten Spiele haben es in sich; die Tatsache, daß sie selten gespielt werden, läßt sich nur damit erklären, daß Nestroy eben 83 Stücke geschrieben hat und daß nicht lle in gleicher Weise aufgeführt werden können. Die Nestroy-Renaissance, die uns jetzt alljährlich einige Wiederentdeckungen bringt, begann vor fünf Jahren mit Axel von Ambessers Inszenierung von „Der Färber und sein Zwillingsbruder“ im Akademietheater und sie hört, so scheint es, nimmer auf ...

Das Theater in der Josef stadt hatte mit „U m s o n s t“ das bessere und gefälligere der beiden Stücke erwischt. Gerade die völlige Nichtigkeit der Handlung, die durch und durch unbedeutenden Geschehnisse, lassen die Genialität Nestroys, seinen Witz, seinen Geist so recht erkennen; seine Anmerkungen zu unserem Leben und seinen alltäglichen Dingen — der Liebe vor allem, aber auch zu all dem anderen, das uns zustoßen kann — sind so voll Welt. Weisheit wie die Philosophie nur irgendeines großen Denkers; mehr noch: sie sind, übersetzt in Alltagssprache und brauchbar gemacht für alle Lebenslagen Anweisungen, sich in der Welt zurechtzufinden. „Das is wohl nur Chimäre, aber mich unterhält's“, heißt einer der Refraine, der die Nestroy eigene Mischung von abgeklärter Resignation und subtiler Lebensfreude zum Ausdruck bringt. Die Aufführung — Regie führte der junge Otto Schenk, der gleich einige seiner Schauspielkollegen vom Theater am Parkring mitgebracht hatte, zum Vorteil der Inszenierung — hatte Schwung und Farbe. In den Glanzrollen: Leopold Rudolf und Heinz Conrads, als Arthur und Pitzl, Schauspieler der Stadt Steyr; sie glänzten, brillierten, faszinierten; in ihrem Schatten: Franz Pfaudler und Franz Messner, Wirt und Kellner in Braunau, die, hätten es Dichter und Regisseur erlaubt, ebenso brillierten ...

Das Volkstheater spielte „Mein Freund“; in diesem Volksstück, das seine Komik aus der Schilderung sozialer Zeitverhältnisse erhält, hat sich Nestroy redlich mit der Handlung abgeplagt und ist mit ihr nicht recht zu Rande gekommen; sie tritt zu sehr in den Vordergrund, als daß

man sie ganz ignorieren könnte; und sie wird zu oft durch Monologe unterbrochen, als daß sie durchgehend fesseln könnte; so muß man sich wieder an seine Randbemerkungen halten; „Die Menschheit will nur recht poetisch aufgefaßt werden, ein klarer Beweis, wie prosaisch sie is.“ Die Aufführung — Regie führte Gustav Manker, der auch für beide Nestroy-Inszenierungen durchdachte Bühnenbilder schuf — versuchte Nestroy so zu spielen, wie er sich selbst vor hundert Jahren gespielt hat, vermutlich (ich war nicht dabei). Harry Fuß als Buchdrucker Schlicht hatte anfangs mit der etwas zwiespältigen Rolle zu kämpfen, ehe er ganz den richtigen Ton fand Um so sicherer, beelzebübischer, höllischer, austro-sadistischer war Hugo Gottschlich als Ladendiener Schippl; auf seiner Leiter vor den Bücherregalen hockend, überragte er das Ensemble um Leibeslänge ...

In den Kammerspielen begann das Theater in der Josefstadt mit einer Komödie in drei Akten von Noel Coward, „Die M a r q u i s e“ (deutsch von Gideon Freud, inszeniert von Peter Preses). Es war ein schlechter Beginn. Coward, Gentleman, Allroundman und Weltmann, ist kein Nestroy, daß er dann, wenn er einmal schläft, auch noch Brauchbares zustande bringt. Die drei Akte, die über um ergchen, erscheinen uns einer überflüssiger als der andere; verschärft werden sie durch drei peinliche Gesangeinlagen. Das Bühnenbild glich einem Vogelkäfig; schade, daß er nicht hinter einer Marquist verborgen war.

Großes Theater im Neuen Theater in der Scala: „Der Richter von Zalamea“ von Pedro Calderon de la Barca (deutsch von Hans Schlegel, inszeniert von Emil Stöhr). Was man bei den Nestroy-Stücken versäumt hatte, nämlich kräftige Striche anzubringen — hier hatte man damit nicht gespart. Nicht zum Nachteil des Schauspiels, in dessen Mittelpunkt ein großer Augenblick steht: Der Bauer Pedro Crespo, dessen Tochter von einem Hauptmann geschändet wurde, wird zum Richter des Dorfes ernannt: in seinen Händen liegt es nun, das Recht zu sprechen, das keine Rache sein darf. Eine geschlossene Aufführung, in der Wolfgang Heinz den Bauer lebendig und greifbar macht, daß wir erschüttert und geläutert vor seinem Schicksal stehen, wie es der Dichter will.

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