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Es darf nur Liebe geben...

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Alja R a ch m a no w a s Werk ist ohne Jurka, den einzigen Sohn der russischen Emigrantin und des österreichischen Philologen, fast nicht denkbar. In den beiden Bänden „Einer von vielen" I. Der Aufstieg, 367 Seiten, II. Das Ende, 377 Seiten, Rascher-Verlag, Zürich ist Jurkas Schicksal noch einmal zusammengefaßt und drängt wie ein antikes Drama dem Untergang zu; von der Ankunft des fünfjährigen Knaben in Salzburg 1927 über eine sonnige Kindheit und schon vom Zeitgeschehen beschattete Studentenjahre bis zum bitteren Ende: er fiel durch eine russische Kugel am Nachmittag des Ostersonntags südlich Wiens im Alter von 23 Jahren. In diesem Doppelroman sind alle guten Geister der „Milchfrau von Ottakring" wach: äußerste Gegenständlichkeit und in der Uebersetzung des Gatten einfühlend wiedergegebene Schlichtheit des Ausdrucks; Gläubigkeit, Lebensmut und Versöhnlichkeit. „Es darf", schließt das Vorwort, „keinen Haß, es darf nur Liebe geben ...“

Nach dem Ausflug in das Diokletianische Norikum „Aelia" ist Dolores Vieser mit dem Roman „Licht im Fenster" 163 Seiten, St.-Gabriel-Verlag, Wien-Mödling, Preis 27 S wieder in das zeitnahere Volksleben am Wörther See heimgekehrt und läßt einen verbitterten, zu Unrecht verfemten jungen Bauern durch das Licht im Fenster: die Liebe, wieder Frieden mit ich und den anderen schließen. Die schlichte Erzählung stellt eine bezeichnende Etappe im Schaffen der Kärntner Schriftstellerin dar.

Den intimen Reiz Ruth S c h a u m a n n scher, immer irgendwie an ein Kammerspiel erinnernder Epik atmet „Die Karlsbader Hochzeit" Verlag Herder, Freiburg 1953, 290 Seiten, Preis 12.50 DM. Eigentlich kein Goethe-Roman, obwohl der betagte Olympier seine unmeßbare Größe ist mit bezwingender Ironie wie durch eine entfernende, nicht verkleinernde Linse gesehen am Rande hochderoselber als verschämt-selbstbewußter Brautwerber um eine blutjunge Adelige auftritt und das Rennen prompt verliert — nicht zugunsten „des Jungen“, sondern eines dritten, vom Schicksal schauerlich Geschlagenen: dies gerade macht das hohe Ethos dieser bezaubernden Erzählung aus. Das Poetische an ihr sind die eingestreuten Verse von klassischem Volkston und die Episodenfiguren wie die singende böhmische Magd, die die Plastik von Bühnengestalten haben.

Und noch ein Ton im Thema mit Variationen: „Am dunklen Flu ß", Roman von C. Nord- hoff und J. N. Hall, deutsch von Della Zampach Verlag Kurt Desch, Wien-München- Basel, 320 Seiten. Voll schmerzlicher Spannungen, bedrängt von Gesetzen und Vorurteilen ist die Liebe und der Untergang eines Weißen und einer Farbigen. Die — englischen -— Verfasser haben jahrzehntelang auf Tahiti gelebt und waren wohl schon aus herber Selbstkritik einem billigen, unwirklichen Happy-End abgeneigt ...

Das volltönende Instrumentarium des Erzählers Alexander Sacher-Masoch ist aus den heuen Ausgaben des Eduard Wancura Verlages, Wien- Stuttgart, deutlich zu hören. Kindheit, Liebe zur Kreatur und Fernweh — drei Klänge, drei Werke, deren intimen Reiz die kleinen graphischen Kunstwerke Wilfried Zeller-Zellenbergs unterstreichen: ,Jet verlorene Garten" 198 Seiten, „Vierbeinige Geschichten" 152 Seiten und „Pippatsch träumt" 192 Seiten. Ein Sonderlob dem witzigen Schiebekarton, der in den drei Farben der einzelnen Umschläge rosa-gelbblau das „Kaleidoskop in drei ‘ Büchern" zusammenfaßt. — Der Roman Sacher-Masochs „D i e Parade" 182 Seiten, Preis 48 S, wohl das bedeutendste und bezeichnendste Werk des Dichters, wurde anläßlich der Erstausgabe 1946 hier schon gewürdigt. Diese Geschichte einer empfindsamen Jugend trägt Züge von Werfels „Barbara" und Roths „Radetzkymarsch" und hört, lange vor 1914, das Knistern im Gebälk, faßt aber in dem ergreifenden Zueinanderfinden von Vater und Sohn noch einmal Hoffnung — eine Hoffnung, die heute, nach den zwei österreichischen Zusammenbrüchen, neue Bedeutung gewinnt.

„Kammermusik’’ heißt eine Skizze in Franz Nabls „Das Rasenstück" Leykam-Verlag, Graz, 237 Seiten, Preis 54 S, eine Gabe zum 70. Geburtstag des Dichters, dessen ganzes Werk Kammermusik ist: „Gespräch im Advent" etwa, dieses Duo con Sordino, oder das dunkelsamtene Bratschensolo vom „Guten Wort", das gesagt, nicht versäumt werden soll. Franz Nabl hat es gesagt.

Vorfrühling und Spätherbst scheinen die günstigste Jahreszeit für die Gründung literarischer Zeitschriften zu sein. So steht die jetzt aus München-Frankfurt kommende neue „Zeitschrift für Dichtung", „Akzente", nicht allein da: aus. London erreicht uns das neugegründete „The London Magazine", „A tnonthly review of literature", edited by John Lehmann, und in Wien erscheint „Forum", Oesterreichische Monatsblätter für kulturelle Freiheit. Heute eine literarische Zeitschrift neu erscheinen zu lassen, ist, wenn sie Format haben soll, ein Wagnis. Zu viele Versuche, ein repräsentatives Organ zeitgenössischer Literatur im deutschen Sprachraum zu schaffen, sah man in den letzten Jahren schon scheitern. Es ehrt daher den Carl-Hanser-Verlag, Mflnchen, dies Wagnis noch einmal m vermschal und es ganz zu versuchen. Denn die „Akzente“, die jetzt geschickt unterstützt herauskommen, sind keine halbe Sache und kein Kompromiß. Für sie scheint es keine Alternative zu geben: entweder es geht, oder es geht nicht. Wenn nicht, darf e kein Dahinsiechen ohne Niveau und ohne Freunde, wie bei so manchen ihrer Vorgängerinnen, geben. Die „Akzente" sollen jeden zweiten Monat zum Preise von 3 DM in einem Umfang von 96 bis 100 Seiten in Buchformat erscheinen und in Lyrik, Essay, Prosa und dramatischer Passage einen Ueberblick über die heute gültige Dichtung geben. Herausgegeben werden die „Akzente" von Walter Hollerer und Hans Bender, zwei namhaften Publizisten der jüngeren Generation, die durch ihre bisherige Tätigkeit die geeigneten Voraussetzungen für dieses Unternehmen mitzubringen scheinen. Das erste Heft enthält’ mehrere Essays zu Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften", darunter einen Beitrag der Oesterreicherin Ingeborg Bachmann, Gedichte von Oskar Loerke, Gertrud K o 1 m a r, George Forestier, Dialoge von Günter Eich, eine Hölderlin-Untersuchung von Martin Heidegger und vermittelt in den Auszügen aus dem Rußlandtagebuch Hans Scholls die eindringliche Begegnung mit einem reinen Menschen in einer unsauberen Zeit. Soll die Dichtung nicht leiden, so muß es auch Zeitschriften geben. Denn es ist, wie T. S. Eliot in seinem Vorwort zum „London Magazin" sagt: „Ohne literarische Zeitschrift sinkt die Lebenskraft der Literatur."

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