6600464-1953_35_02.jpg
Digital In Arbeit

Es geht um die saubere Presse

Werbung
Werbung
Werbung

Geehrte Redaktion! Da die „Oesterreichische Furche“ seit Jahren dem Gedanken Raum gibt, verschiedene weltanschauliche Richtungen zu einer gemeinsamen Diskussion zu bringen, so möchte ich den zu-tretienden Artikel des hochangesehenen Juristen Dr. Chamrath über: „Jugendkriminalität und Ethos der Presse“ zum Anlaß nehmen, um ein gemeinsames Anliegen mit allem sittlichen Ernst zu besprechen und zu einem greifbaren Ergebnis zu bringen. Ich dar! dazu in Erinnerung rulen, daß vor Jahresfrist ein weifver breitetes Wiener Blatt den Appell an alle Zeitungen und Zeitschriften richtete, in der Wiedergabe der Polizei- und Gerichtssaalberichte die Schilderung der Verbrechen auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken. Das Echo auf diesen Anruf an das Ethos der Presse war schwach und verstummte bald, und dann war es gerade dieses Blatt, das eigene Reporter an die Stätten der Verbrechen schickte, um rasch und möglichst lückenlos eine genaue Schilderung der verbrecherischen Taten bringen zu können. Es herrscht sowohl in der Tagespresse als auch bei den Wochenblättern eine fieberhafte Konkurrenz darin, wer über Verbrechen und Verbrecher am umfangreichsten und am prickelndsten zu berichten weiß. Ein großer Teil der Leser kauft nur jene Blätter, die in der Berichterstattung von Verbrechen die höchste Leistung an den Tag legen können. So sind es gerade die Verbrechen, die zwischen Schriftleitung und Verwaltung einet Zeitung goldene Brücken bauen. Hier fällt es schwer, vom Ethos der Presse zu reden.

Von der Presse wird der Stein gerne auf die Leserschalt geworfen, die mit Vorliebe solche Schauergeschichten lese. Wir stehen hiermit vor der Frage: Soll die Presse die Leser oder sollen die Leser die Presse erziehen? Augenblicklich gefällt sich das Leserpublikum in der Rolle des Erziehers. Das ist genau so, als wenn in der Schule die Kinder die Lehrer erziehen

und unterrichten wollten. So steht ein gewaltiges Problem vor uns: Wie kann die gesamte Presse ihrer verantwortungsvollen Erziehungsaufgabe gerecht werden? In dieser Fragestellung habe ich die allergrößte Schwierigkeit bereits angedeutet: die gesamte Presse! Was hilft's, wenn etwa die Tagesbfätter einig werden würden, Berichte über das Verbrechertum auf das allerkleinste Maß zurechtzustutzen, wenn die Wochenblätter erst recht in der Ausschmückung der Verbrechen Orgien leiern würden? Es handelt sich hier nicht nur um finanzielle Einbußen der Tagespresse und um steigende Gewinne der Wochenblätter, sondern: daß das Gilt ja doch in die Herzen der jungen und alten Menschen trieft. Dieser schmutzige Kanal muß zugestopft werden. So wie man bei Gerichtssitzungen über Sittlichkeitsverbrechen die Oeifentlichkeit ausschließt, so gehört die Oeffentlichkeit weitgehend von dem Verbrechertum abgeschaltet. Es genügt der kleine Kreis von Menschen, die unmittelbar Zeugen verbrecherischer Handlungen werden, man muß nicht die Augen und Ohren von Hunderttausenden immer wieder nur auf das Gemeine und Lasterhafte richten. Es geht ja nicht nur um jugendliche Kriminelle, die bereits vor der Richterbarriere gestanden sind, sondern es geht um jene junge Menschen, deren stille und geheime Verbrechen nicht ans Tageslicht kommen, und um jene noch größere Zahl junger Menschen, ja Kinder, die oft heimlich und verstohlen solche Zeitungsberichte lesen, ihr Denken mit diesem Schmutz belasten, zerstreut im Lernen werden und an Geist und Seele Schaden nehmen, ohne daß oft Eltern oder Lehrer ahnen, wo der Ursprung dieser plötzlichen Dekadenzerscheinungen liegt. Es ist zu befürchten, daß eine von höchster Stelle einzuberufende Enquete aller Presseverantwortlichen und eine scharfe Mahnung an das Gewissen der Presseleute nur geringe Wirkung haben dürfte, wenn nicht in unserem Strafgesetz dergestalt eine Aenderung eintritt, daß

nicht nur Recht gesprochen, sondern auch Sitte und Moral geschützt wird.

Eine zweite Schwierigkeit- Womit soll die Presse dann ihre Spalten füllen, wenn die seitenlangen Schilderungen von Verbrechen in Weglall kommen? Die Antwort ist leicht. Ich verweise beispielsweise auf das ausgezeichnete Buch des Lehrers Bendl: „Der Sonnblick ruft“, in dem er das stille Heldentum des Wettei-wartehepaars geschildert hat) oder auf die monatlich erscheinende „Mappe der Menschlichkeit“ aus der Feder des Wiener Pädagogen Alois Jalkotzi, in der jeder Journalist Stoff in Hülle und Fülle für spaltenlange Schilderungen heldenhafter Leistungen braver Menschen finden kann. Man ziehe endlich all das Gute, das insgeheim in Wohnstätten und Werkstätten, in Heimen und Krankenhäusern getan wird, ins Rampenlicht der Oeffentlichkeit, damit unsere jungen Menschen lernen, worin wahre Menschenwürde besteht. Man decke die Leistungen unserer Bauern und Arbeiter, unserer Forscher und echten Künstler auf, man zeichne Visionen einer Zukunft, wie sie sein könnte, wenn aller Haß und aller Neid erstorben wären und die Menschen ein großes Brudersein lernen würden. An Stoü fehlt es wahrhaftig nicht, aber am guten Willen, sich endlich ans Werk einer wahren Menschheitserziehung zu wagen.

Noch ein letzter Einwand: Eine Einschränkung dieser Berichtefreiheit stellte eine Verletzung der demokratischen Pressefreiheit dar. Solche Worte sind nämlich schon gefallen. Wie ein Hohn klingt solcher Einwand! Es soll also erlaubt sein, durch breitspurige Schilderungen von Verbrechen die Seele der jungen Generation, ja das Gewissen eines ganzen Volkes zu vergüten, aber es soll nicht erlaubt sein, Ungehörigkeiten und Untaten aufzuzeigen, wenn sich diese Untaten bei den Mächtigen der Erde zeigen. Freiheit des Denkens und der Ueberzeugung hat mit der Verteidigung oder Bloßstellung von verbrecherischen Handlungen nichts zu tun. Es mag ein geschickter Rechtsanwalt in einer Gerichtsverhandlung seinen Klienten mit dem Hinweis auf seine krankhalte Veranlagung von der Verantwortung entlasten, in der Zeitungsdarstellung wirkt eine solche Argumentation ermutigend auf leichtfertige Naturen, weil sie sich für ihr verbrecherisches Tun auf krankhafte Zustände ausreden. Pressefreiheit — ja: in der Verteidigung seiner Ueberzeugung, seines Bekenntnisses, seiner Weltanschauung! Pressefreiheit —• nein: Wenn sie nur der offenen oder versteckten Verherrlichung oder Entschuldigung verbrecherischer Handlungen gilt. Auf dieser Ebene müßte ein neues Pressegesetz allen Zeitungen und Zeitschriften eine feststehende Norm geben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung