Es gibt noch Engel und Wunder

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Modernes kolumbianisches Märchen mit Sozialkritik.

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Modernes kolumbianisches Märchen mit Sozialkritik.

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Noch niemand hat einen gesehen, doch hoffen auch aufgeklärte Menschen in bestimmten Situationen, es möge sie wirklich geben: Die Engel, die auf Altären und in biblischen Geschichten strahlend auf die Erde niederschweben und ihre schützende Hand über jene halten, die besonderer Hilfe bedürfen.

Die kolumbianische Journalistin und Romanautorin Laura Restrepo stellt in ihrem neuen Roman ein solches Wunder in den Mittelpunkt, das mitten im Armenviertel von Bogota einer jungen Journalistin passiert und ihr Leben grundlegend verändert.

Sie ist frustriert auf dem Weg zur Mißwahl, um "dreißig junge Frauen mit Wespentaille und ebensolchem Hirn" zu interviewen. Am Ende hat sie durch das Erscheinen des Engels nicht nur das Leben der Armen hautnah kennengelernt, sondern auch die Liebe: Der Engel ist Vater ihres Kindes. Und sie hat gelernt, daß es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als man verstehen und erklären kann.

In ihrem neuen Roman legt die Autorin geschickt einige Schwachstellen unserer modernen Welt bloß: Den Populär-Journalismus, der "Realität" beschreibt und "Objektivität" fordert, aber mit der Lebensrealität so vieler Menschen gar nichts zu tun hat. Den Informations-Streß, der keinen Raum für Phantasie und Irritation zuläßt und abgestumpfte Menschen noch mehr abstumpfen läßt. Die Sehnsucht nach der großen Liebe mit Zeitlosigkeit und Tiefe, die in uns allen schlummert, im Alltag der Oberflächlichkeit und Hektik aber keinen Platz mehr findet. Außer eben mit einem Engel, der autistische Züge und schwere, undurchschaubare Kindheitstraumata aufweist, dessen geheimnisvolle Ausstrahlung aber alle in seinen Bann zieht. Kultische Verehrung - geschickt genutzt von cleveren Mitmenschen - wird ihm schnell zuteil. Die Legenden rund um ihn blühen und befriedigen die Sehnsucht der Erniedrigten und Beleidigten, die nicht mehr auf Hilfe zu hoffen wagten. Der katholische Priester reagiert mit einem Glaubenskrieg gegen die wundergläubige Gemeinde, doch selbst eine tüchtige Psychotherapeutin scheut davor zurück, dem Engel mit Hilfe von Psychotherapie die Flügel zu stutzen.

Immer wieder blitzt in diesem Roman die Möglichkeit durch, der Engel könne "nur" ein Mensch mit geheimnisvoller Lebensgeschichte und ungewöhnlicher Ausstrahlung sein, der erst in den Köpfen sehnsüchtiger Menschen (auch der verliebten Journalisitin, der obendrein seine körperliche Makellosigkeit die Vernunft raubt) zum Wunderwesen wird. Aber spielt die Grenze zwischen Realität und Fiktion eine Rolle, wenn man himmlische Erfahrungen macht?

Der Engel an meiner Seite Roman. Von Laura Restrepo, Übersetzung: Ilse Layer, Wolfgang Krüger, Frankfurt/M. 1997, 235 Seiten, geb., öS 248,

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