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Essayband von Peter Strasser
Erklären ist ein Annäherungsvorgang. Die Philosophen überwachen diesen Vorgang und berichten gelegentlich, wie weit wir gerade sind mit unseren Erklärungen.
Peter Strasser, der Grazer Philosoph, faßt in seinem neuen Buch „Das Menschenmögliche" mehrere Aufsätze zusammen, in denen er die Erklärungsmuster bei Grundfragen des Menschlichen verfolgt. „Das Böse erklären" lautet ein Titel, und ein anderer komplementär dazu: „Das Menschliche erklären".
Das Böse in allen Schattierungen: der Zehnjährige beim Klauen eines Messers, der junge Hitler in Wien beim Ausbrüten des Judenhasses, Eichmann, der den Mord industrialisiert, bis zu den Lainzer Schwestern, die aus halbem Mitleid morden. Bei all dem die Frage: was ist das Böse eigentlich? Hat es objektiv Substanz (als Dämon, als Prinzip), ist es etwas Natürliches („Das sogenannte Böse"), oder ist es „nur" ein Produkt unserer Wertungen?
In den genannten Fällen werden diese Fragen durchgespielt, und mythische, religiöse und wissenschaftliche Erklärungen vorgestellt. Sie alle enden an undurchdringlichen Plakatwänden: bei einem Gott, beim freien Willen, oder bei einer Nicht-Existenz-Erklärung. Strasser nennt sie treffend „Erklärungsblocker": Sie schneiden das Weiter-Fragen ab und stellen für einige Zeit Buhe her.
Strassers eigene Bemühungen führen, von ihm offen eingestanden, nicht viel weiter. Sie enden beim Paradox als einer nächsten Wand. Statt Willensfreiheit, ja oder nein, heißt es nun: Der Mensch ist frei und unfrei zugleich. Er will ,aus Spaß' klauen und merkt nicht, welchen Zwängen er unterliegt. Und gespiegelt: er handelt zwanghaft böse, und könnte doch anders handeln. Die Welt hat eine Paradoxstruktur, ja und nein. Das scheint der Stand der Wissenschaft zu sein.
Ganz ähnlich ist es beim „Menschlichen". Am Ende einer Erklärangs-kette vom Wesen des Menschen steht das Paradox: „Daher hat der Mensch, pointiert gesagt, kein Wesen!". Und als Fazit der modernen Seelenkunde erscheint das Apercu: „Der Mensch ... hat, überspitzt formuliert, keine Seele mehr; er hat stattdessen eine Psyche" . Anstatt den alten Gegenstand zu erklären, hat man sich einen neuen konstruiert.
In diesen Aufsätzen zum Menschenmöglichen wird vielerlei Aktuelles aufgegriffen: das Verdichtungs-syndrom in unseren Städten, Menschlichkeit im Pflegedienst, Psychiatrie in der Justiz, der Neid als Triebkraft in Gesellschaften, der Haß als die vielleicht deutlichste Manifestation des Bösen. Die Lektüre ist in vieler Hinsicht anregend, auch durch die Hinweise auf grundlegende Literatur zu den Themen.
Der Autor wechselt, wenn er als Philosoph am Ende ist, die Sprache und wird poetisch. Beim Blick zum Ursprung ist dann vom „Atem und der Schönheit einer Herkunft" die Bede, „die ebenso namenlos ist, wie sie unzählbare Namen und Geschichten hat". Als poetische Figur sind wir ans Paradox gewohnt; vielleicht ist Poesie die bessere Annäherung als Wissenschaft, um etwas zu erklären.
DAS MENSCHENMÖGLICHE
isill Spate Gedanken über den Humanismus. I on Peter Strasser. Uculicke I'erlag, IVien 1996. 207Seien, geb., öS298,-
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