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Extrem abweisend, fiir viele faszinierend: Die Antarktis

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Antarktis" heißt ein Bildband aus dem Wiener Brandstätter-Verlag, der selbst aus dem heutigen opulenten Angebot wunderschöner Bücher großartiger Fotografen hervorsticht. Allerdings, die Gegend, aus der Chris Sattlberger Bilder von solcher Schönheit heimbrachte, ist etwas exklusiv. Im Sommer steigt die Temperatur an den Küsten auf einen Mittelwert von null Grad Celsius, die man in Anbetracht der notorischen Windstärken nur selten wirklich genießen kann. Außerdem ist der Sommer schnell vorüber, und die Menschen, die hier überwintern, haben in Notfällen erst in einigen Monaten Hilfe zu erwarten.

Sattlberger hat die Antarktis so fotografiert, daß man trotzdem sofort den nächsten Urlaub dort buchen möchte. Was gar nicht in seinem Sinne wäre, denn seine Botschaft läßt sich auf zwei Wörter reduzieren: Finger weg! Nicht wegen der Gefahren für den Menschen, sondern wegen der Empfindlichkeit der dort lebenden Tiere und Pflanzen, und weil diesen von einer Mentalität, die alles „erschließen" muß, was Gewinn verspricht, höchste Gefahr droht, sobald die Technik noch ein bißchen fortgeschrittener sein wird als heute.

Trotz der antarktischen Faszination, die sein Buch ausstrahlt, ist dies keineswegs kontraproduktiv. Denn es gelingt Sattlberger, jeden Einsichtigen von der Berechtigung der Fingerweg-Parole zu überzeugen. Und das nicht eben nur argumentativ-intel-lektuell, sondern emotional. Seine

Bilder und Texte sind die beste Werbung für den Schutz der Antarktis, den man sich vorstellen kann. Dabei muß auch einer, der meint, schon alles gesehen zu haben, aufpassen, angesichts dieser Bilder nicht vom antarktischen Fernweh gepackt zu werden. Was Sattlberger an Stimmungen, an ästhetischer Wirkung einfangen konnte, das ist schon meisterhaft. Man meint, die Wärme eines antarktischen Sommertages zu spüren - und dann wieder den Wind pfeifen zu hören. Der Text tut ein übriges. Dieser Fotograf kann nämlich auch schreiben. Etwa über die Gefühle der Antarktis-Reisenden bei der Abfahrt, die Schwermut bei der Rückfahrt, das Schweigen derer, die überwintert haben und nun in die Zivilisation zurückkehren. Für dichtgepackte Information sorgt Ko-Autor AVolfgang Petz mit einem umfassenden Glossar.

Wohl ein Rekordwert im Tierreich: Bis zu 15.000 Kilometer legen Wanderalbatros-Eltern in der Antarktis auf einer einzigen Nahrungssuche zurück, mit Tagesleistungen von fast tausend Kilometern, während das Junge - immer nur eines! - allein im Nest zurückbleibt. Dabei kann der größte Seevogel ohne Wind überhaupt nicht fliegen. Eine Flaute zwingt ihn bald aufs Meer hinunter, wo er auf der Wasseroberfläche sitzenbleibt, bis wieder starker Wind aufkommt, der ihn davonträgt. Der läßt ja in der Antarktis selten lange auf sich warten. Auf Süßwasser angewiesen sind auch sie - wie bei vielen anderen Seevögeln haben sie in ihrer Röhrennase eine biologische Entsalzungsanlage. Wanderalbatrosse, von denen es noch rund 17.000 Paare gibt, werden 50 Jahre alt. Sie leben strikt monogam, kommt ein Tier um, ist der Partner für die Arterhaltung verloren.

Noch ein Rekord: Flechten haben sich zwar auch an die Existenzbedingungen in der lebensfeindlichsten Region der Erde angepaßt und kommen bis auf 400 Kilometer an den Südpol heran, brauchen aber für ein Wachstum von einem einzigen Millimeter bis zu hundert Jahre. Dabei sind sie so empfindlich, daß der Fußabdruck eines unachtsamen Menschen, falls sie den Tritt überhaupt überleben, unter Umständen noch nach Jahrzehnten sichtbar ist. Dafür werden manche Flechten (bekanntlich Lebensgemeinschaften einer Alge mit einem niederen Pilz) bis zu 4.000 Jahre alt.

Die Antarktis fasziniert nicht nur Forscher, Abenteurer, Einsamkeitssucher und Extremsportler, sondern auch potentielle Investoren. Gewaltige Naturschätze werden unter dem mächtigen Eispanzer, unter dessen Gewicht die antarktische Landmasse einen Kilometer einsank, vermutet. Noch schützen Kälte, Stürme und Eis die empfindlichsten Biotope der Erde mit ihren Arten, die nur hier vorkommen und für die eine „Erschließung" wahrscheinlich das Todesurteil bedeuten würde. Nicht zuletzt diese Unzugänglichen machte es 42 Staaten im Jahre 1959 leicht, den Antarktisvertrag zu unterzeichnen. Er wurde 1991 um weitere 50 Jahre verlängert und verbietet militärische Aktivitäten und das Lagern radioaktiver Abfälle, nicht aber den Abbau mineralischer. Rohstoffe. Er schützt auch nur das Land, nicht aber das Meer. Trotzdem wirft zumindest ein Teil der Antarktisforscher keinerlei Abfälle ins Meer und läßt auch an Land sowenig wie möglich zurück.

Über die Lebensweise vieler Tiere, zum Beispiel über die Rossrobbe, weiß man fast nichts. Oft nicht einmal annähernd, wieviele Individuen es noch gibt. Zu den Anpassungsleistungen der Pinguine gehört die Angst vor dem Menschen jedenfalls nicht. Ihre Zutraulicheit und Neugierde ist sicher einer der Faktoren, die die Antarktis so faszinierend machen. In der Unwirtlichkeit der Kälte und des Eises erlebt der Mensch sie als Ausdruck der Zusammengehörigkeit allen Lebens.

ANTARKTIS

Eine Reise ans Ende der Welt Von Chris Sattlberger. Verlag Christian Brandstätter, Wien 1996. 184 Seiten, viele Farbaufnahmen, Ln, öS 980,-

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