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Fahrt und Nacht

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Wenn mich jemand fragen sollte, was mein schönstes Erlebnis in diesem Sommer war, würde ich ohne Zögern sagen: „Ein Abend im Waldviertel.“ Ja, es fällt mir wirklich nichts Schöneres ein und ich sehe das Bild noch immer so leuchtend vor mir, daß ich mich immer von neuem darüber freue.

Als ich im Sommer mit sechs Kindern, Knaben, und meinem Schäferhund Winnetou durch die paradiesische Landschaft unseres österreichischen Waldviertels fuhr, querte eines Abends unsere Straße ein entlegenes Waldtal. Am Täl- grund blieb ich sofort stehen und beschloß zu bleiben. Der glucksende Bach lief durch eine Wiese, an deren Rand der Wald steil aufstieg. Ich fuhr von der Straße soweit dem Bach nach, bis von ihr nichts mehr zu sehen war. Alle sprangen aus dem Wagen, voran der Hund, ohne den die ganze Fahrt den Knaben nur eine halbe Freude gemacht hätte. Mit langen Sätzen läuft er das Gebiet ab, trinkt am Bach, wälzt sich im Gras und schnuppert etliche interessante Fähr ten ab. Am besten ist es, man läßt die Buben, soweit als möglich, selbständig tun, was notwendig ist und was sie wollen. Franzi, der Größte, übt mit sanfter Gewalt die Herrschaft aus, und da er das, was Plato das Anführende nennt, von Natur aus mitbekommen hat, beugen sich ihm die anderen. Seine Leidenschaft sind Zelte und Fische. Die Zelte: Wir haben zwei mit. Er breitet sie auf dem Boden aus und bald stehen sie mit flatternden Wimpeln auf der moosigen Wiese. Ich baue inzwischen den Kochplatz, denn ich liebe das Kochen auf freiem Feld. Da der Bach trübe ist, schicke ich sie, eine Quelle zu suchen. Jeder erwischt irgendein Gefäß, Franzi stürmt mit dem Hund voran und ich sehe sie für eine halbe Stunde lang nicht, vergebens wartend auf das Wasser.

Doch wozu ärgern bei diesem herrlichen Gottesfrieden im letzten Tal der Welt. Ich ziehe die Schuhe aus und schreite den Talgrund ab. Die Müdigkeit langer Monate schwingt in mir aus. Später Sommer. Mir fallen Erlebnisse und Menschen, Schönes und Trauriges ein. Alles ist mir nahe und gegenwärtig. Da kommt der Hund gelaufen, leckt mir die Hand, was ich hasse, und verweilt schnaufend. Ich lausche weiter auf den Gottesfrieden dieses Tales. So kam ich das ganze Jahr nicht zur Ruhe wie jetzt. Der Sommer geht dem Ende zu. Ich fühle, wie sich ein Jahresring des Lebens und der Arbeit schließt, und mir kommen etliche Verse in den Sinn, die ich auf der Fahrt schon immer vor mich hin gemurmelt hatte, ich glaube, es sind die schönsten von Gottfried Benn: „Astern, schwelende Tage, alte Beschwörung, Bann, die Götter halten die Waage, eine zögernde Stunde an."

Während ein Streifen Sonne noch auf der Wiese liegt, itze ich bereits im Schatten. Das Feuer brennt. Die Kleinsten kommen gelaufen tmd, was ich befürchtet habe, ist geschehen,

jeder bringt in seinem Gefäß eine lebendige

Forelle. Sie bringen mir die flinken, scheuen Tiere, die sie mit der Hand gefangen haben nur zum Anschauen. Wir zählen sie und lassen sie wieder in ihr Wasserreich gleiten. Franzi sieht es mit Bedauern, doch er beugt sich. Das reine Wasser, das sie gebracht haben, stelle ich auf den Rost und suche zusammen, was wir heute für unser Essen brauchen. Für unser phantastisches Gericht gebe ich ins kochende Wasser

Paradeiser. Wurst, Kartoffeln, Suppenwürfel und vieles andere, was mir gerade in die Hand kommt. Die Knaben erzählen ihre Fischabenteuer, Franzi fragt, wie man Forellen am Spieß brät. Rein theoretisch erkläre ich es ihm: ,Du nimmst ein Stäbchen, steckst den ausgenommenen Fisch drauf und hältst ihn einige Minuten übers Feuer, dann träufelst du etwas Salz und Zitronen drauf und du kannst schon essen..Aber zuerst brauchst du eine Fischkarte. Ohne diese schmeckt die Forelle nicht.“ Das Essen ist fertig. Die Knaben sitzen ums Feuer und löffeln. Selbst die heikelsten erklären, daß es bei der Mutter selten so was Gutes gibt.

Nach dem Essen wird gerauft, und zwar lange und intensiv. Wir spielen Heumarkt. Es gibt Herausforderungen, Fratizi kämpft gegen drei Kleine, die nicht imstande sind, ihn auf den Rücken zu legen. Wenn es ernst wird im Kampfeseifer, greift Winnetou bellend ein.

Da sie mich als Schiedsrichter nicht brauchen, gehe ich tiefer in das Tal hinein. Das ist das Schöne, wenn man unter Kindern ist, daß man unter Menschen ist und doch soviel Raum für sich selber hat. Ich hänge meinen Gedanken nach und gebe mich dem sinkenden Abend hin. Mein Mund spricht die Strophe: „Noch einmal die goldenen Herden, der Himmel, das Licht, der Flor. Was breitet das alte Werden unter den sterbenden Flügeln vor?“

O Glück dieser Stunde: Vollkommene Stille, Erfüllung des Sommers.

„Noch einmal das Ersehnte, den Rausch, der Rosen Du, der Sommer stand und lehnte und sah den Schwalben zu.“

Wie weich der Boden unter den bloßen Füßen nachgibt, wie lau die Abendluft durch das Tal zieht, wie blau sich der Himmel über den dunklen Fichten ausspannt.

Die Knaben haben zu sinken begonnen, wahrscheinlich hat Franzi den Befehl dazu gegeben. Sie lieben die lauten, starken Lieder:

„Wenn die bunten Fahnen wehen" oder „Vom Barette schwankt die Feder“. Ich stimme ein Abendlied an, dämpfe ihre Stimmen und mahne Franzi, die Unterstimme zu singen.

„Aber heidi, pobeidschi, schlaf lange.“ Ich bin sehr glücklich, daß die größeren in der Schule das schönste aller Abendlieder gelernt haben: „Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar", und ich empfinde dankbar, daß auch für uns der Wald schwarz dasteht und schweiget und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar. Dann stellen wir uns um das niedergebrannte Feuer und beten das Abendgebet. Sie tun es selbstverständlich und mit guter Haltung.

Nun rücken sie mit einer Ueberraschung heraus: Sie haben Nachtwachen eingeteilt und alles dafür gerichtet. Meinen langen Kosakendolch, der zum Wagengerät gehört, hat sich Franzi umgebunden, sein Begleiter trägt an einer Stange die brennende Laterne, Winnetou soll sie bei Fuß auf den Kontrollgängen begleiten. Ich will ihnen die Freude nicht nehmen und lege mich in den Wagen, den ich für mich allein als bequeme Lagerstätte gerichtet habe. Durch die großen Fenster sehe ich hinaus und höre die regelmäßigen Schritte und das Gemurmel der Wächter. In einem Zelt spielt noch einer auf der Mundharmonika: „Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsre weit und breit.“

Ich aber spreche die letzte Strophe von Gottfried Benn:

„Noch einmal ein Vermuten, wo längst Gewißheit wacht, die Schwalben streifen die Fluten und trinken Fahrt und Nacht."

Dann löst sich die Seele und tritt ihre nächtliche Fahrt in das Traumland an. wo mir in verklärter Form noch einmal alles aufsteigt: Frühling und Sommer, der schöne Tag und die Vollendung an diesem Abend.

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