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Falsche Propheten

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Das Volk Deutschlands zählte gewiß auch während des Zwischenspieles des Dritten Reiches in seinen Reihen Köpfe, die veranlagt gewesen wären, sich zu selbständigen Denkern mit scharf umrissenem Profil zu erheben. Jedoch das alles einebnende Kollektiv vollzog auch an ihnen die geistige Guillotinierung oder — noch bedauerlicher! — so manche der zum schöpferischen Denken Geborenen beugten sich vor dem „Primat der völkischen Wirklichkeit“ und gaben sich dazu her, „Beauftragte“ einer Reichs- und Staatsphilosophie zu sein, die ihre einzige Daseinsbestimmung darin zu erkennen schien, „politische Philosophie“ zu sein, das heißt die einmal gegebene nationalsozialistische Weltanschauung zu „unterbauen“ und zu „untermauern“, nämlich die Ideologien, auf die sich das „Ewige Reich“ aufbaute, nachträglich zu begründen und zu entfalten. Es waren jene geschäftigen und allzu wendigen Vielredner und Vielschreiber, die es verstanden, mit einer gewissen pseudorel'.giös-mystischen Glut ihren Hörern und Lesern den Aufbruch der nationalsozialistischen Revolution und das Erscheinen des „charismatischen Führers“ als den Anruf Gottes an die Nation und als das Reden Gottes im Schicksal mundgerecht zu machen.

Da ist Ernst K r i e c k, nicht einfach der Heidelberger Professor für Philosophie und Pädagogik, sondern einer der richtungweisenden politischen Reichserziehungslehrer, wenn nicht — neben dem gleich zu charakteri-. siercnden Alfred Baeumler — der Pädagoge des Nationalsozialismus schlechthin.

Zunächst hatte sich dieser vom Dritten Reich bestellte Philosophieprofessor in die groteske Idee hineingelebt, mit der Philosophie selbst aufräumen zu müssen: „Ende der Philosophie ist Ende des längsten Irrwahnes“, schreibt er noch in einem seiner letzten Werke (.Der Mensch und die Geschichte“, 86). Die deutsche Philosophie ist nämlich christlich-antik überlagert; sie ist so etwas wie verkappte Theologie, daher verbraucht und überlebt. An ihre Stelle rückt dir Anthropologie; diese habe das Bild des — versteht sich! — „deutschen“ Menschen zu umreißen. Dieser deutsche Mensch erlebt die „Offenbarung Gottes“, „wenn das Schicksal aufspringt in den großen Aufbrüchen ... Gott spricht zu uns im völkischen Aufbruch: Wir sind die Erwählten!“ Aber die Christen, so klagt K r i e c k zürnend, verstehen nicht die Zeichen der großen Zeit, die Sprache Gottes im Schicksal; sie „stellen sich in Front gegen den Anruf Gottes in Aufbruch und Geschichte. Sie sind der Sünde verfallen; sie sind au? der Gemeinschaft mit Gott, aus der Berufung und Gotteskindschaft herausgefallen: sie sind in Wahrheit — glaubenslos ...“ (!) („Völkischpolitische Anthropologie“, I, 61).

, Was allein kann die Christen von dem Anathem lösen, das K r i e c k im Namen ' des in der Geschichte zu uns sprechenden Gottes ex cathedra verhängt? — Nur die Wiedergeburt eine „germanischen“, eines „art- und rassegemäßen Christentums“. Denn die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist — so lautet die neue Christo-logie K r i e c k s, der sich einen freilich alten Gedanken Meister Eckeharts in der fragwürdigen Rosenbergschen 'Interpretation zu eigen macht — doch nur die Vergottung der Menschheit: Das deutsche Volk ist der Sohn Gottes, und je tiefer wir im völkischen Lebensgrund stehen, um so tiefer sind wir auch in den christlichen Lebensstrom eingetaucht. Da fordert auch K r i e c k: „Ein nordisches, ein deutschvölkisches, nicht ein kirchliches und erst recht nicht ein orientalisches Christentum!“ (a. a. O., I. 68 f.) Was aber dieses „Christentum“ außer dem Namen noch mit dem „kirchlichen Christentum“ gemeinsam hätte, ist allbekannt... : reine Etikette.

K r i e c k an politischer Bedeutung durchaus ebenbürtig ist A l,f r e d Baeumler, seit 1933 Inhaber des für ihn gegründeten Lehrstuhls für politische Pädagogik in Berlin. Auch er hatte, solange er noch nicht „auf des Führers Fahne geschworen“ hatte, fruchtbare fachwissenschaftliche Arbeit geleistet. Für einzelne Abschnitte des großangelegten, mit Manfred Schroeter herausgegebenen vierbändigen „Handbuches der Philosophie“ (1926 ff.) zog er auch führende Gelehrte katholischer Richtung (A. D e m p f, E. P r z y w a r a) heran. Aber schon mit der von ihm begründeten Nietzsche-Renaissance, die dem in der Zeit der Weimarer Republik im Kurse tief gesunkenen antidemokratischen Philosophen des Übermenschen zu einem sprunghaften Wiederaufstieg verhalf und den antinationalen Satyriker des „deutschen, ach leider! — deutschen Wesens“ aufnordete, sicherte er sich einen Ehrenplatz in der Walhalla des Dritten Reiches. Neben verschiedenen anderen Schriften war es der 1943 von Baeumler veröffentlichte Pan-egyrikus auf Alfred Rosenberg und den „Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts“, mit dem Baeumler auf immerwährende Zeiten unter die „Unsterblichen“ des nordischen Blutes einging.

Die „Entdeckung der Rasse“ sei, so lehrt Baeumler („Politik und Erziehung“, 41 f.), als ob man früher nichts von Völkern und Rassen gewußt hätte — die kopernikani-sche, also die den Standort radikal abändernde Tat der neueren Zeit. Durch diese Entdeckung der Rasse werde die Kirche, die selber ein geschichtliches Gebilde der Rassen und Völker sei, in ihrer Einheit erschüttert. Baeumler will sich nicht erinnern, daß die Kirche eine weit größere „Krise“ für ihre innere Einheit überwunden hat, ja daß s;e dieser Überwindung zum nicht geringen Teil ihre weltgeschichtliche Stellung verdankt. Es ist

— wovon zu reden im Dritten Reich „heimtückische Flüsterpropaganda“ bildete

— die Entdeckung der selbständigen, dem eigenen Gewissen verantwortlichen Persönlichkeit gegenüber dem „Leviathan“ der antiken Staatsomnipotenz, eine „Entdeckung“, die die Kirche in jahrhundertlangem Kampfe für die Gewissensfreiheit gegen die blutige Dämonie des Heidentums verteidigen mußte.

Den Prototyp jener Philosophie, die zeigt, wie weit sie in ihrer Blickverengung fähig ist, die Vergötzung des „Führers“ mit gerissener Dialektik zu treiben, stellt Hans Heyse (Göttingen) dar. In seinem Buche „Idee und Existenz“ (1935), dessen Titel man, wenn auch nicht ganz zutreffend, etwa mit „Wahrheit und Wirklichkeit“ wiedergeben könnte, behauptet Heyse, das Christentum habe im Gegensatz zum nordischen Geist, dem sich die Wahrheit durch die „Tapferkeit seines Existierens“ erschließt, diese auf den übernatürlichen Glauben gegründet. Nun sei mit der Erschütterung des übernatürlichen Glaubens in der neueren Zeit das tiefste Prinzip (die „Idee“) verlorengegangen, auf die in christlichem Sinne unsere Wirklichkeit (unsere „Existenz“) bezogen werden kann. Also, so folgerte Heyse im Jahre 1935, habe das Christentum, wenn auch mit noch anderen „Ideologien“, in den letzten Konsequenzen in die Katastrophe hineingeführt, aus der „fünf Minuten vor Zwölf“ der „Führer“ die deutsche geschichtliche Existenz gerettet habe! — Derselbe „Führer“, so müßten wir in einer Neuauflage von H e y s e s Buch, wenn es je zu einer solchen käme, ergänzend hinzufügen, der dann in dem wirklichen Katastrophenjähr 1945 bereit war, die deutsche geschichtliche Existenz endgültig versinken zu lassen...

In nicht wenigen Belangen hebt sich von den bisher vorgeführten Philosophen im Dienste der Politik jener Wissenschaftler vorteilhaft ab, der seit 1940 den Ersten Lehrstuhl für Philosophie an der philosophischen Fakultät der Universität in Wien innehatte: Es ist der ehemalige Professor von Leipzig und Königsberg Arnold Gehlen. Vor allem durch sein Buch „Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt“ (1940), das kein Geringerer als Nicolai Hartmann ein „Werk von Gewicht“ nannte, hat sich Gehlen einen Namen gemacht. Sechs Jahre vorher (1934) hatte Gehlen in seiner Antrittsvorlesung in Leipzig erklärt, es werde die „vielleicht entscheidendste Frage“ der Philosophie sein, „ob die Wirklichkeit des Volkes nur m i t Gott oder nur ohne Gott eigentlich erlebt und gedacht werden müsse“. Es war eine Zeit, in der Gehlen noch von einem gewissen „theologischen Denken“ bestimmt war. Ein paar Jahre später — und er hatte den bekannten Schritt Ludwig Feuerbachs „Von der Theologie zur Anthropologie“ vollzogen, wenn auch nicht zu der die Theologie als Illusion aushöhlen wollenden Feuerbach-schen Anthropologie, wohl aber zu jener „politischen“ Anthropologie, die des Menschen höchstes Telos im Aufgehen in der „Wirklichkeit des Volkes“, das heißt des totalen Staates sehen will.

Noch in der Einführung des erwähnten Hauptwerkes stellt Gehlen den entscheidungsschweren Satz auf: „Ob sich der Mensch als Sohn Gottes versteht oder als arrivierter Affe, wird einen deutlichen Unterschied in seinem Verhalten zu wirklichen Tatsachen ausmachen“ (a. a. O, I). Im weiteren Fortgang der Untersuchung Gehlens wird es jedoch bald offenbar, daß Gehlen die Religion nur evolutionistisch-psychologistisch sieht und ihr deshalb keine weitertragende Bedeutung als die eines rein subjektiven Erlebniskomplexes beimißt. Darum nimmt auch Gehlen keinen Abstand mehr, den von der Propaganda oft genug verwischten oder getarnten Trennungsstrich zwischen Religion und nationalsozialistischer „Weltanschauung“ mit aller Deutlichkeit zu ziehen und die Absage an die Führung des einzelnen wie der Gemeinschaft durch die Religion offen auszusprechen. Die Religion sei heute „matt gesetzt“. Denn was sie einst leistete, die Welt- und Selbstden-t u n g, sei von der „Weltanschauung“ übernommen worden, nur mit der Einschränkung, daß sich der weltanschauungsmäßig orientierte Mensch an eine präzisere Fragestellung gewöhnt habe als der religiöse Mensch alten Stiles. Deshalb habe er auch das Interesse an Fragen verloren, deren Beantwortung das ureigenste Gebiet der Religion darstellte, wie Sinn des Daseins, Ursprung der Welt usw. — Die andere Funktion der überlieferten Religion sei die „H andlungsformierung und Charakterführung“ gewesen. Aber auch diese habe sich gegenüber der Religion verselbständigt. Denn — hier überläßt sich Gehlen bedenkenlos der Phraseologie der „politischen Philosophie“ — Deutschland habe mit der nationalsozialistischen Weltanschauung den Beweis erbracht (??), daß ein immanentes Zuchtbild mit der Durchsetzung germanischer Charakterwerte im Sinne Rosenbergs imstande ist, tragende Grundsätze des Handelns aufzustellen und durchzuführen (a. a. O., 464 ff.).

Ist somit die Religion „matt gesetzt“? — Ja und nein! Religion habe nämlich nur mehr die „Interessen der Ohnmacht“ zu vertreten. Dort, wo der Mensch die Grenzen seines Wollens und Könnens erfahre, werde sie Unterstützung leihen; sie werde die Praktiken der Lenkung des Schicksals zeigen (durch Magie, Orakel usw.), werde den Verkehr mit den Ubermächten (Göttern) vermitteln usw. — Aber, so müssen wir fragen, wer wird denn zur „Vertretung der Interessen seiner Ohnmacht“ noch der Religion bedürfen? Doch . nicht der kämpferisch-starke Mensch, der der Religion nach Gehlen schon zur Weltdeutung und Handlungsformierung entbehren kann! Dieser kennt überhaupt keine schwächliche Ohnmacht; die einmal gezogenen Grenzen seines Könnens wird er im Glauben an die Unabwendbarkeit des Schicksals mit heroischer Einsatzbereitschaft in einer Haltung bejahen, in der der Mensch mit Größe und Gefaßtheit untergeht. Also ist Religion höchstens ein Atavismus und ein seelisches Rudiment für geistig und willensmäßig Zurückgebliebene! Das ist die Verharmlosung und Mattsetzung der Religion durch Gehlen.

Wenn je einer der Philosophieprofessoren des Dritten Reiches mit dem Geburtsadel des selbständigen Denkens gekennzeichnet war, dann Arnold Gehlen. Aber auch er mußte die Tragik seiner Berufskollegen teilen: einmal in die Geistesfesseln einer alles einebnenden Ideologie und Totalität geschlagen, brachten sie es nur zu — „verhinderten“ Philosophen. Es gilt auch hier das alte: Noblesse oblige. Denn nicht bloß als theoretische Forscher und Gelehrte — natürlich immer hinter dem „eisernen Vorhang“ des Dritten Reiches —, sondern vor allem als Bildner und Erzieher der akademischen Jugend mitten im Leben stehend, belasteten sich diese Philosophen mit schwerer Verantwortung und Verpflichtung. Wenn P 1 a t o in seinem Idealstaat forderte, die Philosophen sollten Könige sein, dann stellte er sich unter ihnen Männer vor, die das n Wirklichkeit seien, was ihr Name besagt: „Freunde der Weisheit und der Wahrheit“, mit nichten Freunde des Mißbrauches der Wahrheit.

Nicht nur die politischen Führer Deutschlands haben versagt, auch seine geistigen; denn diese ließen sich protestlos in das Gefolge des „Führers“ als Kämpfer einreihen, um für seine zum Untergang bestimmte Ideologie dialektische Gefechte zu liefern. Hätten sie doch geschwiegen; sie wären vielleicht vor der Geschichte wirklich — Philosophen geblieben!

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