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Fatima und Aljustrel

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Geheimnisse können zur wirklichsten Wirklichkeit werden. Dort, in Fatima und Aljustrel, scheinen sie aus dem Boden zu strömen, sie brennen im dunkelblauen Himmel, sie brausen vom Meer her, und sie duften süß, würzig und kostbar.

In der Cova da Iria, in dieser riesigen hellglänzenden Mulde erschien im Jahre 1917, über einer Steineiche schwebend, die heilige Jungfrau Maria drei Hirtenkindern; die Cova da Iria breitet sich wahrhaft schimmernd aus, begrenzt von smaragdleuchtenden Bergen. Wenn nicht gerade der dreizehnte eines Monats ist — das ist der Erscheinungstag —, dann gibt es nur wenige Menschen hier; portugiesische Bauern, die zu Fuß kommen, auf den Köpfen Eßkörbe tragen oder zu zweit auf kleinen, rauchblauen Eseln kauern; vor der Mulde steigen sie ab, kniend nähern sie sich der Erscheinungskapelle, dunkelhäutig, während ihnen die schwarzen Mützen aus Schafwolle seitlich bis zur Mitte herabhängen. Was für Gesichter, gegerbt vom Meer wind und von Bergstürmen! Die Augen groß geöffnet und olivenschwarz, die starren Holzstrunkhände bittend erhoben, so liegen sie auf den Knien, ohne sich zu regen. Mädchen, auf dem rabendunklen Haar weiße Spitzenschleier, berühren mit ihren Rosenkränzen die Mauer; ihre Lippen, wie aufgebrochene Melonen, zucken im Gebet.

Schneidend kalt surrt der Wind über die hellglänzende Mulde und dennoch voll trodeener Süße. Alles ist weit und blendet, nicht eine Wolke ist zu sehen.

„Onde £ Aljustrel?“ frage ich ein Kind, das an der Klostermauer lehnt; die Kleine hat ein zerfetztes Gewand und staubbraune Beine. Lautlos läuft sie nebenher, zuerst einer Straße folgend und dann in einen kalkhellen Weg einbiegend. Niedrige Steinmauern bilden bunte, verworrene Linien, ziehen sich links und rechts hin, Eidechsen blitzen auf, Feigenbäume glänzen; Steineichen gibt es, und Olivenbäume krümmen sich. Die ersten Häuser von Aliustrel, manche verputzt, manche aus rohen Steinen gefügt. Es ist nicht schwül, doch die Sonne brennt wild und sehr heiß. Ein Hirte steht bewegungslos in einem weiten Umhang aus Schafwolle, die braunen Lämmer rupfen das spärliche Gras; dazwischen ist rote Erde. Auf einem Hügel dreht sich eine Windmühle; vier Dreiecksegel zwischen Holzrippen. Diese Mühlen stammen aus der Zeit, als die Mauren herrschten.

Ist hier das Haus, in dem Jacinta und Eranzisko — die schon in glücklichere Gefilde abberufenen Seherkinder — wohnten? Schon öffnet sich die Tür, und eine uralte Frau tritt heraus, zart und verdorrt, lieblich, trotz des hohen Alters! „O Pai, a Mae“ (der Vater — die Mutter), ruft hell meine kleine Gefährtin Cucette, denn nun kommt auch der Vater der verstorbenen Kinder auf mich zu, in unvorstellbar sanfter Würde; beide glänzen so hell — man kann nicht anders sagen; vielfach geflickt sind die Gewänder, ihre Armut verbreitet kostbares Schimmern, auf der hellen Straße sind sie das Hellste. Sie zeigen die schmucklosen Räume, die kleine Kammer, in der Franzisko, noch nicht elf Jahre alt, starb, die Küche mit dem offenen Herd und den Tongefäßen, die, wenn gekocht wird, rund um das Feuer gestellt werden. Es gibt keine Rauchfänge, der Rauch zieht durchs Dach ab, keine Deckenbalken sind vorhanden,

Nun kommt nach einer Biegung das Haus, in dem das Mädchen Lucia wohnte, die Aeltestc der drei Kinder, sie lebt als Karmelitin. Maria, die Schwester Lucias, begrüßt mich, sie ist kräftig, und der Blick ihrer dunklen Augen wachsam und klug. Eine Tür führt in den herrlichen weiten Garten, in dem Feigenbäume, Olivenhaine und Kastanien stehen. Sanft nach abwärts führt der Pfad, blendendrot schimmert der Boden, und hier ist die Zisterne, der Ort, an dem den Kindern ein Engel erschien, um sie auf die Erscheinung der Jungfrau Maria vorzubereiten.

Ein wilder Rosenstrauch glüht geheimnisvoll, die Steinplatte ist gesprenkelt mit Schattenblättern eines Feigenbaumes, aus der Frde strömt fremdsüßer Duft, würzig, sanft und dennoch befeuernd. In der Ferne die Bergkuppen gleichen zauberhaftem Edelgestein.

Zwischen kleinen Felspartien führen winzige Pfade empor — die immer steiler werden — zu den einsamen Höhlen, in denen einstmals die Kinder vor einem Regen Zuflucht suchten. Stumpfe Kalkkögel erheben sich, werfen Schatten über die tiefrote Erde, Mulden und Vertiefungen bildend. Hier sahen die Hirtenkinder mit Staunen, wie eine Gestalt, eisschimmernd, durch den Himmel geflogen kam; ein glänzender Jüngling’ ließ sich neben ihnen auf die Knie nieder; den Boden mit seiner Stirn berührend, lehrte er sie ein Gebet.

Wind kommt summend vom Atlantik her, Blätter der Steineiche zeigen ihre silberweiße Unterseite. Hier blühen im Frühling Lilien und Pfingstrosen; aber auch ohne Blumen ist diese Landschaft herrlich und gesegnet. Langsam geht man durch das kleine Tal, zwischen buntfarbigen Mauern schlängelt sich der Weg gegen Osten, die Sonne glüht, doch die Luft ist nicht drückend, die riesige Perlenschale der Cova da Iria glänzt aus der Ferne, die helle Kirche aus Naturstein weist in unschaubare Tiefen.

Hier, in diesem Olivenhain — die Bäume stehen locker, kleine, zarte Steineichen sind eingestreut —, zeigte sich die Mutter Gottes den drei Kleinen. Nur mit einem niedrigen Wall von Steinen ist die Stelle bezeichnet — als hätten ihn Kinder errichtet. Der süße Duft ist beklemmend und lösend zugleich,

als bewahre der Boden ewige Frühlinjg gerüche, als blühten’ das ganze Jahr wilde Pfingstrosen und Lilien.

Aljustrel bleibt links liegen, man steigt tiefer hinab, dunkelhäutige Bauern auf ihren Eseln schaukeln vorüber, ein Weiler ohne Rauchfänge — streng und kahl sehen die Häuser aus —, aber die Sonne und der heitere Glanz des Himmels verklären alles. Cusette hat einen Emanuele zur Begleitung gefunden, beide strecken nun vertrauensvoll die schmalen, dunklen Hände aus, und sie funkeln, einen an mit strahlenden Schwarzaugen, um ihren Lohn zu empfangen. Das Mädchen hat nur ein löchriges Gewand an und der Bub die Fragmente eines Hemdes und einer Hose.

Wieder steht man auf dem weiten Hochplateau, in dem Glanz der Cova da Iria; von weitem nähert sich ein Pilgerzug, überdachte Karren, Esel mit Körben zu beiden Seiten; die Reiter steigen nun ab, die kleinen, blauen Esel bleiben mit hängenden Köpfen stehen, während aus dem Mund der Männer, Frauen und Kinder seltsam schwebender Gesang mit langgezogenen Endsilben emporsteigt; sie nähern sich langsam der winzigen Kapelle, viele auf den Knien. Auf den hellen Steinen scheinen sie eine Schnur roter Korallen verloren zu haben; es sind Blutspuren

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