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Faust—der erste Teil

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Die neue Faust“ -Tn s z.c nie r u n.g des Burgtheaters durch Ewald Baiser gibt zu manchen Überlegungen Anlaß.

Goethes „Faust“ als Ganzes: ein Schauspiel von den Versuchungen des deutschen Volkes. Des Volkes, dessen unstet gärende Seele seit den Tagen der deutschen Mystik hungrig durch die Welt schweift. Imperialismus des Geistes: von Eckehart bis zu Hegel und Nietzsche. Imperialismus des Herzens: die hohe Stunde der deutschen Musik, die Stunde der Lyrik, Georges und Rilkes. Größe und äußerste, weil innerste Gefährdung dieses Volkes: der Kampf mit seinen Versuchungen, mit seinen Verführern. Dies ist seine Geschichte. Schon deshalb ist „Faust“ das größte Werk der deutschen Dichtkunst, weil es das Schicksal der Nation, in Verschuldung und Begnadung, kostbar-innig verdichtet in leuchtende Symbole. Geist und Macht, Wissenschaft und Kunst. Schönheit und Herrschaft, Welt und Natur, Gott und Teufel — die Mächte um den Mann Faust, — Fleisch und Blut (Gretdien) sind dann, im Zusammenhang der Gesamtwirklichkeit dieser Kettenreaktion von Versuchungen, welche alle von der Versuchung (der Mensch als Gott dieser Welt) ausgelöst werden, nur e i n Teil. Ein beachtlicher, aber zur Besdieidung verpflichteter Teil.

Dies die Aspekte des Faust. — Unerträglich für den Menschen des 19. Jahrhunderts, weil unverträglich mit seiner Weltanschauung.

„Faust“ II muß also fallen. Er würde zu weit führen . .. Schreckliche Konsequenzen, wenn er ein Wahrspiel wäre ... Und schon sind tausend Theaterfachleute — alle „Spezialisten“ —, technische Inspizienten, Kritiker, Bühnenbeheizer und Geistgarderobenverwalter da und beweisen; es geht nicht, denn es darf nicht sein: der ganze „Faust“ (die Tragödie höchster Anmaßung .d e s Menschen) bedeutet eine allzustarke Zumutung für den schwadien und schwierigen Mut des modernen Menschen .:. Und nun wird resolut angepackt. Also: nur „Faust“ I Die Gretchentragödie.

Im Zeitalter des „Mythos des 20. Jahrhunderts", da in einem Jahr mehr Menschen- und Völkersdiändungen zu registrieren sind als ehdem in einem Jahrhundert, erscheint diese, ausgewalzt auf die Länge von vier bis fünf Stunden, als eine erschröckhüch langatmige Affäre. Trotz aller Bonmots, aller aus Schulzeit, Pensionat und gedruckter Blutenlese wohl vertrauten Sprüchworte reicht es nicht ganz (für den „Faust“). Es muß also doch das „Sinnlich- übersinnliche“ herein: mit dem Effekt, daß „der Prolog im Himmel“ nun, weil aus dem Zusammenhang seiner großen heiligen Ordnung gerissen, buchstäblich Ln der Luft hängen bleibt. Dies wird in der Neuinszenierung der Burg mit schöner Offenheit augenfällig unterstrichen: Marionetten hängen an Schnüren, angetan mit viel meterlangen Leintüchern. Wir sprechen von den „Erzengeln“. Arme Engel — oh, ihr himmlischen Mächte! — was ist aus euch, in der Darstellung eines halben Jahrtausends, geworden! Putten und nackende Kindlein, romantische Ritter und milchige Himmelsblümchen ohn’ Geschlecht und Herkunft — und nun: eben Marionetten . .. Schade um ihre schöne Sprache: sie verschweigt ins Leere. Dieser .„Prolog im rummer' ist — unu er saun es bei „Faust“ I auch gar nicht anders sein — nur pseudometaphysisches Spektakel — dem dann ein sehr irdisches Erdenspiel folgt.

Als solches kann sich der neue Faust sehen lassen.

Moogs Mephisto: kein Dämon, sondern ein gerissener Schurke, mitten aus unseren Tagen; am besten in Szenen, wo es etwas zu „täuschein“ gibt: im Verkehr mit dem jungen Schüler, mit Frau Marthe Findet wärmste Aufnahme beim Publikum, das seine Lebens- und Wirklichkeitsnahe angenehm erregt verspürt.

Baiser Faust: reife Ernte vieljährigen Bemühens. Im schönen Verzicht auf effekt- hascherisdie Mittelchen; stark als gelehrter Professor. Als Liebhaber noch glaublich. —

Grete Mikulicz: ein eigenwilliges Gret- chen. Versucht mit Erfolg, sich von den üblichen Romantizismen der deutschen Gretchenfiguren fernzuhalten. Fast ein friesisches Gretchen: in der Verbindung herber Härte und wilder, verborgener Glut.

Die übrigen dreiundvierzig Personen (das Heer des namenlosen Fußvolks, der Statisten, konnte zahlenmäßig nicht registriert werden); ein schönes Aufgebot der Burg, seinem hohen Dienste mit Eifer obliegend.

Regie und Bühnenbild: Durchschnittsarbeit, ohne besondere Geistesblitze, abgesehen von dem an falschen Fäden aufgezogenen „Prolog im Himmel". Dies mäßige Maß kommt jedoch, so sonderbar es vielleicht klingt, der Erhöhung des Gesamtniveaus der Aufführung zugute: das edle Wort Goethes wird nicht verschluckt von den Künsten und Kulissen der Theaterzauberer, verschlungen von Scheinbildern und Phantasmagorien (die Walpurgisnacht hält sich diskret im Dunkel). Also doch: am Anfang steht das Wort des Dichters, nicht die Tat der Regie.

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