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Feier in wunder Stadt

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Der Italiener Aeneas Silvius kleidete den frühen Lobpreis ,,Köllen eine Kroin boven allen Steden schein“ in die Worte: „Nichts kann prächtiger, nichts schmuckreicher in ganz Europa erfunden werden als diese Stadt!“ Vielleicht gibt es keine schönere Rühmung, aber sie birgt für viele nicht einmal mehr eine Erinnerung. Weit eindringlicher berührt uns heute, was Wilhelm Schäfer auf „aller Nester niederrheinischstes“ sagte: „Hier klingt die Landschaft ihren stärksten Klang; hier zeugen auch nach traurigstem Verfall die Überreste mächtiger als sonst von den Jahrhunderten, da in den Rheinlanden das Herz von Deutschland war. Kein altes Bauwerk sonst am Niederrhein, das hier nicht aus der gleichen Zeit einen stolzeren Nachbarn hätte; kein blutiges Blatt einer Stadtgeschichte, das hier nicht noch ein schlimmeres fände; kein Verfall, der trauriger gewesen wäre, als der von Köln …“ Der Dichter, der noch zu den Vergessenen gehört, aber einmal wieder gefeiert werden wird, spielt zwar auf das 18. Jahrhundert an, wo „in achttausend Häusern nur noch vierzigtausend Menschen“ wohnten. Doch was er da 1939 schrieb, das gilt heute in weit größerem Maße. Denn heute zeugen in

Köln nach wahrhaft traurigstem Verfall, nach furchtbarsten Bomben- und Phosphorgewittern „die Überreste“ der ehrwürdigen Häuser und Kirchen mit gewaltigerer Stimme als früher die unbeschadeten Bauten von einer Zeit, da „in den Rheinlanden das Herz von Deutschland war“, da die Rheinlande selbst „das billige Köln“ als ihr Herz verstanden und verehrten. Das ist heute nicht anders. Freilich, Köln liegt auf den Tod danieder, und während andere Städte schon zu neuem Aufbau schritten, schien hier der tiefe Absturz unüberwindbar. Das unbekümmerte Düsseldorf triumphiert als Landeshauptstadt, und zwischen beiden Städten, die einander stets den Erfolg neideten, züngelt die Rivalität. Dennoch blieb Köln des Rheinlandes Herz, und des Rheinländers Liebe gehört ihm, auch wenn der Herzschlag nicht von der einstigen Kraft ist.

Das Köln des August 1948 allerdings zeigt durchaus kein ermattetes Herz. Die Stadt macht vielmehr den Eindruck, als habe sie sich aufgerafft aus dumpfem Verlorensein an den Traum von Blüte und Größe und sei willens, einen Weg zu neuei Ufern zu bahnen. Das heißt Gebirge von Schutt und Ruinen abtragen, aber der Anbruch der Hohen Zeit des Domjubiläums verlieh Stadtvätern und Burgern unerwarteten Eifer. Endlich verscheuchte emsiges Hämmern die Grabesstille aus den Gassen und Straßen rund um das Heiligtum, und das riesige Wahrzeichen eines Jahrtausends rheinischer Kunst warf, einen nach den anderen, die Stahlverbände ab, unter denen seine bösen Wunden heilten. Mag es noch Jahrzehnte dauern, bis der alte Glanz des Bauwerkes, der nur um 1889 völlig ungetrübt erstrahlen konnte, wieder aufleuchtet: der Kölner Dom wird am 15. August, dem Tage seiner 700-Jahr-Feier, die Stätte erhabener Feierlichkeit sein. Denn an diesem Tage vor 700 Jahren — am 15. August 1248 — legte der herrische Erzbischof Konrad von Hochstaden den Grundstein zur majestätischen Kathedrale, die das kostbarste und geliebte te Weihtum des von Frohsinn und Frömmigkeit seltsam durch- klungenen Rheinländers ist. Er verehrt im Dom nicht allein das herrliche Gotteshaus und Werk begnadeten Geistes. Er schaut vielmehr auf das leibhafte Monument und Symbol seines aus den Quellen der Frühe genährten Lebens; der Blick auf den Kölner Dom ist dem Rheinländer gleichbedeutend mit dem Blick ins Antlitz der eigenen Wesenheit und Geschichte.

Der 15. August 1248 sah um Konrad von Hochstaden die Könige von Holland und Böhmen, den Herzog von Brabant und viele andere Fürsten. An ihrer Seite standen der päpstliche Legat, die Erzbischöfe von Mainz und Trier, die Bischöfe von Lüttich, Utrecht, Minden und Münster. Sie alle halfen den Grundstein einsetzen in das Erdreich, das noch die Fundamente des ersten Kölner Doms umschloß. Hildebold, Kölns erster Erzbischof und Kanzler Karls des Großen, begann ihn zu bauen, und sein Nachfolger Erzbischof Willibert weihte ihn 870 ein. Die Kölner Domschatzkammer bewahrte uns den Hillinuskodex, und in diesem wiederum findet sich eine Miniatur, aus der sich das Aussehen des Hildebold- Doms ergibt. Er war ein 91 Meter langer Bau mit doppelchoriger Anlage und stimmt im Grundriß aufs Haar mit der Klosterkirche von St. Gallen überein. Er erhob 'ich auf einem Hügel genau an der Stelle des heutigen Doms, und seinem wundervollen Dreikönigsschrein galten zahllose Wallfahrten selbst aus fernen Gauen. Als man bei den Wiederherstellungsarbeiten in breitem Schnitt quer durch das Langhaus die Bodenplatten des Doms ausgehoben, die Erde ausgeschaufelt hatte und nun elf Meter tief dem kegelartig sich erbreiternden Säulenfundament nachtastete um dem Geheimnis gotischer Baukunst näherzukommen, da traf man auf die innere westliche Apsis jenes aus karolingischem Grundriß romanisch gestalteten Gotteshauses. Aber man stieß auf mehr: auf Spuren des römischen Kastells, dessen Nordostecke Jahrhunderte vorher vom Domhügel getragen worden war, und die Forscher zweifeln kaum mehr, daß hier ein Tempel des Merkur gestanden. Unweit des Doms jedoch legte der Spaten das herrliche Fußbodenmosaik eines römischen Palastes frei, ein Mosaik mit der Darstellung des tanzenden Dionysos und seiner trunkenen Schar. Die Farben sind wenig verblaßt, sie haben Leuchtkraft genug, den einzigartig harmonischen Schwang rauschhafter Diesseitsfreude zu enthüllen. Eines der Feste des sinnenfröhlichen Gottes taucht aus dem Grund, aber es macht sich mehr und mehr frei von allem Erdhaften und löst sich endlich auf in die allein dem Jenseitigen zugewandte Freude des Geistes, die sich in Maßwerk, Kreuzblumen und Skulpturen verströmt. Antike und Christentum wohnen eng bei- und übereinander: der Wurzelstock abendländischer Kultur ist in Köln mit Händen zu greifen.

Darin liegt Großes und Beglückendes, aber auch eine gefährliche Verlockung des Neides, des Hochmuts und der Selbstgenügsamkeit, und die Geschlechter widerstanden ihr nicht. Die einen wurden müde, das Werk zu vollenden und in die Zukunft zu tragen. Dreihundert Jahre bekundeten die Stückwerke des Chores und Turmstumpfes, daß die Stadt von ungeistigem

Behagen gelähmt war. Und als um 1850 der Dombau wieder aufgenommen wurde, da gab nationale, nicht aber religiöse Begeisterung den Antrieb. Das Vollendetsein dauerte nicht lange; Verwitterung setzte dem Dom bedrohlich zu, und seitdem kamen die Bauleute nicht mehr zur Ruhe. 14 Sprengbomben, 19 Granaten und unzählige Brandbomben mehrten die Schäden, und zuletzt brachten die Sprengungen der Rheinbrücken die Grundfesten ins Wanken. Das etwa fünf Morgen große Bleidach ist fast ganz verloren. Die einstmals 10.000 Quadratmeter umfassenden Glasmalereien sind auf 1500 Quadratmeter zusammengeschrumpft. 13 Gewölbe stürzten ein, alle Fenstermaße sind beschädigt, die Strebepfeiler an mehreren Stellen angeknackst und die eisernen Dachstühle großenteils zerstört. Die Schäden übersteigen der Menge nach die aller anderen Kölner Kirchen; nach Jahrzehnten erst werden sie ausgemerzt sein. Mit gutem Mut rückten tüchtige Bauleute ihnen zu Leibe. Aber tiefsichtige Männer fragen besorgt: Wird cs uns gelingen, die nötige Zähigkeit aufzubringen? Werden wir unser Werk in der sichtigen Haltung tun? Die Wiederherstellung des Doms ist kein Problem der Technik oder des Geldes. Die Arbeit kann nur einen Sinn haben, wenn sie getragen wird von einem Volk, das sich hinwendet zu dem einzigen, dem allein eine solche Verherrlichung gebührt.

Kölns Hohe Zeit wird mehr sein als eine große, schöne Feierlichkeit, wenn die Aufrichtung auch des unsichtbaren Doms gelingt, dessen Grundstein Albert der Große legte: er schuf 1248 in Köln das „Studium generale“, das die Stadt zum Zentrum der Wissenschaft erhob. Hier begann Albert mit der Übertragung sämtlicher aristotelischen Schriften, hier erläuterte er den Dionysius Areopagita. Hier führte er seine naturwissenschaftlichen Forschungen und Versuche weiter. Und er versammelte um sich einen Kreis der hervorragendsten Geister: Thomas von Aquin, der neun Jahre in Köln lebte, Ulrich Engelberti von Straßburg, Ambrosius von Siena, Nikolaus Bru- nacci von Perugia, den Albert gern einen zweiten Thomas von Aquin nannte, Hugo Borgognoni' von Lucca. Aus Spanien, Frankreich, Italien kamen die Schüler herbei. Meister Eckhardt studierte und lehrte in Köln. Heinrich Suso hörte dort, und Johann Tauler wirkte in der Domstadt. Kölner Handschriften fingen wesentliche mitteldeutsche Dichtung auf, und die Kunst blühte nicht minder im Bannkreis des großen Meisters, dessen Genius den geistigen Nährboden der Stadt auf Jahrhunderte sättigen sollte; sie lebten wie der große Albert und die Seinen aus dem unversehrten Einklang des Menschen mit Gott und der Natur, der unserer Zeit entschwand. Woher will sie nun i h r Baugesetz nehmen, um nicht nur den Dom aus Stein, sondern mehr noch den Dom aus lebendigem Herzen und Geist zu errichten? Denn nur von Geist und Herz her wird der Stein Beseelung und Dauer empfangen. Dies entscheidende Anliegen dürfte eingebettet werden in die kostbaren Schreine der Dreikönige, Ursula, Severin und Heribert, die am 15. August in prunkvoller Prozession durch die Stadt getragen werden. Es wird mitschwingen in den Worten des Kardinal- Legaten Clemens Micara, der Kardinale von Westminster, _ Toulouse, Amsterdam, Wien, Berlin, München und Köln, der 30 ausländischen und deutschen Bisdiöfe. Es wird die vielen Kundgebungen, Aufführungen und Vorträge begleiten und zur Stelle sein, wenn es an die Gründung eines Siedlungsdorfes auf kirchlichem Land geht. Kölns Hohe Zeit währt fast den ganzen August. Vor der Geschichte wind sie sidi bewähren müssen; dort wird sich offenbaren, ob das Herz des Rheinlandes in der Tat lebt und neue Blutströme entsendet. Wir hoffen zu Gott, es werde geschehen.

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