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„Feinbürgerlich, aber liederlich“

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Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil. Von Thomas Mann. S. Fischer Verlag. 441 Seiten. Preis 18.50 DM

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Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil. Von Thomas Mann. S. Fischer Verlag. 441 Seiten. Preis 18.50 DM

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Vor mehr als vierzig Jahren, nach Beendigung des Romans „Königliche Hoheit“ und vor dem- „Tod in Venedig“, hat Thomas Mann ein Werk begonnen, dessen ersten abgeschlossenen Teil er nunmehr vorlegt und an dessen Fortführung der Dichter, wie man hört, emsig arbeitet. Knapp 100 Seiten umfaßte das Krull-Fragment „Buch der* Kindheit“, welches 1923 erschien; einen stattlichen Band von über 400 Seiten füllt der erste Teil der Memoiren, deren Anlage erkennen läßt, daß noch viele hundert Seiten folgen werden, bis die abenteuerliche und hoch--amüsante Lebensgeschichte Felix Krulls zu Ende erzählt sein wird. Damals, vor 43 Jahren, hatte Thomas Mann die Memoiren des rumänischen Hochstaplers Manolescu gelesen, und ihn reizte zur Nachahmung nicht nur die autobiographische Direktheit, sondern auch die Möglichkeit, „ein Element geliebter Ueberlieferung, das Goethisch-Selbstbild-nerisch-Autobiographische, Aristokratisch-Bekennerische ins Kriminelle zu übertragen“. — Der Bildungsroman als Bekenntnisse eines Hochstaplers: darin spiegelt sich in der Tat Thomas Manns Verhältnis zur Tradition, das — wie er selbst in einem Lebensabriß aus dem Jahr 1930 bekennt — liebevoll und auflösend zugleich ist. Voraussetzung für ein solches Verhältnis ist die ironische Distanzierung. Anderseits ist die Gestalt des Felix Krull auch eine Variation des Künstlers, um dessen Deutung, als einer irrealen und illusionistischen Existenz, sich Thomas Mann immer wieder bemüht hat. Und insofern enthalten die Bekenntnisse des Felix KruH'auch mancherlei direkt-autobiographische Züge.

Von vornherein gibt der mitteilungsfreudige Krull bekannt, daß er nur. für das „feinere Publikum“ schreibe und daß er sich, was Schicklichkeit des Ausdrucks betrifft, die allergrößte Mühe geben werde, um auch in den besten Häusern mit seinen Darbietungen bestehen zu können. Nicht nur der Schreiber ist, wie uns wiederholt versichert wird, „auä feinerem Holz“, sondern auch vom Leser wird ein gleiches angenommen. Freilich wird auch angekündigt, daß der Autor weder den Vorwurf der Eitelkeit, noch den der Schamlosigkeit scheue, denn: „Welcher moralische Wert und Sinn wäre auch wohl Bekenntnissen zuzusprechen, die unter einem anderen Gesichtspunkt als dem der Wahrhaftigkeit abgefaßt wären?“ Wer Anstoß nehmen könnte ist hie-mit gewarnt und der jugendliche Leser von diesen Bekenntnissen ausgeschlossen. Zwar ist Krull der Meinung, „den Kanon der Schicklichkeit keinen Augenblick durchbrochen zu haben“. Aber das ist eben seine Meinung ...

Felix Krull stammt „aus feinbürgerlichem, wenn auch liederlichem Haus“, und wir begleiten den bildsamen Jüngling auf seinem Weg nach dem Tod des Vaters, des rheinischen Sektfabrikanten, zunächst nach Frankfurt, dann nach Paris, wo er mit dem Marquis de Venosta den Namen und die Existenz tauscht, auf die große Weltreise, welche zunächst bis Lissabon führt. Dort — und schon vorher, unterwegs — empfängt er „packende“ naturwissenschaftliche Belehrung durch den Paläontologen Professor Kuckuck. Der „Hochstapler“ Felix Krull steckt vorläufig noch in den Kinderschuhen. Doch wird bereits angedeutet, daß es. nicht bei kleinen Eigentumsdelikten und lugendstreichen bleibt, und mit teilnehmender Sorge sieht der Leser der weiteren Entwicklung dieses merkwürdigen Helden entgegen. Die Nachsicht, die der Autor ihm gegenüber walten läßt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der „Felix Krull“ ein gesellschaftskritisches Werk ist, eine Krankheitsgeschichte der großbürgerlichen Gesellschaft, der Thomas Mann zwar entstammt und der er selbst angehört, deren Schwächen er anderseits wie wenige andere kennt und auch unübertrefflich zu schildern versteht.

Der Atem des Feuers. Roman der Gas-Energie. Von Oskar Maurus F o n t a n a. Paul Zsolnay Verlag, Wien. 528 Seiten.

Das Schlagwort vom Zeitalter der Technik, abgegriffen und dennoch gültig, steht an der Quelle einer Literaturgattung, die vor rund vierzig Jahren ungefähr mit Kellermanns „Tunnel“ ihren Ausgang genommen und seither vielen Romanen große Auflagen und einigen Autoren einen großen Namen gebracht hat. Das Individuum tritt hier in der Regel hinter Chemie oder Physik, hinter Apparate oder Maschinen zurück und muß sich mit einer Rolle zweiten Ranges bescheiden . . . Der sehr vielseitige Wiener Dichter Fontana will 'in seinem technischen Roman über das Gas dem Materiellen kein Supremat zubilligen. Nennt er das Gas den „Urzustand der Sahöpfung, das Urleben selbst“, so tritt er damit schon in einen philosophischen Bereich ein, der ergiebiger anmutet als das Unpersönliche. Indem er, wie wir heute sagen, mit Rückblendungen aus der

Gegenwart der Romanhandlung sich nach jeder ihm erwünschten Vergangenheit umsehen kann, gibt er uns eine Schau, deren Größe überwältigend ist. Auf dem Wege durch Erdteile und Jahrhunderte begegnen wir, wie nicht anders zu erwarter,, auch dem Oesterreicher Auer von Welsbach und dem Wiener Bürgermeister Dr. Lueger. Eine positive Beurteilung von Fontanas Buch darf aber nicht so aufgefaßt werden, als wäre damit die Frage grundsätzlich beantwortet, ob es unter dem Aspekt der epischen Kmstübung überhaupt am Platze ist, ein Neutrum zum Träger einer Romanhandlung zu machen.

Das Buch der Geheimnisse. Von Franz F a ß b i n d. Mit 22 Zeichnungen von W. M. Busch. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 186 Seiten. Preis 9.80 DM.

Dieses Buch des jungen Schweizer Autors ist so ganz anders als das meiste, was man heute zu lesen gewohnt ist. Es erzählt in der Ichform von einem kleinen Jungen, der überall das Geheimnis sieht, auch in den kleinen Ereignissen seines kindlichen Alltags. „Er sieht mehr-als wir“, behaupten sein Kameraden und haben recht damit, denn sein Blick dringt gleichsam hinter die Fassade der Dinge, und seiner Phantasie, seinem von Logik und Berechnung noch ungetrübten Ahnungsvermögen erschließen sich geheime Zusammenhänge, die den Erwachsenen entgehen. In seinem Erleben fließen fortwährend Wirklichkeit und Traum ineinander. .Er entdeckt, daß es große und kleine Geheimnisse gibt, und daß das größte Geheimnis das der Liebe ist, des Hinauswachsens über sich selbst. Durch alles Irdische leuchtet ihm letztlich das Geheimnis Gottes. „Man sollte mehr Vertrauen haben“, heißt es immer wieder. — Der Autor bleibt in seiner Darstellung immer im Bereich der kindlichen Vorstellungswelt, aber er erzählt alles im Rückblick des alternden Mannes und fügt Betrachtungen als Ergebnisse der reifen Erfahrung ein, wodurch sich der innere Sinn eines ganzen Lebens offenbart. Ein feines, besinnliches Buch mit eigenem Ton, fern jeder Schablone. Der Verlag hat es beinahe bibliophil ausgestattet.

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