6628169-1956_21_17.jpg
Digital In Arbeit

Ferdinand von Saar

Werbung
Werbung
Werbung

Ferdinand von Saar, dessen Todestag sich bald zum fünfzigsten Male jährt, war ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, das mit unbegrenztem Glauben an den menschlichen Fortschritt und mit glühender Begeisterung für nationale und politische Freiheit seinen Anfang nahm und nach errungener nationaler und persönlicher Freiheit und ungeahntem technischem und wirtschaftlichem Aufschwung am Schluß dem Taedium vitae, dem Weltschmerz, erlag. Den Beginn des neunzehnten Jahrhunderts leitet Beethovens „Fidelio“ (1805) ein. Beethovens Chor der Gefangenen in ,,Fidelio“ und der Chor der Sklaven in Verdis „Nabucco“ sind der grandiose Ausdruck der Freiheitssehnsucht des Jahrhunderts und Beethovens „Neunte Symphonie“ ist die unübertroffene Hymne seiner Hoffnung auf den friedlichen Aufbau der befreiten Welt. „Alle Menschen werden Brüder ...“ Friedrich Schillers Glaube an den Fortschritt des befreiten Menschen leitet das Jahrhundert ein: „Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige stehst du an des Jahrhunderts Neige.“ Aber diese Hoffnung auf ein irdisches Eden blieb unerfüllt. Wie aus der französischen Revolution Militarismus und Diktatur hervorgingen, so entsprangen dieser Zeit edelster Freiheitskämpfe am Ende Militarismus und Nationalismus, Wettrüsten und Imperialismus, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zum Weltkrieg führten. An der Zeitenwende zum zwanzigsten Jahrhundert war trotz ungeahnter technischer und wissenschaftlicher Fortschritte eine schwere geistige Depression eingetreten, die ihren Ausdruck im Weltschmerz, im Taedium vitae, fand, vor dem man in eine Neuromantik flüchtete, die von der hochkultivierten Atmosphäre Hofmannsthals bis zu dem Satanismus Przybyszewskys und Huys-mans reichte. In die gleiche Zeit fällt aber auch der Beginn einer religiösen Renaissance vor allem in Oesterreich.

Dieser zwiespältige Charakter des Jahrhunderts äußert sich vor allem auch in der Zeitdichtung. Nur die klare, von mütterlichem Geist erfüllte Persönlichkeit einer Ebner-Eschenbach hat diesen Zwiespalt überwunden. Ihr „Gemeindekind“ wurde ein Hoheslied edelster Menschenliebe, die Menschen aus tiefstem Elend ans Licht führt. Ihr Zeitgenosse Ferdinand von Saar ist dieser großen, entsühnenden, läuternden Liebe nur in seiner Jugend bei seiner Mutter Karoline von Saar begegnet. Im späteren Leben ist er einsam geblieben. Aus seinen Erzählungen, die “durchweg Memoirencharaktcr tragen, erkennen wir Saars tiefe Enttäuschung vor allem an den Frauen, die ihm begegneten. Er fand Gönnerinnen, Mäzenatinnen, aber keine Gefährtin. Die einzige Frau, die ihm hätte Stütze sein können, seine Gattin Melanie, ging nach dreijähriger Ehe von ihm in die Ewigkeit. So blieb er zeitlebens heimatlos. Solange noch seine Jugenderinnerungen lebendig waren, gelangen ihm Meisterwerke reinster Innigkeit. Im „Innozenz“ wirkt die Erinnerung an seine priesterlichen Lehrer im Schottenstift nach. Die „Marianne“, „Schloß Kostenitz“, das „Haus Reichegg“, die „Steinklopfer“, das herrliche Gedicht „Christnacht“, der „Preisgesang auf seine Vaterstadt“. Die „Wiener Elegien“ leben von diesen Jugenderinnerungen. Aber sie treten allmählich in den Schatten und in den Vordergrund rückt die Zerrissenheit der Zeit. Es war die letzte Zeit des großen Völkerreiches, das in der Abendsonne höchster kultureller Leistungen erstrahlte. Damals schufen in Oesterreich Saar und Ebner-Eschenbach, Rosegger, Anzengruber, Grillparzer, Raimund, Hamerling auf dem Gebiet der Dichtkunst. Die Ringstraße, die via trium-phalis Oesterreichs, wurde mit den Bauten Theophil Hansens, Van der Nulls, Siccardsburgs geschmückt; Hans Makart schuf in seinen Gemälden Orgien von Farbenpracht. Rudolf Alt, Anton Romako, August Pettenkofen, die großen Historienmaler Franz Defregger, Matejko, Mun-kaczy schmückten Paläste und Museen. Bruckner schuf seine „Siebente“, Wilhelm Kienzl den „Evangelimann“, Johann Strauß den „Zigeunerbaron“. Das Burgtheater war unter Dingelstedt die erste Bühne des deutschen Sprachraumes. An ihr wirkten Sonnenthal, Wolter, Baumeister, Mitterwurzer, Lewinsky, Kainz. Die Wiener medizinische Schule gewann durch Billroth, Nothnagel, Wagner-Jauregg und viele andere Weltruf. Die Technik ist im Anlauf: Wilhelm Kreß baut die ersten Flugmodelle für dynamischen Antrieb, Siegfried Markus konstruiert das erste Benzinautomobil, Auer von Welsbach erfindet das Gasglühlicht. Das ist die Zeit, die sich in Saars Dichtungen spiegelt. Das alte Oesterreich ringt aber mit der neuen Zeit wie in seiner Novelle „Vae Vieris“. Seine meisten Erzählungen spielen, wie die der Ebner, auf friedlichem mährischen Boden, wo die Nationalitäten miteinander leben. Aber schon ahnt man den furchtbaren Kampf, der, von Prag ausgehend, bald die Monarchie ergreifen und zerstören wird. Saar ist erfüllt von der Erinnerung des Sonnenunterganges, der die lange Nacht ankündigt.

Saars Eltern entstammten Familien, deren Väter im Staatsdienst standen und ihr sorgenloses Auskommen hatten. Die Saars waren seit 130 Jahren Besitzer der erblichen Poststation Traiskirchen und waren für ihre treuen Dienste in den Adelsstand erhoben worden. Sein Vater, Ludwig von Saar, hatte in der Schlacht bei Leipzig mitgekämpft, war später kurze Zeit im Staatsdienst und beteiligte sich dann als Handlungsgeschäftsführer an einem industriellen Unternehmen. Er heiratete 1832 eine Tochter des Hofrates Freiherrn von Nespern und starb eineinhalb Jahre später, als sein Sohn Ferdinand nur wenige Monate zählte. Die Mutter kehrte mit ihrem Kind in ihr Vaterhaus zurück und der bejahrte Großvater erhielt bis zu seinem Tode seine beiden verwitweten Töchter Saar und Pettenkofen samt ihren Söhnen. Sieben Jahre lebte der kleine Ferdinand im Haus Zur goldenen Gans am Haarmarkt, dessen Seitenfront in das Rabengäßchen zum Dubskyschen Haus hinüberblickte, in dem Maria Dubsky, spätere Ebner-Eschenbach, im Winter lebte. Von da aus besuch er die Schule im Heiligenkreuzer Hof.

Als Hofrat von Nespern, Saars Großvater, 1840 m\t 93 Jahren starb, waren die sorglosen Jahre für Karoline von Saar und ihren Sohn vorbei. Da ihr keine Witwenrente zustand, war sie auf kärgliche Unterstützungen ihrer Verwandten angewiesen. Sie zogen nun in die Roßau, in die Berggasse, von wo aus Ferdinand die Schottenschule und später das Gymnasium der Schotten besuchte. Sein neuer Vormund war darauf bedacht, ihn möglichst rasch einem Beruf zuzuführen und verordnete ihm die militärische Laufbahn. Saar trat also als Kadett ins Heer ein. Er marschierte mehrmals nach Italien, ohne ins Feuer zu kommen, lebte in großen und kleinen Garnisonen und fügte sich den militärischen Pflichten. Mit seinen 3 3 Gulden monatlich kam er nie aus und kämpfte ständig mit kleinlichen Schulden beim Schuster, beim Schneider, beim Gastwirt, erlebte dreimal die damals noch übliche Schuldhaft, aus der er jedesmal nur herauskam, weil die Gläubiger müde wurden, für seinen Unterhalt zu zahlen. Schlimmer als das war für ihn die Not seiner Mutter, die kümmerlich in einem Kabinett lebte und trotz eigener Not noch ein bis zwei Gulden für den Geburtstag des Sohnes aufsparte. Aber die schwerste Sorgenzeit begann doch 1860, als Ferdinand von Saar den Waffenrock auszog, um seinem dichterischen Beruf zu leben. Seine geringe Abfertigung war rasch verbraucht und so stand Saar der bittersten Not gegenüber. Selbst als er einen Verleger für die „Heinrichsdramen“ gefunden hatte — Georg Weiß aus Heidelberg —, bedeutete das für ihn Zuzahlung von 100 Gulden zu den Druckkosten und Abnahme von 50 Exemplaren. Die Auflagen, selbst seiner Meisternovellen, waren denkbarst klein. Der „Innonzenz“ erschien 1865 in 500 Exemplaren, die erst innerhalb drei Jahren abgesetzt wurden. Der Dichter war also darauf angewiesen, ein Amt zu übernehmen, oder er mußte von großmütigen Zuwendungen leben. Sein Ansuchen um eine Bibliothekarstelle in der Hofbibliothek wurde abschlägig beschieden. Seine materielle und seelische Not wurde immer größer. Jahrzehntelang widmete er seine Kraft — ebenso wie Ebner-Eschenbach — dem Theater, an das er aber nicht herankommen konnte. Weder seine „Heinrichsdramen“ noch „Tempeste“ (der „Borromäer“), noch „Thassilo“ wurden je aufgeführt. Dabei brauchte er zwanzig Jahre zur Vollendung „Thassilos“.

Ebenso wie Marie von Ebner-Eschenbach fand er erst spät den Weg zur Novelle als seiner Kunstform. Daß Saar diese böseste Zeit überstehen konnte, verdankt er dem Mäzenatentum einiger edler Frauen: die Fürstinnen Salm und Hohenlohe und Josefine von Wertheimstein schufen ihm auf ihren Besitzungen in Mähren und in Döbling ein Heim. Aufs höchste stieg seine Not, als seine Mutter schwer trkrankte und nach schwerem Leiden am 1. Juli 1872 starb. Und nun überreichte ihm Dr. Moriz Lederer, später Vizebürgermeister von Wien und Saars Schwager, 500 Gulden von ungenannten Spendern. Und Fürstin Salm lud ihn auf ihr Schloß Blansko in Mähren ein. Das war Saars Rettung. Dort schloß er einen späten Lebensbund mit Melanie Lederer, der Hausdame der Fürstin. Bei ihr fand Saar Verständnis und Behagen. Aber sie waren erst in reifen Jahren zusammengekommen, und manche Schwierigkeit schien Melanie unüberwindlich. In einem Anfall von Schwermut ging, sie drei Jahre nach der Heirat aus dem Leben. Aber diese drei Jahre mit Melanie hatten Saars Schaffen beflügelt. Seine „Novellen aus Oesterreich“ hatten ihn zu einem anerkannten Meister der Dichtung gemacht.

Saar war gebrochen. Baronin Knorr lud ihn auf ihr Schloß Stiebar ein. Von da an aber verdüsterte sich sein Schaffen. Schon die Ueber-schriften seiner weiteren Novellenfolgen zeigen seine Seelenstimmung an: „Herbstreigen“, „Camera obscura“, „Tragik des Lebens“. Nur einmal gelingt ihm noch eine Festdichtung. 1893, im Jahre seines sechzigsten Geburtstages, erscheinen seine „Wiener Elegien“, das Preislied auf die Stadt Wien. Und von nun an sorgten das Unterrichtsministerium, die Stadt Wien und die Privatschatulle des Kaisers durch ansehnliche Jahresgaben für einen sorgenfreien Lebensabend des Dichters. Bald raubte ihm der Tod seine edelsten Gönnerinnen: Fürstin Salm und Josefine von Wertheimstein. In den folgenden zwölf Jahren erscheinen die ersten vierzehn Novellen, in zwei Bänden vereinigt, als „Novellen aus Oesterreich“. Es folgten: ein derbes komisches Epos, die „Pincelliade“, drei Novellen, „Herbstreigen“ betitelt, „Nachklänge“, neu lyrische Gedichte, „Hermann und Dorothea“' und die „Tragik des Lebens“. Immer düsterer wurde Saars Weltbild. Und Saar erlag der von Alfred von Berger vorausgeahnten Gefahr immer mehr, daß ihn der Wirbel naturalistischer Elemente mitreißen könnte. Sein siebzigster Geburtstag wurde mit Rücksicht auf sein schwer Darmleiden vorzeitig gefeiert. Bald darauf mußt er sich im Rudolfinerhaus einer Operation unterziehen, die Gersuny durchführte. Sie bracht keine Hilfe. Saar machte sein Testament und setzte seinen Neffen Hofrat Dr. Rudolf Maresch zum Testamentvollstrecker ein. Zu gleicher Zeit schloß er seine letzte Novelle „Die Pfründner“ ab. Immer mehr ersehnte er das Ende seiner Leiden. Am 23. Juli 1906 fand seine treue Haushälterin Musil ihn am Schreibtisch sitzend röchelnd vor. Er hatte sich in die Schläfe geschossen. Saar lebte noch bis zum nächsten Tage. Seinem Wunsche gemäß wurde er auf dem Döblinger Friedhof (in einem Ehrengrab der Stadt Wien) bestattet. Zwei Jahre später wurde ein Denkmal von Schwertner über seinem Grabe aufgestellt. 1908 erschien die erste vollständige Sammlung seiner Werke, besorgt durch Professor Minor und Anton Bettelheim. Saar hat sich zeitlebens geweigert, eine Selbstbiographie zu schreiben. Aber seine Werke sind Bruchstücke einer großen Konfession, angefangen vom „Sünden-fall“ bis zum „Requiem der Liebe“. Seine „Novellen aus Oesterreich“ und seine „Wiener Elegien“ gehören zur klassischen Literatur Oesterreichs wie Grillparzers Dramen. In ihnen lebt das Völkerreich fort, dessen Zerfall Saar schon damals voraussah:

Trauernd senk ich das Haupt, o du mein

Oesterreich,

Seh Ich, wie du gemach jetzt zu zerfallen drohst,

Vom unendlichen Reiche

Karls des Fünften der letzte Rest.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung