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Ferienland im Herzen Europas

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Alljährlich melden die Fremdenverkehrsstatistiken Österreichs neue Rekorde an Besuchern, neue Rekorde an Deviseneinnahmen aus dem Tourismus, und immer wieder wird betont, daß in der Reihe der Exportwerte Österreichs der Fremdenverkehr an erster Stelle stehe. Man ist diese Meldungen und ihre Kommentare schon so gewohnt, daß man sie mit einer Selbstverständlichkeit zur Kenntnis nimmt, die fast gefährlich zu werden beginnt. Gefährlich deshalb, weil man über Selbstverständlichkeiten nicht mehr nachdenkt, weil man sie als gegeben hinnimmt und dabei aus dem Auge verliert, daß es immer wieder der Anstrengungen und der Einsatzfreude bedarf, wenn man etwas erhalten oder gar noch weiterentwickeln will. Gefährlich aber auch, weil man den Fremdenverkehr nur noch in Zahlen und Funktionen sieht, die ihn zu einer rein geschäftsmäßig-materiellen Angelegenheit herabwerten. Man läuft Gefahr, durch Ergebnisse blind für ihre Voraussetzungen zu werden. Darum mag es am Ende eines solchen „Rekordjahres“ vielleicht ganz angebracht sein, auf das hinzuweisen, was Österreich zum Ferienland im Herzen Europas gemacht hat, was seine natürlichen Fremdenverkehrswerte ergänzt und steigert, welches das Geheimnis ist, das Menschen aus anderen Ländern sich bei uns so wohlfühlen läßt und daß das Gefühl des Fremdseins hier rascher schwindet als anderswo.

„Gemüthlichkeit und Comfort“

Als am 13. und 14. April 1884 in Graz der erste „Delegirtentag zur Förderung des Fremdenverkehrs in den österreichischen Alpenländern“ tagte, stand man gewissermaßen an der Wiege des österreichischen Fremdenverkehrs, und der erste Tagungsredner, Heinrich Graf Attems, schloß mit den visionären Worten:.....Unsere

Berge, unser Land, unsere Leute sind das Material, aus welchem wir die Zukunft gestalten sollen und wollen.“ Land und Menschen, diesem Akkord begegnen wir an-anderer Stelleder gleichen Rede, wenn als erstrebenswert bezeichnet werden: „...reinliche, gut geführte Gasthöfe, trauliche, gemüthliche Sommerfrischen mit dem nöthigen Comfort in Einrichtung etc., an Punkten, an denen Berg und Wald und Gottes schöne, reiche Natur eine Rolle mitspielen.“ Zur Natur und den Menschen fügen sich die Leistungen, damals wie heute als die Voraussetzungen des Fremdenverkehrs erkannt. Weder ersetzt auf die Dauer die Schönheit der Natur die fehlenden Einrichtungen noch ersetzen die Einrichtungen den menschlichen Kontakt. Darum steht im Mittelpunkt des touristischen Geschehens nicht das materielle Ergebnis, sondern der Mensch.

Gerade das rühmt man dem Österreicher nach, daß er als Gastgeber nicht so leicht seinesgleichen findet. Seine Freundlichkeit und Herzlichkeit sind nicht Attribute oder Verkaufsposen einer kommerziellen Geisteshaltung, sie sind ihm Tradition eines gastfreundlichen Menschenschlages, durch dessen Land seit eh und je Fremde auf den Pfaden, Wegen und Straßen zwischen Nord und Süd, Ost und West gezogen waren. Wir haben uns diese, man kann fast sagen charakteristische, gastfreundliche Einstellung zum Fremden durch viele schwere Zeiten bewahrt, wir dürfen sie auch in einer Atmosphäre überspitzter Utilität, hektischer Betriebsamkeit und materieller Ausrichtung nicht verlieren.

Wiederentdeckung der Sommerfrische

Es wäre falsch, leugnen zu wollen, daß das Phänomen Fremdenverkehr in seinen Abläufen Leistungen mit Gegenleistungen bezahlt, daß in der Befriedigung des touristischen Ortsveränderungsbedürfnisses Menschen und Betriebe ihre Existenzgrundlage gefunden haben; aber auch diese geschäftlichen Beziehungen schließen nicht aus, daß man dabei der Freund des Gastes bleibt. Der Handel als Berufsstand zeigt in werblichen Aktionen, daß er für seine Kunden, wie „die Hausfrau für die Familie“ sorgt. Noch viel mehr trifft dies für den Gastwirt, den Hotelier zu, deren Betriebe letztlich vergrößerte Haushalte darstellen. In diesen auch die Atmosphäre eines Haushaltes zu erhalten, scheint in der materiell maskierten, innerlich aber empfindlichen Welt des Fremdenverkehrs wesentlich.

Nicht nur die Bewahrung echter menschlicher Beziehungen zwischen dem reisenden und dem empfangenden Menschen sollen das Kennzeichen österreichischer Gastlichkeit bleiben, sondern wie ein Gastgeber seinen Gästen gern die Annehmlichkeiten seines Hauses und Gartens bietet, sollen wir weiterhin bestrebt sein, ihm das zu bieten, was er sich wünscht. Der technisierte Tourismus unserer Tage erstarrt gerne in eingelaufenen Geleisen, in deren glatten Spuren er dahinbraust. Österreich hat sich bemüht, der Ausschließlichkeit solcher Expreßstraßen entgegenzuwirken und mit immer neuen Gebieten, neuen Inhalten und neuen Empfindungen die Romantik und die Entdeckerfreude des Ferienmenschen wachzuhalten. Das wird augenscheinlich, wenn' man die Reisebeilagen der großen europäischen Zeitungen des letzten Jahres durchblättert. Titel, wie „Winteridyll in Vorarlberg“, „Winterfreuden an Enns und Mur“ mit dem Zusatz „Nördlich und südlich der Niederen Tauern sind noch Entdeckungen zu machen“, „Nach Hinterstoder fährt man nun auch im Winter“, „Erholungsdörfer im Bergwinter“, „Loblied auf des Skidorf“, „Winterfrischen ohne Rummel“, beweisen, wie sehr das Neue im Fremdenverkehr anspricht. Daneben finden die bekannten Winter-sportzentren die ihnen gebührende Beachtung. Winter in Österreich wird in steigendem Maße Inhalt und Begriff der immer häufigeren „zweiten Ferien“ im Jahr. Kenner Österreichs haben erklärt, daß der „Österreicher im Winter“ noch netter sei als im Sommer, daß die Stimmung im Skidorf und die Atmosphäre im winterlichen Hotel ein solches Gefühl der Gemeinsamkeit verbreite, wie es heute in der Welt selten geworden sei.

Schwieriger ist es, dem Sommergast stets Neues zu bieten. Hier kommt es darauf an, sich bildende Tendenzen möglichst frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzukommen. Als wir vor Jahren einem hektisch bewegten Tourismus das Wort von „Oasen der Stille“ entgegenhielten, schien es, als ob uns niemand hören wollte. Aber bald darauf mehrten sich solche Stimmen, auch der Mediziner inachte seine Bedenken gegen die „Umspannung“ statt der „Entspannung“ geltend, und auf einmal waren die Oasen der Ruhe ein neues Ziel geworden. Die „Erholungsdörfer“ und die „Ruheorte“ wurden zu Schlagzeilen in der Presse, und es scheint die Renaissance der früheren Sommerfrische angebrochen zu sein. Die einstige Sommerfrische aber kannte — und damit komme ich auf die eingangs genannten Voraussetzungen zum Fremdenverkehr zurück — noch keine Entpersönlichung des Verhältnisses Gäste und Wirtsleute. Im Gegenteil, sie wurde zur Quelle vieler Jahre währender Freundschaften und damit der Geselligkeit. Für viele heute Erwachsene ist sie immer noch eine beglückende Erinnerung an Tage ihrer Kindheit.

LInsere verzehrende, Seele und Körper belastende Zeit schafft sich, zunächst im kleinen, wiederum das Ferienidyll. Auch anderswo versteht man die Zeichen zu deuten. So hat unser Nachbarland Schweiz den 3-50. Jahrestag der Geburt des Philosophen Jean Jacques Rousseau dazu benützt, die Rückkehr zur Natur und damit zur Reisekultur zu propagieren, nachdem sie auch schon vor Jahren für „geruhsame Ferien“ eingetreten war.

Urlaub mit neuem Sinn

Mit immer neuen, immer ferneren Zielen wartet das ständig wachsende touristische Angebot auf, immer mehr junge Staaten verfallen der trügerischen Spekulationen, durch Entwicklung des Fremdenverkehrs am Strom der touristischen Wertbewegungen zu partizipieren und einen reichen Devisenertrag zu gewinnen. An der Spitze ihrer Absichten steht die einseitige Betrachtung des Fremdenverkehrs als Wirtschaftsfaktor, eine vielleicht geistvolle, aber jedenfalls seelenlose Konstruktion. Sicherlich werden neue Ziele und ferne Ziele in den Zeiten des steigenden Lebensstandards und Wohlstandes ihr Publikum finden, aber wir stehen gleichwohl am Beginn einer Änderung insofern, als der Fremdenverkehr einen neuen geistigen Inhalt gewinnt. Er wird mehr und mehr in einer bisher vernachlässigten Wirkung erkannt, nämlich in der Stille und Größe der Natur, im gegenseitigen Geben und Nehmen menschlicher Beziehungen, den Menschen wieder sich selbst finden zu lassen. Ferien werden wieder zum Quell körperlicher und seelischer Erholung. Österreich hat alle Voraussetzungen, das „richtige“ Ferienland hierfür zu sein. Wir kennen diese Voraussetzungen, pflegen und bewahren wir sie. Wie sagte doch Graf Attems vor nahezu 80 Jahren? „ .. . unsere Berge, unser Land, unsere Leute sind das Material, aus welchem wir die Zukunft gestalten sollen und wollen.“ Nicht unsere Zukunft im materiellen Sinn, sondern die Zukunft des Fremdenverkehrs als ein Phänomen unserer Zeit, welches zum Spiegelbild des Menschen dieser Zeit geworden war. Er ist über Umwege auf den richtigen Weg gekommen, über den Umweg des gewaltsam errungenen Sozialprestiges, über den Umweg der Unersättlichkeit auf den Weg der Selbstbesinnung, der kleinen Freuden, der kulturellen Bereicherung und der Erholung. Vielleicht gilt auch für den Fremdenverkehr das Wort: „Ein jeder Umweg, den ich angetreten, war doch der nächste Weg zu mir.“

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