6709042-1964_12_11.jpg
Digital In Arbeit

Festliche Eröffnung in Graz

Werbung
Werbung
Werbung

Nun hat Graz sein Schauspielhaus endlich wieder. Letzten Samstag ging vor einem festlich gestimmten Auditorium zum erstenmal der Vorhang auf. Erinnern wir uns: Ein Dramatikerwettbewerb war ausgeschrieben gewesen, bei dem der Wiener Harald Zusanek den ersten Preis für sein Stück, „Die dritte Front“, gewann. Da Zusaneks Werk sich für einen Eröffnungsabend zuwenig eignete und man sich anderseits nicht auf ein bekanntes Drama der klassischen Literatur einigen konnte, trat man an den großen Sohn der Steiermark, Max Meli, mit der Bitte heran, ein neues Werk aus seiner Feder dem Grazer Schauspielhaus zu überlassen.

So hatte denn am ersten Abend der aus der ehemaligen Untersteiermark stammende Dichter das Wort im neuen Haus mit der dramatischen Phantasie „Paracelsus und der Lorbeer“, seinem jüngsten Werk. Die Gestalt des Theophrastus Bombastus von Hohenheim hatte Max Meli schon früh gefesselt. In seinem neuen Stück zeigt uns der Dichter nun den großen Heilkundigen der Renaissancezeit in den letzten Tagen seines Lebens in Salzburg, wohin sich dieser nach langer Wanderfahrt zurückgezogen hatte. Allein — mit einer dramatischen Chronik hat das Werk nichts zu tun. Es brfifgT vielmehr die Begegnung des Paracelsus mit den geleitenden, aber auch versuchenden Mächten über ihm und um ihn auf die Bühne. Daphne ist ihrer Verwandlung in den Lorbeerbaum entronnen, um Paracelsus anzugehören. Wie einst aber verfolgt sie der Gott Apoll, um sie zurückzurufen von dem Irrweg und sie zur Besinnung auf ihre Aufgabe zu führen: Lorbeer zu sein, der Krönung, aber auch Entsagung bedeutet. So führt denn Daphne, sich selbst und den geliebten Meister läuternd, zu den Sternen, damit dieser dort die Erde als das Gestirn erkenne, dem seine Sehnsucht und •ein Forschen immer gegolten haben.

Das Thema der Verwandlung, das für das philosophische Denken des Paracel-•us typisch ist und auch in manchen Dichtungen Mells angeklungen war, spielt hier eine entscheidende Rolle. Zwischen den schlichten Mellschen Volksspielen und dem erhabenen Duktus der großen Dramen des Autors ist das neue Werk das Produkt einer „dritten Kraft“: Es ist ein reines, reifes Alterswerk voll tiefer Einsicht ins Innere des Menschen und seiner Welt. Eine starke dramatische Aktion ist nicht vorhanden und scheint auch nicht beabsichtigt zu sein. Für den Mangel an dramatischem Konflikt und ah schärferer Konturierung einzelner Figuren entschädigt indes in reichem Maße die Schönheit des dichterischen Wortes.

Die Grazer Aufführung unter der behutsamen, alles Grelle vermeidenden Führung Ludwig Andersens hat sich dem ruhigen Duktus dieser „dramatischen Phantasie“ gut angepaßt. Walter Prüssing zeichnete mit einfachen Strichen einen rauhen, herben Paracelsus, dem es nicht an menschlicher Wärme fehlt, Diet-lindt Haug war eine sehr lyrische Daphne, Hanns Kraßnitzer ein edler, schönsprechender Apollo. Das Bühnenbild Robert E. Jahrens konnte die Dimension des Werkes nicht ganz ausschöpfen, weil es zu sehr im konventionellen Realismus steckenblieb, und die Requisiten waren ein wenig spärlich geraten. Der Beifall des Festpublikums, den bei der Voraufführung auch der greise Dichter entgegennehmen konnte, war herzlich und respektvoll.

Am anderen Tag kam dann das Theater zu seinem Recht — das blutvolle, elementare, im besten Sinn moderne Theater. Shakespeares „Hamlet“ war der beste Schauspielabend, den man seit vielen Jahren in Graz gesehen hatte. Die Aufführung wurde ein Triumph für den hochbegabten Regisseur Fritz Zecha, den Protagonisten Helmut Lohner und nicht zuletzt für das Grazer Ensemble, das unter solcher Führung zeigen konnte, welch gutes Theater sich in dieser Stadt machen laßt. Du Grandiose an den Shakespeare-Inszenierungen des Londoner „Old Vic“ ist ja die unerhörte Vitalität und Plastizität im Nachvollziehen einer packenden Handlung. Diese Eigenschaften sind durchaus dem neuen Grazer „Hamlet“ zu attribuieren. Den tiefen Gehalt des Werkes aber ließ Zecha dabei nicht zu kurz kommen. Indem er die Maskenhaftigkeit dieser Scheinwelt, das Böse der aus den Fugen geratenen Welt — und Dänemark ist hier die Welt — deutlich macht und der schillernden Gestalt des Hamlet noch etwas vom Narrenhaften des Shakespeareschen „fool“ hinzufügt, eröffnet er neue, faszinierende Perspektiven. In der Grazer Aufführung ist der „Hamlet“ ein großartig spannendes, ja manchmal atemberaubendes Stück, das vielleicht eben deshalb die Tragödie eines jungen Menschen, der seiner ungeheuren Aufgabe, die Welt zu ändern, nicht gewachsen ist, dem Publikum präsent macht. Heimut Lohners Hamlet ist ein Ereignis. Das ist kein klassischer, auch kein romantischmelancholischer Dänenprinz mit edler Deklamation und schönem Pathos, sondern ein dem heutigen Empfinden sehr naher Menschentyp. Das soll nicht heißen, daß hier etwa eine, plumpe Aktualisierung versucht worden wäre. Dieser Hamlet hat bei aller Annäherung an das Heute immer noch das Maß der großen Tragödie, er bereichert es nur durch hinreißende, stets neue und überraschende Farben. Auch wer sich mit der brüchigen Stimme Lohners zuerst nicht ganz befreunden konnte, vermochte sich dennoch dem gewaltigen Bogen, den dieser Darsteller vom fast ängstlichen Knaben zum durch Leid und Weltekel gereiften Mann spannt, nicht zu entziehen. Erika Motu gelangen die Wahnsinnsszenen der Ophelia weit besser als die etwas farblos gezeichneten Auftritte des zweiten und dritten Aktes. Außer dem Bühnenbildner Wolfram Skalicki, dem wieder einmal sehr gelungene, in die tiefsten Schichten der Tragödie dringende Lösungen zu danken sind, müssen noch Robert Casapiccola (Horatio), Hannes Schätz (ein ausgezeichneter Polonius voll dezentester Komik), Hermann Treusch (Laertes), Walter Prüssing (König), Ruth Birk (Königin) und Anton Lehmann (Totengräber) genannt werden. — Das Grazer Publikum feierte begeistert diesen Theaterabend, der Vergleiche mit berühmten Bühnen nicht zu scheuen braucht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung