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Festspiel- Unbehagen

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Festspiele zeigen nicht nur, was im Theater und Konzertsaal möglich ist, sondern auch, was durch eben diese Möglichkeit nicht möglich ist. Salzburg schlägt in dieser Beziehung in diesen Wochen die Bundeshauptstandt inklusive Claus Peymann um Längen.

Möglich ist zum Beispiel, daß der Kugelblitz am Ende des „Sommernachtstraums" in Sekundenschnelle über die ganze Bühnenbreite der Felsenreitschule fährt, aber nicht möglich ist, daß er Direktoriumsmitglie-der, die schon wochenlang nicht mehr miteinander reden, mit einem kräftigen Theaterdonner zusammenschweißt. Der Hochsommer war heuer nicht arg, so daß die Handtücher eher zum Hin- oder Wegwerfen waren: Harnoncourt warf zuerst und schon früher, dann Muti und Stein, die Philharmoniker halten es mit der Rute im Fenster - und wer ist der nächste? Irgendwie reichen die Dissonanzen der zeitgenössischen Musik nicht aus, um die Realität der Disharmonien auszudrücken.

Der „Jedermann" hat das „Vater unser" gestrichen, weil die Bitte um Schuldvergebung nicht mehr zeitgemäß ist. Das österreichische Sommerloch ist zum Millenium voll.

Mortier wird's richten. Wenn ihm die Dirigenten und Begisseure abhanden kommen, läßt sich noch immer auf ein beträchtliches Potential ambitionierter Theatergruppen aus dem Pinz-, Pon- und Lungau zurückgreifen. Sämtliche Trachten- und Blasmusikkapellen Österreichs streiten ex- und intern weniger als die paar Festspielorchester und stehen als Kulturexperiment gerne zur Verfügung.

Das von den Kartenpreisen geschockte Publikum wünscht ohnehin mehr Open Airs - und Mortier zeigte für die Zukunft für diese Aussichten im Interview viel Verständnis. Die „Zillertaler Schürzenjäger" bringen gerne Schwung in den befrackten Betrieb. Die Domfassade ist ohnehin wetterfest saniert - also los!

Lauter als im „Sommernachtstraum" kann's auch nicht mehr zugehen! Und wenn die Altstadtbewohner ihr Geschäft machen, opfern die auch ihr Trommelfell.

Als das vielgesuchte „Haus für Mozart" bietet sich die Garage im Mönchsberg an. Man braucht ja nur autofreie Festspiele propagieren, dann ist die Felsenhöhle frei - und die Akustik ist auch nicht schlechter als im Kleinen Festspielhaus. Zu befürchten ist der Ausfall eines mächtigen Autoproduzenten als Sponsor, aber dafür könnten die ARBÖ-Rad-fahrer und der Arbeiter-Samariterbund einspringen.

Keine Rede von Krise! Ganz im Gegenteil, das neue Festspiel-Shop kann zum Festspiel-Center ausgebaut werden, in dem die Präsidentin die windschlüpfrige Mozart-Robe kreiert. Die Dame und der Herr von Welt tragen dazu Roller-Blades und einen Walkman, der sie mit den Arien aus der „Zauberflöte" beschallt. In etwa zehn Jahren, wenn die Philharmoniker möglicherweise ihre Philharmonikerinnen engagieren, wird das Schika-neder-Libretto dieser Oper selbstverständlich umgeschrieben. Da befreit dann die wackere Tamina den Prinzen, der in die Hände einer lüsternen Mohrin gefallen ist. Sarastra mit ihren Priesterinnen regiert den Weisheitstempel. Der König der Nacht darf drohende Baß-Arien singen. Die heitere Papagena wirbt um einen armen Papageno. Wen solche Lehren nicht erfreun...?

Um das Jahr 2000 schon werden die Stadtteilfeste von Liefering, die Kir-tage von Gröding und die Feuerwehrfeste von Anthering und Bergheim mit den Salzburger Festspielen fusioniert, die dann zu einer ganzjährigen Attraktion werden und als mobiles Festival auch in der Wiener Stadthalle gastieren.

Mortier erhält vor Peymann die österreichische Staatsbürgerschaft und übernimmt zur Entlastung Scholtens die Agenden des Verkehrsministers. Die Bahnhöfe und Waggons werden hierauf per Tonband von den drei Tenören und Ping Floyd abwechselnd beschallt. Die Salzburgi-sierung Österreichs erreicht ihren Höhepunkt und alle Österreicher werden zu Statisten.

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