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Der brennende Justizpalast und seine Spuren in der Literatur.

Im burgenländischen Schattendorf waren im Jänner 1927 bei einem Aufmarsch des sozialdemokratischen Schutzbundes der achtjährige Josef Grössing und der Hilfsarbeiter Josef Csmarits von Frontkämpfern erschossen worden. Im darauf folgenden, am Landesgericht für Strafsachen Wien ii stattfindenden Prozess wurden die Angeklagten jedoch am 14. Juli 1927 frei gesprochen, weil die Geschworenen die Schuldfrage verneinten. Am Morgen des folgenden Tages kam es deshalb zu massiven Protestkundgebungen. Die Wiener Arbeiter marschierten aus den Vorstädten in Richtung Parlament. Von dort abgedrängt, steckten sie den Justizpalast als Symbol der staatlichen Gerichtsbarkeit in Brand, die Polizei erschoss 89 Personen.

Verbrannter Dornbusch

Der Sammelband "Justizpalast in Flammen" geht den Spuren dieses Ereignisses nach, die sich im Werk dreier bedeutender österreichischer Schriftsteller - Elias Canetti, Heimito von Doderer und Manès Sperber - niedergeschlagen haben. Der Untertitel, die Metapher des "brennenden Dornbuschs", wird dabei zur leider schwer-oder gar missverständlichen Anspielung mit Mehrwert. Einerseits nimmt er Bezug auf Manès Sperbers Roman "Ein verbrannter Dornbusch" (1949), andererseits zitiert er das dritte Kapitel des Buches Exodus, in dem "der Engel des Herrn in einer Flamme erscheint, die aus einem Dornbusch emporschlug" und Moses beauftragt, Israel aus der Hand der Ägypter zu befreien. Bei Elias Canetti wurde der brennende Dornbusch zum Symbol für Gerechtigkeit, die der von Canetti hoch verehrte Karl Kraus für ihn personifizierte. Kraus' Worte bedeuteten Canetti "glühendes Recht" versus das verbrannte Akten-Recht aus den Flammen des Justizpalastes. Diese mannigfachen intertextuellen Bezüge der Metapher erklären sich jedoch erst bei der Lektüre der 15 Beiträge, die sich durch Vielfalt und Heterogenität auszeichnen. Dass zum Thema namhafte Autorinnen und Autoren aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Politik gewonnen werden konnten, macht den Band zu einer interessanten Sammlung transdisziplinärer Studien, die durch ihre essayistische Form eine einladende Lektüre erlauben.

Der erste Teil beginnt mit einem hervorragenden Aufsatz des jungen Rechtswissenschafters Christoph Konrath, der die juristische Situation um den Schattendorf-Prozess 1927 transparent macht. Dieser ging als bekanntestes und kontroversestes Gerichtsverfahren der Ersten Republik in die Geschichte ein. Konrath erklärt und hinterfragt dazu konzise die Rechts-und Gerichtspraxis der Zwischenkriegszeit - besonders vor dem Hintergrund der Ideale einer damals noch jungen rechtsstaatlichen Demokratie.

Symbol des Feuers

Die brennende Justiz hat bei keinem Schriftsteller so starke Spuren hinterlassen wie bei Canetti, der über "Masse und Macht" bis hin zu seinem Professor Kien aus der "Blendung" das Symbol des Feuers einsetzt. Der Literaturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk hat sich in kulturwissenschaftlichen Ansätzen Canettis Phänomenologie der Masse als Versuch über dessen "metaphorisches Feuerwerk" angenähert. Seine Ideen zur Symbolik des Feuers bleiben vor dem Hintergrund von Christian Mertens Text zur Kulturgeschichte dieses sinnträchtigen Elements jedoch nur an der Oberfläche.

Politisches Instrument

Mertens hingegen hat einen klar aufgebauten und gut strukturierten Beitrag über den Einsatz des Feuers als politisches Instrument und religiöses Symbol geliefert. Er weist die Rolle von "Feuer und Flamme" in den Religionen nach und liefert damit einen kulturhistorisch interessanten Abriss.

Ausgezeichnet sind auch die literaturwissenschaftlichen Einzelstudien, vor allem Sven Hanuscheks Aufsatz über Elias Canetti als Augenzeuge des Justizpalastbrandes, Gerald Sommers Beitrag über Heimito von Doderers Roman "Die Dämonen" als literarische Replik auf den 15. Juli 1927 oder Mirjana Stancics Essay über Manès Sperbers Demokratieverständnis.

Zu Canettis und Sperbers 100. Geburtstag im letzten Jahr erschienen, stellt der Band ein beachtliches Projekt zur Aufarbeitung der Geschichte der Zwischenkriegszeit dar.

Justizpalast in Flammen

Ein brennender Dornbusch

Das Werk von Manès Sperber, Heimito von Doderer und Elias Canetti angesichts des 15. Juli 1927

Hg. von Thomas Köhler und Christian Mertens

Verlag für Geschichte und Politik, Wien; Oldenbourg Verlag, München 2006

208 Seiten, geb., e 39,80

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