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Finger in der Faust

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IN DER VIA ROMA sprach mich ein unbekannter, einfach gekleideter Mann an. Die scharfen Lichter des neonbeleuchteten Schaufensters neben uns konnten die tiefen Furchen des Gesichtes nicht aufhellen. Was der Mann wollte, der sogleich deutsch sprach? Eine Zigarette. Er las, zwischen Daumen und Zeigefinger drehend, die Sortenbezeichnung, und plötzlich schien so etwas wie ein Lächeln das vergrämte Gesicht zu erhellen. „Oesterreich“, sagte der Mann und sah mich forschend an. „Wien“, antwortete ich. „Wien“, wiederholte der Mann und blies den Rauch vor sich hin, den der scharfe Wind sogleich zerpflückte. Nach einer kurzen Weile setft der Mann fort: „Ich bin Triestiner. Ja, Triestiner!" Die Hand mit der brennenden Zigarette zog einige leuchtende Kreise: Der Mann rundete seine Umgebung ab, als gehöre sie zu dem, was er nun sagte: „Dafür, sehen Sie, habe ich meinen Kopf viermal hingehalten. Viermal. Zuerst als junger Bursche gegen euch Oesterreicher, . dann gegen die Faschisten, dann gegen die Deutschen, zuletzt gegen die Tito-Partisanen. Ich war italienischer Offizier. Und das ist von allem übriggeblieben.“ Er deutete mit beiden Händen von den Schultern abwärts zu den Knien. „Arbeitslos! Die Italiener sollen uns…"

SO SAH DIE VIA ROMA AUS. Dieser alte Offizier gehörte nicht zu denen, die bei Festreden erwähnt werden. Er lebte noch, dieser Mann, sein Name stand nicht auf den vielen, aus dem Rasen ragenden Steinen im Parco della Rimembranza (Gefallenengedächtnispark) nächst dem Kastell San Giusto. Er war einer von den vielen, die tagsüber auf der Riva umherstehen — einer von denen, die dem Besucher Triests sofort auf fallen: untätige, auf Arbeit wartende Männer. Die Stadt sieht aus wie ein kräftiger Mann, dem nach einer langen Krankheit die Kleider am Leibe schlottern — alles überdimensioniert, alles auf eine Zeit weisend, wo diese Stadt der Seehafen war in einem Reich, dessen Wirtschaft blühte. Die Hafenbecken scheinen nur zeigen zu wollen, was alles hier Platz fände, wenn . . . Der Nordhafen hat zwischen 1867 und 1883 Oesterreich rund vierzig Millionen gute Kronen gekostet. Auf dem nutzbaren Ufer von mehr als drei Kilometern liegen eben jetzt zwei Schiffe. Wenn es dunkel wird, ist das größere und ansehnlichere der beiden, ein Fahrgastschiff (ausgerechnet „Brennero“ genannt), illuminiert, als gäbe es ein Bordfest. Aber das gehört zur romanischen Inszenierungskunst. Zwei Tage später läuft ein Zerstörer — eigentlich der Größe nach nur ein Kanonenboot — ein und legt am Molo San Carlo an, die freilich seit dem 3. November 1918 Molo Audace heißt, weil der Kreuzer „Audace" damals hier ankerte und italienische Truppen auslud. Etwas spät für eine siegreiche Befreiung. Das Comando Supremo und sein Generalstabschef, ‘Marschall Armando Diaz, konnte aber wenigstens hernach verlautbaren: „Le nostre truppe hanno occupato Trente (ore 15) e sono sbärcato a Trieste (ore 16). Il Tricolore sventola sul Castello del Buon Consiglio e sulla torre di S. Giusto."Das können sich die Arbeitslosen oben vor dem Kastell von einem Gedenkstein ablesen. An der Mauerbrüstung hinter dem Relief mit den inhaltsschweren Namen Carso (Karst), Isonzo. Tagliamento und Piave, etliche

Meter entfernt, wo neben dem Namen Venezir groß zu lesen steht: Mare nostro, hebt ein beleibter Mann sein Töchterchen auf die Mauer schnalzt mit der Zunge und sagt italienisch: Wie schön ist das! Er will noch weiterplaudern. Aul die Frage nach seiner Herkunft schmettert er wie eine Trompete heraus: „Veneto!"

ES HAT EINMAL eine Wiener Straße gegeben. Heute heißt sie, wenn der Vergleich mit allen Straßenplänen nicht trügt, Straße des 30. Oktober. Fragt man einen Einheimischen, was dieser Monatstag bedeutet, wird er kaum eine Antwort wissen. Ich habe jedenfalls’ vier verschiedene Personen sowohl nach dem 30. Oktober als nach dem 20. September befragt (der hier, ebenso wie in Görz auf Straßentafeln verewigt wurde) — aber ohne Erfolg. Merkwürdig, daß die Erinnerungen an alles, was mit Wien und Oesterreich zusammenhängt, bedeutend lebhafter sind. Im Cafė degli Specchi auf der Piazza Grande (heute Piazza dell’Unitä) erzählte am Nebentisch eine Frau ihrem Gegenüber von Hamerling. Sie habe heuer das nördliche Niederösterreich besucht und die Heimat des Dichters, der bekanntlich 18 5 5 ans Triester Gymnasium berufen wurde; die andere Frau wieder erzählte, daß sie in Wien ein Buch von Burghard Breitner gesehen habe, in dem das Kaffeehaus vorkommt, in dem wir saßen. Seltsame Zufälle? Wohl kaum! Allerorten ist die Rede von Oesterreich und immer voll Anerkennung, voll Hoffnung — worauf? Auf den neuen „Adriatarif" zwischen Italien, Jugoslawien und Oesterreich? Auf eine Verbesserung der Straßenverbindung? Auf ein neues Geleise von Tarvis nach Udine? Hinter der Höhe, die oberhalb Muggia bis auf nicht ganz zweihundert Meter ansteigt, liegt einer der Gründe der Bitternis: Vor wenig mehr als einem Jahr hat man in Kotor (Capo d’lstria). zehn Kilometer von den Kais von Triest entfernt, eine neue Kaianlage gebaut. Es sind zwarvoperst nur 135 Meter, aber die Kais sollen wenigstens 400 Meter lang werden;’ und wenrt man letzt dort drüben, auf jugoslawischem Gebiet, mit 180.000 Tonnen Güterumschlag rechnet, sollen es bis 1961 etwa 500.000 Tonnen werden. Dabei muß man die starke Auslastung von Fiume in Betracht ziehen, das bereits vor einem Jahr zum erstenmal in seiner Geschichte beim Transit die Millionengrenze überschritten hat (bei vier Millionen Tonnen Gesamtumschlag). Man kann daher die nachdenklichen Blicke der Kapitäne und Reeder auf die Michaelshöhe bei Muggia verstehen. Dort, wenig mehr als sechs Kilometer entfernt, verläuft die Grenze, Das Gebiet von Triest sieht aus wie ein schlanker Finger, um den sich von oben eine zupackende Faust legt. Und die in herrlichem Blau, wie eben nur die Adria blau sein kann, schimmernde See — sie ist nicht das vielberufene „Mare nostro". Immer steht ein anderer drüben. Die Italiener haben nach dem Londoner Abkommen (Teilung des ursprünglich als neutral geplanten Gebietes, das durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu entmilitarisieren gewesen wäre und für das ein internationales Statut vorgesehen war) im Jahre 1954 die Zone A mit ihren 222 Quadratkilometern und mehr als 300.000 Einwohnern bekommen Zum zweitenmal flattert die Trikolore auf dem Schloß iS, Giuslo. und doch lastet der Schatten des fremden Hinterlandes wie ein Gespenst über der lichterfrohen Stadt. Es gibt Straßen und

Wege, nicht allein zwischen Opčina und Baso- vizza, die beiderseits von Italien und Jugoslawien unterbrochen sind. Weder die einen noch die anderen haben ein Interesse am Ausbau. Fast alle Menschen sind irgendwie von dem Gedanken des Wechsels gebannt. „Wir haben Triest und wir haben es nicht", sagte der Mann in der Via Roma und setzte grimmig hinzu: „Den oberbn Isonzo haben sie auch“ (er meinte die Jugoslawen). Und plötzlich voll Hohn: „Dafür bekommen wir für ein paar Tage ein Kanonenboot zum Anschauen." Er meinte damit den „Molosso“, der am Molo San Carlo theatralisch im Flutlicht zweier Scheinwerfer lag wie eine Festwochenkulisse.

ES IST BESSER, vor den Erinnerungen zu flüchten. Man denkt als Oesterreicher bald an

Karl VI., an die orientalische und ostindische Kompanie, an die Mariatheresientaler, die mit zehn Prozent Aufgeld ein Denkmal des Merkantilismus waren; man denkt an den Kapitän Bennet und das Jahr 1778. als die österreichische Flagge auf den Nikobaren gehißt wurde; an die Probefahrt der „Civetta“, an den Oesterreichischen Lloyd, auf dessen Gebäude jatzt .,Lloyd Trie»tinot"-pu leaen ist, an-den steir, len Aufstieg der Stadt, die'im Jahre 1758 rund Ein,Rohner„ 14-5.OQO; hatte und heute etwa 275.000 Bewohner zählen mag. Dort, an den Himmelsrand gemalt, liegt diese schimmernde Krone von Silber über Blau, wenn man von der Straße nach Miramare zurückblickt.

MIRAMARE. untrennbar verbunden mit dem Namen Maximilians, der in seinen Erinnerungen an einer Stelle bezeichnend geschrieben hat: „Schritt ist Tod, Trab ist Leben, gestreckter Galopp Seligkeit. Mir ist es nicht gegeben, langsam zu reiten.“ Der Mann, der lange, ehe er die mexikanische Deputation in Miramare empfing (die alten Bilder von Cesare dll’Acqua hängen alle noch im Schloß) in einem Brief an König Leopold von Belgien schrieb: „Es ist traurig, unsere schöne und ehemals kräftige Monarchie durch Ungeschicklichkeit, Mißverständnisse und rätselhaftes Vorgehen immer mehr und mehr sinken zu sehen.“ Im kleinen Hafen, wo das österreichische Kaiserpaar am 18. Mai 1861 landete, schaukeln melancholisch zwei Segelboote, und ein Stück landeinwärts verheißt ein Plakat Spiele mit „Licht und Ton“. Offenbar Maximilian für den Fremdenverkehr. Aber die Zeit der Fremden ist jetzt vorbei. Bald wird die Bora heulen und die hölzernen Fensterläden in eine eigentümlich unregelmäßige Schwingung versetzen, die an Synkopen erinnert.

IN DUINO über dem Schloß der Thurn und Taxis lastet auch die Einsamkeit. Von Zeit zu Zeit knattert die blau und rote Fahne auf dem Turm. Vorsorglich ist die offene Einfahrt mit einer dicken Kette gesperrt. Ein ausländischer Rilke-Verehrer hat nämlich vor einigen Jahren versucht, sozusagen motorisiert die „Duineser Elegien" zu vereinnahmen. Einsamkeit auch über dem Karst und der Hermada, die jenseits der Bahn aufsteigt. Am Abend des gleichen Tages, da ich in der ersten Duineser Elegie bei der Stelle bin: „Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Frühentrückten“, gleitet der Lichtstrahl eines Scheinwerfers die umkämpfte Hermada entlang nach Nabresina und verlischt. War es ein Wagen, ein Schiff? So kurz das Licht die Nacht erhellte, es genügte, um den gelben Ginster aufschimmern zu lassen und das Silbergrau der Olivenbäume. Nur der Lorbeer blieb dunkel.

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