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Flachs: eine umweltfreundliche Alternative

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Ein paar Dutzend Bauern im Waldviertel geben einer alteingesessenen Pflanze wieder eine Chance: Sie bauen Flachs an. Die Zukunft wird klären, ob aus dem Nischenprodukt eine echte Alternative werden kann.

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Ein paar Dutzend Bauern im Waldviertel geben einer alteingesessenen Pflanze wieder eine Chance: Sie bauen Flachs an. Die Zukunft wird klären, ob aus dem Nischenprodukt eine echte Alternative werden kann.

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Nur die alten Leute erinnern sich noch daran: An die grüngrau -1 1 en Flachsreihen, die jedes Jahr im Spätsommer oft Felder des Waldviertels säumten. Wie niedrige Mauern grenzten sie die Acker ein.

„Seit Jahrhunderten hat man bei uns Leinen aus Flachs erzeugt. Diese Getreideart will rauhes Klima und nährstoffarme Felder, ist also für Wald- und Mühlviertel ideal geeignet", erklärt Hubert Gassner, Geschäftsführer der Waldviertier Flachsverarbeitung in Rastenfeld. Lnde Juni, wenn die Pflanzen ellenlang geworden sind, kann man Flachsfelder an den weißen und blauen Blüten ihrer Pflanzen erkennen. Zirka einen Monat später beginnt die Ernte der etwa einen dreiviertel Meter hohen Getreidehalme. Sie werden samt der Wurzel aus der Erde gerissen, um möglichst lange Stengel und damit lange Flachsfasern zu erhalten. Nun muß günstiges Wetter für die Trocknung kommen: ein Wechsel von Sonnenschein und Regentagen.

Die lange Tradition der Flachserzeugung im Waldviertel endete 1938' mit dem Anschluß an Deutschland. Alles Ackerland mußte für den Nahrungsmittelanbau verwendet werden. Auch Osterreich benötigte nach dem Weltkrieg dringend Nahrungsmittel, was eine Rückkehr zum Flachsanbau ausschloß. In den fortschrittsgläubigen sechziger und siebziger Jahren interessierte sich keine, Landwirt für den Flachsanbau, dem das Stigma der Rückständigkeit anhaftete.

Einige Pioniere pflanzten wieder Flachs an

Erst die Waldviertelrenaissance Ende der siebziger Jahre veränderte auch das Denken von aufgeschlossenen Rauern. Einige Pioniere gingen daran, wieder traditionelle Pflanzen -Mohn und Flachs - auf ihren Feldern anzubauen. Unterstützt wurden sie dabei durch das in dieser Zeit gegründete Waldviertelmanagement.

„Als sich ein paar Bauern bei uns ernsthaft mit Flachs beschäftigten, wurden sie von niemandem ernstgenommen. Wissen und Maschinen waren nicht vorhanden. Daher fuhren sie nach Belgien und informierten sich an Ort und Stelle", erzählt der Landwirt Roman Dietl aus Reittern bei Gföhl, der selbst jedes Jahr sechs Hektar Flachs anbaut. Man holte gebrauchte Geräte aus Relgien. Ein wesentlicher Schritt vorwärts war dann die Gründung einer Genossenschaft, welche Weiterverarbeitung und Verkauf des Flachses übernahm. Zur Zeit baut man im AValdviertel bereits tausend Hektar Flachs an.

Ein sonniger, warmer Tag Anfang August. Roman Dietl ist seit acht Uhr morgens mit der Flachserntemaschine unterwegs. „Wir sind fast rund um die Uhr im Einsatz, um die schönen Tage auszunützen ", erzählt Dietl. Mit der Ernte ist er zufrieden. Hat sich die Arbeit gelohnt? 1 )er 1 andwirt ist vorsichtig: „Das kann man jetzt noch nicht sagen. Es kommt auf das richtige Wetter bei der nun folgenden ,Tauröste' an. Feuchtigkeit und Wärme sollen sich rasch hintereinander abwechseln. Dann weichen sich die Halme auf, und die feinen Flachsfasern lösen sich vom harten Kern. Stimmt die Witterung nicht, ist der

Flachs für die Weiterverarbeitung unbrauchbar." Im vergangenen Jahr mußte wegen des regnerischen Wetters im September ein großer Teil der Ernte angezündet werden.

Welchen Sinn hat der Flachsanbau, wenn das Risiko derart groß ist? Ein Nutznießer ist der Boden. Flachs benötigt keinen Stickstoffdünger, womit Überdüngung und Nitratbelastung des Grundwassers ausgeschlossen sind. Da diese Pflanze nur alle sieben Jahre angebaut werden kann, gibt es keine Schädlinge. Insektizide sind ebenfalls nicht erforderlich. Auch Spritzmittel gegen Unkraut werden im Flachsanbau sehr sparsam dosiert. Manche Flachslandwirte arbeiten sogar gänzlich ohne Chemie. Vorteilhaft ist der Flachsanbau trotz des Risikos auch für die Rauern. „Wenn man alle Förderungen miteinbezieht, dann erzielt der Landwirt mit dem Flachs einen deutlich besseren Ertrag als mit Getreide", weist Gassner nach. Roman Dietl bestätigt das aufgrund eigener Erfahrung: „Der Flachsanbau und die Ernteeinsätze in Lohnarbeit ermöglichen mir ein Überleben als Vollerwerbsbetrieb." Für noch wichtiger hält der begeisterte Bauer aber, daß damit das Bewußtsein der Landwirte verändert wurde: „Wir

Bauern haben viel zu

wenig Selbstbewußtsein und sind uns der Bedeutung unserer Arbeit kaum bewußt. In den landwirtschaftlichen Fachschulen wurde uns nur beigebracht, wie man viel produziert. Wie man sich selber und sein Produkt verkauft, haben wir aber nicht gelernt. Wir werden als Stand nur überleben können, wenn wir mehr Mut beweisen und den Verkauf unserer Erzeugnisse stärker in die Hand bekommen. Außerdem müssen wir viel mehr zusammenarbeiten. Die Anschaffung teurer Maschinen ist nur mehr rentabel, wenn sie von mehreren Landwirten benützt werden. Die Arbeit mit dem Flachs hat unser Selbstbewußtsein gestärkt und bewiesen, daß Kooperation Erfolg bringt."

Große braune Rollen stapeln sich vor und in der Halle der Waldviertier Flachsgenossenschaft meterhoch empor. Der getrocknete, auf den Feldern zu Rundballen zusammengepreßte Flachs wartet auf die Weiterverarbeitung. Die Flachsfasern müssen aus dem Halm herausgeholt werden. Einst waren dafür mehrere Arbeitsgänge erforderlich. Heute erledigt das eine große Maschine, Flachsschwunganlage genannt, in kurzer Zeit. Mittels großer Walzen wird der Halm erst einmal gebrochen. Anschließend entfernt das „Schwingen" die Holzteile des Stengels. Übrig bleiben nur die langen, weißgrauen Flachsfasern, das Rohprodukt für das Leinengewebe. Für den

Verkauf werden die Fasern gekämmt und zu Ballen zusammengepreßt.

Die Anlage in Rastenfeld besteht seit. 1990. Besitzer von Hallen und Maschinen sind die Bauern, die das erforderliche Kapital aufgebracht haben. Vorgesehen war ursprünglich nur die Erzeugung von Flachs als Bohstoff. „Der Weltmarktpreis für unser Produkt schwankt extrem. 1994 war er etwa dreimal so hoch wie heuer. Die Ursache dafür liegt eigentlich in der Mode. Entscheiden die großen Mode-

schöpfer in Paris, daß Leinenbekleidung getragen wird, dann ist der Preis attraktiv. Im nächsten Jahr fällt er wieder in den Keller, wenn ein anderer Stoff modern wird. Aus diesem Grund haben wir in der Flachsgenossenschaft entschieden, selber Endprodukte, also Hemden, Hosen und Kleider, herzustellen und in einem Laden zu verkaufen", berichtet Geschäftsführer Gassner. W?as als Ausweg begonnen hat, wurde immer wichtiger; heute erzielt die Flachsgenossenschaft die Hälfte ihres Umsatzes durch den Verkauf von Fertigerzeugnissen. „Der Grund liegt in der enormen Wertschöpfung bei Leinenbekleidung. Natürlich ist ein Leinen- im Vergleich zu einem Baumwollhemd teuer. Man muß aber auch die unterschiedliche Qualität sehen. Die einheimische Flachsproduktion ist kontrollierbar, beim Verspinnen ist

keinerlei1 Chemie erforderlich. Leinen ist auch wesentlich strapazfähiger und nimmt keinen Körpergeruch an ", verteidigt Gassner den Preis.

Der Markt für Leinenbekleidung ist zur Zeit in Österreich klein; erweitern kann man ihn nur in kleinen Schritten. Daher setzt man bei der Flachsgenossenschaft auf einen anderen Trend: Flachs als natürlicher, unschädlicher Dämmstoff im Hausbau. Schon seit ein paar Jahren bietet der Baustoffhandel Flachsmatten als Isoliermaterial an. Um die Verarbeitung zu vereinfachen, bringt man heuer Flachs auch als Einblasmaterial auf den Markt. „Wir erhoffen uns vom Dämmstoffbereich einiges, denn es gibt hier einen enormen Bedarf.

Die Entwicklung geht in Richtung ökologische Baumaterialien, und unser Preis ist konkurrenzfähig. Nun müssen wir die Kunden von den Vorteilen überzeugen, was eine gewisse Zeit dauern wird. Die Mittel, die wir für Werbung ausgeben können, sind leider beschränkt, daher sind Informationsveranstaltungen, Messen und Mundpropaganda unsere einzigen Möglichkeiten", dämpft der Geschäftsführer verfrühten Jubel.

Der Autor ist

freier Journalist

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