6658168-1959_41_12.jpg
Digital In Arbeit

Flaschenpost aus Polen

19451960198020002020

DIE MUTTER DER KÖNIGE. Roman. Von Kazimierz Brandys. Aus dem Polnischen von Wanda Bronska-Pampusch. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln-Berlin. 225 Seiten. Preis 14.80 DM. — DER HÖHENFLUG. Von Jaroslaw I w a s z k i e w i c z. Albert-Langen-Georg-Müller-Verlag, München. 113 Seiten. — DER KANAL. Erzählung. Von Jerzy Stefan Slawinski. Uebersetzung von Lydia Brenner. Eduard Wancura Verlag. 104 Seiten. Preis 34 S. — LEKTION DER STILLE. Neue polnische Lyrik. Ausgewählt und übertragen von Karl D e d e c i u s. Carl-Hauser-Verlag. 83 Seiten. Preis 6.80 DM

19451960198020002020

DIE MUTTER DER KÖNIGE. Roman. Von Kazimierz Brandys. Aus dem Polnischen von Wanda Bronska-Pampusch. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln-Berlin. 225 Seiten. Preis 14.80 DM. — DER HÖHENFLUG. Von Jaroslaw I w a s z k i e w i c z. Albert-Langen-Georg-Müller-Verlag, München. 113 Seiten. — DER KANAL. Erzählung. Von Jerzy Stefan Slawinski. Uebersetzung von Lydia Brenner. Eduard Wancura Verlag. 104 Seiten. Preis 34 S. — LEKTION DER STILLE. Neue polnische Lyrik. Ausgewählt und übertragen von Karl D e d e c i u s. Carl-Hauser-Verlag. 83 Seiten. Preis 6.80 DM

Werbung
Werbung
Werbung

Vier Bücher liegen auf dem Tisch. Ein Roman, zwei Erzählungen und ein dünnes Bändchen Lyrik. Es sind Flaschenpostbotschaften aus einem uns oft so fern scheinenden Raum, den man geographisch und politisch etwas verallgemeinernd gerne als „den Osten“ bezeichnet und der doch — irt Eisenbahnkilometern — nicht weiter von Wien entfernt ist als Innsbruck oder Bregenz. . .

Genau genommen: wir haben es mit polnischen Schriftstellern und Dichtern unserer Gegenwart zu tun. Was wissen wir von ihnen? Hand aufs Herz: wenig, sehr wenig. Genau genommen: nichts! Einzig und allein dem jungen Marek Hlasko gelang der Sprung über die Hürde. Aber zunächst weniger kraft seines Werkes als wegen seines Pendelverkehrs Ost- West—Ost und nicht zuletzt durch die Amouren mit einem deutschen Filmstar, wodurch er des Interesses der Illustrierten und Boulevardblätter würdig befunden wurde. Lieber sein Werk und dessen dankenswerte deutsche Uebersetzung durch den Verlag Kiepenheuer und Witsch haben wir an dieser Stelle „Furche“ Nr. 9/1959 eingehend berichtet. Aber es gibt viele Marek Hlaskos in Polen, denen der Oktoberfrühling des Jahres 1956 die Zungen zur Anklage und’zum Bekenntnis löste.

Einer von ihnen ist Kazimierz Brandys Jahrgang 1916. Sein ebenfalls wieder von Kiepenheuer und Witsch deutsch herausgegebener Roman „Die Mutter der Könige" interpretiert der Autor im Vorwort in kargen einprägsamen Worten:

„Mutter der Könige nannte man Katharina von Medici, ihre vier Söhne waren Könige. Auch vom Polen der Jagellonen hieß es, es sei die Mutter der Könige — denn die Söhne dieser Dynastie herrschten in den verschiedensten Königreichen Europas. Lucia König ist für mich die Vertreterin einer Dynastie im Sinne der zur Herrschaft gelangten sozialen Dynastie: sie ist eine Proletariermutter, die vier Helden der Gegenwart das Leben schenkte. Ihre Söhne .herrschen’ heute in unserem Leben, deshalb gab ick ihnen den Namen König. Der fünfte König in diesem Buch ist der deutsche Soldat FJaits König, ihr Akersgenasse, dgn sie töteten.“

In diesem Roman .wie in der den? BucJie Jjeige- 8 fügten Skizze „Die Belagerung von Granada“ Granada ist der Name einer avantgardistischen Schauspielertruppe, die in den Mühlen der stalinistischen Bürokratie zermahlen wird stellt sich der Autor der Wirklichkeit „Volkspolen" in den düsteren fünfziger Jahren. Nicht „Klassenfeinde", nein, die Vorkämpfer des neuen Staates kommen in den Fallstricken der „administrativen Maßnahmen“ zu Fall. Wie die Revolution die besten ihrer Kinder fraß, wie an Stelle des Morgenrots eines neuen Tages giftige Nebel aufsteigen, durch die allein das tapfere Herz der einfachen Lucja König seinen Weg sucht und findet: das wird hier gezeigt. Nebenbei bemerkt: das Erscheinen dieses Buches war in Polen eine Sensation — und nicht nur eine literarische. Es folgte, obwohl es bald vergriffen war, bis heute keine Neuauflage.

Hochfliegende Gedanken darf man in Jaroslaw Iwa szkiewic z’ Novelle „Der Höhenflug“ nicht erwarten. Es ist der Monolog eines jungen Trinkers, der mit dem x-ten Glas Wodka die Erde hinter sich gelassen hat und einem imaginären Zechkumpan die Geschichte seines fünfundzwanzigjährigen Lebens berichtet. Es ist dabei nur wenig Schönes zu hören. Sätze wie:

„Es gibt keinen Polen, der nicht im Gefängnis gesessen hätte. Entweder vor dem Krieg oder im Krieg oder nach dem Krieg. Das Gefängnis ist die polnische Volksschule. Wenn Sie nicht im Gefängnis gesessen haben, dann sind Sie nickt gebildet, dann sind Sie kein richtiger Pole“, sind mehr als ein Aufschrei aus einem Säuferherzen.

Ebenso diese:

„Ich hätte so gern. . . aber das ist vielleicht ein zu schöner Traum? Ich hätte gern ein Haus gehabt, zwei Zimmer, nicht mehr, und eine Trau. Pfui, wie spießig! Was für Träumereien, verdammt noch mal! Hier soll nun der Sozialismus gebaut werden. Und der redet von so persönlichen Dingen. Bloß von persönlichen. Eine Wohnung!" Eigentlich mehr als eine Novelle, eigentlich ein geistesgeschichtliches Dokument — und eine Pflichtlektüre für jene jungen Menschen unter uns, denen „so fad ist“.

Fünfzehn Jahre zurück blendet Jerzy St. Slawin s k i in seiner Erzählung „De Kanal“. In die letzten Tage des Warschauer Aufstandes 1944. Er folgt einer Gruppe junger polnischer Widerstandskämpfer auf ihrem Gang in die Kanäle — in den Tod. „Und es waren hübsche Menschen voller Begeisterung unter ihnen.“ Stawinskis Erzählung wurde eindrucksvoll verfilmt — der Film lief vor wenigen Monaten auch in Wien.

Das letzte Wort sollen diesmal die Dichter haben.

Last, not least. In der „Lektion der Stille“ hat Karl Dedecius eine Auswahl zeitgenössischer polnischer Lyrik getroffen. Exilpolen, die mit Czeslaw Milosz klagen, „Nur die Sprache ist Heimat“, kommen gemeinsam mit neun ihrer Altersgenossen und Dichterfreunden in der „Rzespospolita Ludowa“ Volksrepublik zu Wort. Großer Ernst spricht aus den Versen, wenn zum Beispiel Tadeusz Rozewicz 1921 bittet:

„Vergeßt uns und unsere Generation, lebt wie Menschen, vergeßt uns.

Ermattung, Trauer, Resignation?

Aber der um sechs Jahre jüngere Jerny Walenzyk 1927 schreibt „An einen unbekannten Deutschen im Westen":

Glaub ihnen nicht, wenn sie dir von mir sagen:

Er ist dein Feind, in den Boden mit ihm, Damit das neue Europa keime.

Glaub ihnen nicht, wenn sie dir sagen:

Zünde sein Haus an, glätte die Asche darüber. Denn Feuer und Blut erfüllen die Zukunft.

Halte mich nicht für einen, der dich überfallen möchte,

Wenn du im Garten besinnlicher Träume wandelst. Zwischen violetter Nacht und blühendem Morgenrot. Der du mein ferner Bruder bist, Freund, Mit fremden Namen, unbekannten Zügen,

Es ist die Stunde der Reue für Jugend in Uniform. Es ist die Stunde der Reue für Gesten ohne Gefühl, Für Kraft ohne Mitleid, für Jahre ohne Grün. Stunde der Reue, die lauert unter Verlorenen in endloser Aussicht.

Wolltest du wirklich die Räume verfeinden? Würde das wirklich deine Mutter freuen? Würde das wirklich die Liebe deiner Frauen wecken?

Ich und du bedeuten nicht mehr als sechzig Jahre, Wir werden geboren, wir zeugen, sterben Weinend, lachend, betend.

Dort, wo zornige Eichen tags und nachts

Gegen den fliehenden Himmel stürmen,

Und keine Ruhe dem Zweig und den Blättern gönnen,

Gibt es nur eine Erde, den alten, irrenden Nachtschwärmer,

Sichtbar im schwarzen Spiegel enthüllter Welten.

Möge das Leben der Weisen in Frieden ranken.

Zwei Eindrücke kehren bei der Lektüre dieser „Flaschenpostbotschaften“ in ungebundener und gebundener Rede immer wieder. Sie sind, auch wenn sie von den düstersten Kapiteln der polnischen Vergangenheit innerhalb der letzten zwanzig Jahre Zeugnis geben, stets ohne Haß geschrieben - und sie scheuen nicht die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart. Nein: gerade diese ist ihre Absicht. Können viele unserer Schriftsteller und Dichter dasselbe von ihrem Werk behaupten?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung