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Flüsse, Feste und Fontänen

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„ES WAR EINMAL...” Es mutet fast wie ein Märchen an, wenn man in einer Wiener Stadtchronik von Brunnen liest, in denen Wein statt Wasser floß. Es ist schon lange, lange her, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als der Graben mehr und mehr zur Prunkstraße der Stadt wurde. 1526 hat man anläßlich der Wahl Ferdinand I. zum böhmischen König ein rauschendes Fest gefeiert, währenddessen man zur Belustigung der Wiener Bürger Brunnen aufstellen ließ, aus denen roter und weißer Wein floß. 1651 ist in einer Chronik zu lesen: „Zur Einbegleitung der Kaiserin Eleonore — Neu er- pauthe Rörbrunnen am Graben mit weißem und rotem Wein und Semei und underschiedlich ge- pradtens zur gedechtnis under das volkh ausgeworfen.” — Bis ins 18. Jahrhundert hinein läßt sich dieser fröhliche und kostspielige Brauch verfolgen. Erst dann wurde auf Geheiß Franz’ II. das Geld, das für solche Art von Festlichkeiten ausgegeben wurde, wohltätigen Zwecken zugeführt. Seitdem fließt auch in Wien, wie allerorts, nur noch Wasser aus den Brunnen — doch auch dies versiegt in unseren Jahren zuweilen, nicht nur bei Hitzewellen.

Um noch einen Augenblick beim Graben zu verweilen: Schon früh sah sich die Wiener Stadtgemeinde veranlaßt, etwas zur Ausgestaltung dieser vornehmen Straße beizutragen. Um das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, errichtete man, wie aus den Stadtrechnungen der Jahre 145 5/56 ersichtlich ist. einen Brunnen, der mit der Statue des heiligen Florian und zwei anderen Bildwerken geschmückt wurde. Zweihundert Jahre später wurde eine beachtliche Summe an den Steinmetzen Hieronymus Premb ausbezahlt; er erbaute den Brunnen „herunten bay dem schwarzen Elephanten”, der somit den gotischen Brunnen mit dem heiligen Florian ersetzte. Es -war, so berichten die Zeitgenossen, „ein offener Springbrunn, in dem eine lange saul, um welche vier roemische Kaiser mit dem Schwerdt und Reichs-Apfel, oben aber Adam vupdunt , den Baurp . Paradieses stelip. zwejten. Jj jte Mosef ijiit-der Geseztafel und etwann ein Koenig”. — Gegenüber, vor dem Gasthaus „Zum Goldenen Hirschen”, stand ein zweiter, der „schöne Brunnen” genannt, aus Stein gemeißelt, mit vier wasserspeienden Löwen, „über denen Jupiter mit der Kron auf dem Haupt, in der rechten den Szepter, in der linken drei Donnerkeile haltend, zu dessen Fueß der Adler. . .” Als diese heidnischen Figuren mit wachsender Mißbilligung betrachtet wurden, setzte man auf den einen Brunnen eine Statue des heiligen Leopold mit Kirche und Fahne und auf den anderen einen heiligen Joseph mit Herz und Lilienstengel. 1804 mußten brunnen genannt wird. Auf dem Neuen Markt, zwischen den mondänen Hotels Ambassador und Europa, sitzt inmitten eines weit ausladenden auch dies.e beiden aus dem immer modischer werdenden Bild des Grabens verschwinden; an ihre Stelle kamen wiederum die zwei Heiligen Leopold und Joseph, diesmal jedoch aus Blei gegossen, in streng klassizistischem Stil, so wie sie auch heute noch zu beiden Seiten der barocken Pestsäule zu sehen sind.

Soweit die ziemlich wechselvolle Geschichte zweier Wiener Brunnen. Da es allen anderen nicht besser erging, blieb uns keines jener steinernen und bronzenen Kunstwerke aus der Zeit vor dem 18. Jahrhundert erhalten, mit Ausnahme des nunmehr stillgelegten Ziehbrunnens in der Stallburg, dessen glattes Steinbecken, umgeben von einem schmiedeeisernen Gitter, unseren Vorfahren nicht bedeutend genug erschien, um ihm eine neue zeitgemäße Form zu geben. Gott sei Dank, denn die Einfachheit dieses Brunnens, der nicht mehr als Wasserspender sein will, erfreut uns auch heute mehr als mancher Monumentalbrunnen des 18. und 19. Jahrhunderts.

WENN MAN VON DEN WIENER BRUNNEN SPRECHEN WILL und sich dabei halbwegs an eine Hierarchie halten soll, so steht an erster Stelle der Providentiabrunnen, der nach seinem Schöpfer auch einfach Donner-

Beckens die Gestalt der Providentia, als Sinnbild der „fürsichtigen” Regierung der Wiener Stadtväter gedacht. Zuweilen scheint es einem heute, als ob sie ihr schönes Haupt sinnend, zweifelnd neige . . , Auf dem Rande des Bassins lagern zwei männliche und zwei weibliche Figuren: die Flüsse Erins, March, Traun und Ybbs. Eines der Mädchen jedoch soll weniger eine Aehnlichkeit mit dem fließenden Element als mit „der Wirtin schönem Töchterlein” aufzuweisen haben, so erzählten zumindest böse Zungen aus dem Kreis um Raphael Donner. Die aus Blei gegossenen Originalfiguren allerdings sind, da das Material Wind und Wetter nicht standhielt, im Kunsthistorischen Museum untergebracht, und dem Besucher zeigen gutgelungene Bronzekopien die meisterliche Linienführung des großen Meisters, der dieses Werk in den Jahren zwischen 1737 und 1739 schuf. 1741 schuf Donner den Andromedabrunnen im alten Rathaus; das Bleirelief stellt die gefesselte Andromeda, von einem wasserspeienden Drachen bewacht, dar; Perseus naht hoch zu Roß in den Lüften.

Der dritte Brunnen, der in Wien diesem Meister zugeschrieben wird, obgleich die Frage des Schöpfers bis heute noch nicht ganz geklärt ist, ist der Brunnen im Savoyischen Damenstift. Eine edle weibliche Figur, die Witwe von Sarepta darstellend, hält eine Amphora in Händen, aus der das Wasser in ein steinernes Becken niederrinnt bzw. rann, denn die Quelle, obwohl sie eine Millionenstadt speist, scheint für diesen kleinen Brunnen versiegt zu sein.

Erst vor wenigen Wochen wurde der Austriabrunnen auf der Freyung, ein Werk Ludwig Schwanthalers, seiner Verfallenheit und Un- scheinbarkeit entrissen und erstrahlt nunmehr in neuem Glanze. Auf blendend weißem Marmorsockel steht stolz und selbstbewußt die Gestalt der Austria, unter ihr, an die bronzene Säule gelehnt, sind die vier zur Zeit der Erbauung (1846) noch zu Oesterreich gehörenden Flüsse Donau. Po, Elbe, Weichsel.

EIN SPAZIERGANG DURCH DIE STADT führt uns noch an anderen Brunnenbecken vorbei. Im Hof des Schottenstiftes steht der Hein- rich-Jasomirgott-Brunnen, an der Albertinarampe der Danubiusbrunnen, dessen steingewordene Nebenflüsse heute merkwürdigerweise im Park der niederösterreichischen Stadt Wieselburg stehen, der Mosesbrunnen auf dem verträumten Franziskanerplatz und der Tuchmacherbrunnen in den Tuchlauben; ihn setzte Oskar Thiede 1928 an jene Stelle, an der im 15. Jahrhundert schon ein schöner eiserner Brunnen stand (das Haus davor heißt noch heute Schönbpunnerhaus). Zur Erinnerung’ an den Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger errichtete man im 5. Bezirk in der Siebenbrunnengasse den sogenannten Siebenbrunnen. Ein Bild des Bürgermeisters schmückt ihn, gekrönt von Vindobona, die einen Lorbeerkranz hält. Das Wasser strömt aus sieben wappenverzierten Wasserläufen in ein rechteckiges Becken.

DIE BEIDEN MONUMENTALBRUNNEN, die, zum Michaelerplatz gewandt, glèidhsam die Eckpfeiler der neurestaurierten Fassade der Wiener Hofburg bilden, sind das nunmehr in mühsamer Kleinarbeit sauber gewaschene Symbol für die Macht zu Lande und zur See, die das öster- EêKhiSmè Kâisèttunff noch’ im t’ivefjjä’hgeiien Jahrhundert irihehattef ‘Eiri ‘paar SchrifÄ im Schweizerhof. dem ältesten Teil der Hofburg, dessen Frieden vom Putzeifer der Reinigungstrupps noch nicht gestört wurde, steht ein Brunnen, von dem bereits im 12. Jahrhundert gesprochen wird, der jedoch in seiner heutigen Gestalt ein Kind der frühen josephinischen Zeit ist. Münzen schimmern auf dem Grund dés Beckens — kupferne, silberne und solche aus Aluminium. „Drei Münzen im Brunnen” — eine kleine sentimentale Melodie und ein sehr alter Brauch.

DAMALS WAR DER BRUNNEN unersetzliches Lebenselement jedes einzelnen, jedes Dorfes, jeder Stadt. Was ist er uns heute? — Zierde, Schmuck unserer Städte, Straßen und Häuser — Anziehungspunkt für mehr oder weniger kunstverständige Touristeri. Seine eigentliche Funktion jedoch hat er verloren. Früher lebte er mit den Menschen, war inmitten ihrer Vergänglichkeit ein Zeichen der ewig fließenden Zeit. Er war mit ihnen von ihrer Geburt bis zu jener Stunde, da die Kinder Wasser aus dem Steinbecken schöpften, um die Blumen auf dem Grabe des Verstorbenen zu gießen. Uns läßt seine kühle Schönheit, das matte Glänzen des Marmors, das Fließen des Wassers aus weitgeöffneten Fischmäulern vielleicht einen kurzen Moment innehalten — doch der Brunnen an sich geht uns nichts mehr an, er hat keinen Platz mehr in unserem Leben, er erstarrte zum Denkmal. Wohl versuchen Stadt und Gemeinde in öffentlichen Parks vor neuen Wohnbauanlagen Brunnen aufzustellen, denen Bildhauer die Züge unserer Zeit geben — doch auch diese sind nicht viel mehr als Zierde, nicht mehr als zages Leben inmitten steinerner Häuserfronten. Dichter finden zuweilen Worte, in denen auch das andere, das längst Versunkene für kurze Zeit lebendig wird, in denen der Brunnen wieder das sein darf, was er Jahrhunderte war, bevor der verchromte Wasserhahn sehr konkret und praktisch seine verträumte Notwendigkeit ablöste.

Ob es sich nicht auch in unserem Jahrhundert lohnte, manchmal stehenzubleiben vor einem Brunnenbecken - Ehrfurcht zu haben vor dem kühlenden Naß —, ein wenig nachzudenken über die unendliche Geduld der glatten Marmorschale, die Jahrhunderte vertrauensvoll ihr Rund dem offenhält, was von oben kommt?

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