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Föhn in Salzburg

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Der Frühling weckt die Lebensgeister und jeder wird auf seine Art unternehmungslustig. Das bemerkte zu ihrem großen Schreck auch die Direktion des Salzburger Landestheaters, als nach einer erfolgreichen Premiere am nächsten Tag die Kritiken in den verschiedenen Zeitungen erschienen. Was bei einem freien Pressewesen Seltenheitswert darstellt, geschah: die Zeitungen aller Richtungen waren einer Meinung. Wie auf ein unsiditbares Kommando bewiesen — voneinander unabhängig — sämtlidie Salzburger Kritiker, daß Esprit und Freimut in Österreich noch lange nicht ausgestorben sind.

Wer aber gab dieses unsichtbare Kommando?

„Das Dreimäderlhaus“ erlebte einmal in Wien eine Rekordserie von Aufführungen und 30 Jahre später schreibt man in Salzburg: „Man denke sich einmal zu Goethes Gedichten Foxtrottmelodien, dann wird man ungefähr dasselbe Gefühl empfinden, wie beim Anhören und Ansehen der Operette ,Das Dreimäderlhaus'“. Als man nun gegen diese Art Rezensionen abzufassen, Sturm zu laufen begann, wurde eher das Gegenteil erreicht, denn die Kritiker antworteten, sie seien nicht Jahr und Tag hinter Draht und Gitter gesessen, um nun Mußkritiken ä la Drittes Reich zu schreiben und nach dem Goebbelsschen Hexeneinmaleins aus Schlecht Gut zu machen.

Doch zu unserer Frage: Wer gab eigentlich dieses unsichtbare Kommando? Die Antwort kann nur sein: Der Wille zu Österreich. In den vergangenen Jahren der Demütigung haben wir wieder zum wahren Österreich gefunden. Die Operettendekoration für ein Österreich, bestehend aus Weinseligkeit und Phäakentum, ist im unterdrückten Feuer einer heißen Sehnsucht nach wahrem, großem österreichertum vollständig verbrannt. Wir suchen den österreichischen Menschen heute nicht mehr beim Heurigen und auf dem Tanzboden, sondern bei der Arbeit an einer völkerverbindenden Menschlichkeit. An dieser Menschlichkeit aber haben alle unsere Großen gearbeitet, Dichter, Denker und Musiker, und nicht zuletzt Schubert, der uns vielleicht von allen am nächsten steht, da er höchste Genialität harmonisch mit dem Wesen eines echten Österreichers verbindet.

Wie lange wird es noch dauern, bis man überall begriffen hat, daß der Schwerpunkt des österreichertums sich in dein letzten Jahren von der Kehle mehr zum Gehirn

und vom Magen mehr zum Herzen hin verlagert hat? Daß diese Tatsache noch lange nicht alle erkannt haben, beweist das Tauwetter in Salzburg.

Bezeichnend ist nur, daß der Föhn nicht wie gewöhnlich von den Höhen der positiv schaffenden Künstler herabfiel, sondern aus der Tiefe der Kritik kam. Aber wir wollen uns bescheiden, Föhn ist Föhn und Frühling ist Frühling. Wir sind froh, daß er ins Land zieht,

Achtung auf Giftschmuggel!

Alle Welt ist darüber einig, daß es um die Ausrottung dessen geht, was man unter Nazismus versteht, eines Systems, das soviel Unheil über die Welt und vor allem über das eigene Volk gebracht hat. Aber weniger Übereinstimmung und Verständnis scheint dafür zu bestehen, daß man zwar Menschen, aber nicht Ideen einsperren kann und daß es sich vor allem darum handelt, wenn nicht die Ideen fortleben und andere Generationen verderben sollen, diese krankhafte und gefährliche Ideenwelt endgültig aus den Gehirnen auszuschalten. Das kann man zum wenigsten durch Strafgesetze und gewaltsame Maßregeln erreichen, sondern durch ihre Widerlegung, indem man ihnen immer und überall jede Art der Anerkennung und Gültigkeit verweigert und sie konsequent aus dem öffentlichen Denken ausschließt.

Da hört man jetzt von einem Schauspiel „Heilige Flamme“, das kürzlich zu Innsbruck aufgeführt wurde, dessen Inhalt ein Tiroler Blatt folgendermaßen schildert:

Ein j'unger Fliegeroffizier hat ein Jahr in glücklicher Ehe gelebt. Nun kommt er heim, schwer invalid: er ist am ganzen Unterkörper gelähmt. Während er nun sein Leben im Rollstuhl weiterfristet, verliebt sich seine Frau in seinen jüngeren, gesunden Bruder, und es kommt soweit, daß sie von ihm ein Kind erwartet. Die Mutter dieser beiden Männer löst den Fall: Heimlich schafft sie des Nachts ihren gelähmten Sohn mit einer' tödlichen Dosis Schlafmittel aus der Welt. Der plötzliche Tod erweckt Verdacht. Und schließlich gesteht die Mutter ihrer entsetzten Umgebung den Mord an ihrem Sohn. Dann schlägt dieses Entsetzen auf einmal in ein Aufatmen, in ein endliches Verstehen und Begreifen um: Dieser Mord war doch nur die einzige vernünftige Lösung. Und alle, sogar der Arzt und die, Pflegeschwester, beugen sich bewundernd vor der heiligen Größe dieser greisen Giftmörderin. „Ich habe ihm das Leben geschenkt, ich kinn's ihm auch wieder nehme n“, mit diesen Worten der Mutter schließt das Stück.

Nazismus gröbster Prägung. Dargeboten auf einer Bühne, die sich noch dazu stolz „Tiroler Stadttheater“ nennt. Es gibt bei uns keine Theaterzensur. Wenn sich solch blutige Verherrlichungen des Mordes ereignen können, Verherrlichungen, ganz im Sinne der Lehren, die zu den schauerlichen Verbrechen gegen das menschliche Leben, der Tötung Kranker, Invalider, Kinder, und Greise geführt haben, dann möchte man das Aufheben der Theaterzensur fast bedauern. Aber nicht etwa behördliche Zensur ist das Wichtigste. Sondern eine solche Erziehung des allgemeinen-Denkens, daß derartige Rückfälle in die Barbarei durch einmütigen empörten Abscheu geahndet werden. Deshalb sei auch den Innsbrucker Schuldigen dieses Nachwort an die Türe geheftet.

Der Prophet auf der Terrasse

Adolf Hitler, dessen Feldherrntalente die deutschen Generale des zweiten Weltkrieges offensichtlich weit höher einschätzten als jene der wilhelminischen Ära, die ihn nur Meldereiter hatten werden lassen, folgte einer durch vier Kriegsjahre geübten Gewohnheit, als er in Wien vor acht Jahren am 15. März von der Terrasse über dem Haupteingang der Neuen Hofburg herab in einer Rede „der Geschichte die größte Vollzugsmeldung seines Lebens“ erstattete. Großdeutschland, das „Tausendjährige Reich“ war erstanden.

Adolf Hitler, der, wie sein Geschichtsschreiber Suchenwirth begeistert schildert, an der Spitze der gewaltigen deutschen Wehrmacht Österreich „als Befreier, Schicksalsvollender und — Friedensbringer“ betrat, begann an jenem Tage, an dem er das „Tausendjährige Reich“ ausrief, zugleich seine Laufbahn als Prophet. Er und seine Anhänger haben in der Folge von dieser seiner Eigenschaft viel gehalten. Andere Leute waren skeptischer. Es gab jedoch außer Adolf Hitler noch andere Propheten in der Partei, von denen einer mit hellseherischer Gabe ausgestattet war. Es war dies Sepp Dobiasch, der Verfasser des Buches

„Volk auf dem Amboß“, das den illegalen Kampf de Nationalsozialismus im Österreich und den Weg schildert, der über den Streu-, den Böller- und den Sprefftgkrieg schließlich zu jenem Großdeutschlaasd/führte, das den Angriffskrieg gegen die ganze übrige Welt begann und diesen/ Krieg bis zum Ruin des Deutschen Reiches fortsetzte.

In diesem Buche läßt der Verfasser einen alten österreichischen Offizier, einen .'Oberst, den man zum Nationalsozialismus zu bekehren versucht, folgendes sagen:

„Wenn Sie sich einbilden, daß 'dieses Dritte Reich längere Dauer haben -wind — na, ich will nichts sagen. Wir wissf/n. es besser. Der Preuße hat es von jeher verstanden, sich alle Welt zu Feiniden zu

machen un3 versteht es heute mehr

denn je.“

Auf den Einwand, Hitler sei kein Preuße, er sei Süddeutscher, er stelle nicht das alte wilhelminische Preußen wieder her, er schaffe ein neues Deutschland, läßt der Verfasser den Oberst antworten: „Kindische Einbildungen, Theorien, ich kenne Hitler und seinen Nationalsozialismus nicht näher, will es auch nicht. Für uns gute Österreicher ist es Gift, verlassen Sie sich darauf. Wenn der Preuße einmal hier regieren sollte, ist es aus mit unserer österreichischen Kultur, mit unserer Tradition, unserer bewährten, anständigen Lebensform, mit unserer Ruhe. Unsere Industrie wird verschluckt, unsere Beamten können gehen,

unser Bestes wird mißachtet und zertreten.'*

Der Mann, der dieses Gespräch wiedergab, mag in seinem Unterbewußtsein vielleicht gefühlt haben, wie es kommen mußte, er weigerte sich, dies selbst zu glauben, er vertraute seinem Führer, er legte deshalb diese Worte, deren prophetischen Sinn das Schicksal Buchstabe für Buchstabe, Zeile für Zeile erfüllt hat, einem politischen Gegner in den Mund. Er traf damit — die Wahrheit. Das Reich ist nach sieben Jahren zerfallen. Nicht einmal die Terrasse steht* mehr, von der aus Adolf Hitler seine Schöpfung verkündete. Sie wurde bei einem Bombenangriff zerstört und liegt — ein Symbol des „Tausendjährigen Reiches“ — wie dieses in Trümmern.

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