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Fortschritte sind nicht „normal"

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Sumaya Farhat-Naser setzt sich mit israelischen Frauen für Versöhnung ein. Die Palästinenserin weiß: Es gibt für beide Seiten sonst keine Zukunft.

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Sumaya Farhat-Naser setzt sich mit israelischen Frauen für Versöhnung ein. Die Palästinenserin weiß: Es gibt für beide Seiten sonst keine Zukunft.

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DIEFÜRCHE: Ist der Friede zwischen den Palästinensern und Israel tot? SliMAYA Farhat-Naskr: Er darf nicht tot sein. Gelähmt, praktisch tot ist der Friedensprozeß. Wir müssen Frieden suchen, aber die heutige Situation hilft nicht, diesen Weg zu gehen. Die Politiker in Israel verhindern Fortschritte.

DIEFÜRCHE: o sind es die Israelis ... FARHAT-naser:... die den Friedensprozeß verunmöglichen - durch ihre kolonialistische Politik, durch die Entrechtung der Palästinenser in Jerusalem, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, durch die Behinderung der Wirtschaft. Die Situation ist äußerst schwierig und nicht nicht nur für die Palästinenser, sondern auch für die Israelis kaum zu ertragen. Die Lage ist beängstigend und ohne Perspektive. Wir befinden uns in einer Ohnmachtssituation: Das kann nie zum Frieden führen.

DIEFÜRCHE: Die Palästinenser waren ja schon vor den Friedensgesprächen zwischen Arafat unR Rabin in einer schwierigen Situation, es herrschte die Intifada. Was ist der Unterschied zu heute? Farhat-NaseR: Zur Zeit gibt es den Friedenswillen nicht. 1992/93 waren Babin und seine Mitstreiter zum Umdenken bereit. Die heutige Regierung Israels hingegen will alles Land haben und das andere Volk beherrschen, sie sagt dabei: Wir wollen den Frieden, der unsere Sicherheit gewährleistet. Die Sicherheit Israels kann aber nie durch Gewalt und Menschenrechtsverletzungen erreicht werden, sondern nur durch Verträge, die auch die Sicherheit der Palästinenser gewährleisten.

DIEFurchE: Wie können Sie in dieser Lage an Veränderungen arbeiten? Farhat-NaseR: Diese müssen auf allen Ebenen geschehen: Einerseits haben Politiker die Verantwortung, die Verträge offiziell über die Bühne zu bringen. Andererseits bedeuten Verträge nicht, daß Frieden herrscht, wenn die Menschen nicht vorbereitet sind. Wir müssen auf den Frieden hinarbeiten. Man kann nicht auf Knopfdruck sagen: „Leute, es ist Friedenszeit!" Wenn jahrelang in die Köpfe eingepflanzt wird: „Nur die eine Seite hat recht, die anderen sind Feinde und haben hier nichts zu suchen", dann ist es schwer, der Bede zu vertrauen: „Jetzt gibt es einen Vertrag, und beide dürfen leben." Man muß Barrieren abbauen, Vorurteile, Haß, Mißtrauen; das kann nur durch Umdenken und durch Begegnungen geschehen. Eine intensive Ausbildung, das Abbauen von Ängsten - all das ist sehr wichtig. Wir versuchen auf beiden Seiten, uns auf diesen Weg zu machen - mit Frauen und mit Jugendlichen.

DIEFüRCHE: Wie gelingt es aber, einer palästinensischen Frau klarzumachen, sie solle noch für den Frieden sein? FARHAT-naser: Es gelingt nur, wenn die Friedensarbeit politisch ist. Ich meine damit, daß ich nicht auf meine politischen und nationalen Rechte oder auf die Menschenrechte verzichten kann. Aber genau solche Rechte haben auch die Israelis. Wenn ich meinen Leuten zeigen kann, daß so politische Rechte zu erreichen sind, dann vertrauen sie mir.

Man muß daher genau differenzieren: Unser Problem ist nicht, daß wir einander hassen oder mißtrauen. Das tun wir schon seit Jahren. Die Gründe des Konflikts sind real und existentiell, es ist Überlebensdrang dahinter. Gesellschaftliche Versöhnung ist aber nur möglich, wenn es politische Versöhnung gibt. Und diese gelingt nur, wenn wir den anderen das gönnen, was wir selbst fordern; ich verlange dann aber, daß die Gegenseite dasselbe zugesteht.

DIEFÜRCHE: Sind die Israelis Ihre Feinde? farhat-naskr: Solange es keine Lösung gibt, sind die Israelis im allgemeinen Bewußtsein Feinde. Aber ich habe in Israel viele Freunde; ich könnte nie für eine Person oder eine Gruppe Haß einfach so aufbringen. Was mir feindlich gegenübersteht, ist das politische System Israels. Die Besatzungspolitik ist der Feind, nicht die Menschen.

DIEFÜRCHE: Woher nehmen Sie die Kraß, so zu sprechen? farhat-naser: Einmal, weil ich täglich Leid miterlebe und persönlich viel gelitten habe. Ich möchte, daß die neue Generation weniger leidet. Das gelingt nur, wenn man Versöhnung und Verständnis füreinander aufbringt.

DIEFÜRCHE: Haben Sie manchmal das Gefühl, es geht nicht mehr weiter? Fariiat-Naser: Ja oft. Es gibt viele Rückschläge. Aber ich sage mir dann: Rückschläge sind normal. Fortschritte sind nicht „normal", umso mehr freue ich mich. Auch in der schlimmsten Stunde weiß ich: Eine Stunde kann nie länger als 60 Minuten dauern; um mich herum geht es vielen genauso. Wir treffen einander, das gibt Kraft und läßt der Verzweiflung keinen Raum. Würde ich verzweifeln, dann würde ich nochmals leiden. Kämpfe ich hingegen, dann bleibt die Hoffnung, daß es besser wird. Und es wird auch besser.

DIEFÜRCHE: Gü)t es Anfeindungen von der eigenen Seite - etwa mit dem Argument, Sie würden das Leiden der Palästinenserverlängern, weil Sie eine Verän-derung durch Gewalt ablehnen? farhat-naser: Gewalt beschleunigt Veränderung nicht: Wir erleben ständig, selbst die ersten Opfer der Gewalt zu sein. Ich werde von der palästinensischen Regierung unterstützt, sogar von der Opposition, die den Friedensprozeß ablehnt, weil sie in ihm eine Ijegalisie-rung der Besatzung sieht.

DIEFÜRCHE: Opposition ist aas die islamistische Bewegung Hamas? farhat-naser: Nicht nur, es gibt auch andere. Alle Befürchtungen der Opposition zum Friedensprozeß haben sich bewahrheitet. Wir meinten, dieser sei ein erster Schritt, und es würde besser werden; leider ist das nicht eingetreten.

DIEFÜRCHE: Wer sind Ihre Ansprechpartner auf israelischer Seite? farhat-naser: In Israel gibt es viele Organisationen, leider stark zersplittert. Frauen, die mit uns arbeiten, findet man in verschiedenen Parteien. Gemeinsame Basis sind Prinzipien, die zwei Staaten für zwei Völker vorsehen; das schließt auch zwei I lauptstädte ein und Verzicht auf jede Art von Gewalt.

DIEFÜRCHE: Spielt Religion in Ihrem Engagement eine Rolle? Farhat-Naser: Nein. Wir kommen nicht zusammen, weil wir religiös oder nicht-religiös sind, Christin, Muslima, Jüdin. Wir sehen einander als politische Partnerinnen - Beligion ist privat. Unser Problem ist kein Religionskonflikt, sondern eine national-politische Auseinandersetzung. Bei uns stehen Alltagsprobleme im Vordergrund.

DIEFÜRCHE: Der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern ist nicht religiös? farhat-naser: Nein. Noch nicht. Obwohl die Tendenzen klar sind, weil Israel alle Unterdrückungspolitik auf biblische Argumente zurückführt- also Religion mit Politik verknüpft. Deshalb wird auch die andere Seite kreativ, um ihre Religion zu nutzen. So kann es kein Gespräch gehjen, bei dem Probleme rational betrachtet werden. Fanatisches Ausnutzen der Religion für politische Ideologien läßt nur eine Entweder-oder-Lösung zu. Das führt beide Gesellschaften in die Katastrophe.

DIEFÜRCHE: Spielt für Sie eine Rolle, wer in Israel regiert? farhat-naskr: Natürlich. Die heutige Regierung wird von religiös-fanatischen Gruppen dominiert. Man hat diese aufkommen lassen, sie können eine Regierung stürzen oder an die Macht bringen. Wir brauchen aber Partner, die sehen, daß auch Israel Konzessionen machen muß. Ein Überleben Israels ist mit dem Überleben der Palästinenser und dem Palästinenserstaat verknüpft.

DIEFÜRCHE: Was erwarten Sie sich von Menschen in Osterreich? fariiat-naser: Ich wünsche mir, daß alle genau hinschauen. Welcher österreichische Journalist kommt in die besetzten Gebiete und spricht mit den Leuten? Ich wünsche, daß wahrgenommen wird, daß auf beiden Seiten Menschen für den Fneden kämpfen. Wenn Österreicher auf Urlaub nach Israel fahren, dann bitte ich darum, daß sie auch Palästina besuchen. Nein, ich bitte nicht nur, ich fordere das!

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