6594532-1952_48_05.jpg
Digital In Arbeit

Francisco, der Fröhliche

Werbung
Werbung
Werbung

Ein eisiger Wind wehte über die Insel Sanzian an der chinesischen Küste bei Kanton, als im Morgengrauen des 3. Dezember 1552 der Jesuit Francisco de Xavier armselig und gottselig dahinstarb. Er war, wie es schien, kläglich gescheitert an dem überkühnen Unternehmen, ins Riesenreich von China einzudringen, um dort als (wie er glaubte) erster die Botschaft von Christus zu verkünden. Von Mozambique bis nach Japan war er wie ein Passatwind gestürmt, in zehnjähriger Arbeit und in Mühen ohnegleichen hatte er dieses großartige Kolonialreich der Krone Portugals dem himmlischen König zu gewinnen gesucht. Aber im tödlichen Verlöschen auf Sanzian schien alles sinnlos und fruchtlos geworden zu sein. Und man fühlt sich versucht, an der Grube, die man ihm rasch und lieblos am anderen Ende der Bucht aufwarf und ihn darin mit vier Säcken Kalk überschüttete, tiefe Betrachtungen anzustellen übet die Tragik, die auch über den irdischen Geschicken derer waltet, die ihr Leben so glühend wie Francisco einzig für das Königreich Gottes auf Erden einsetzen. Aber Francisco, dessen totes Antlitz nach dem Zeugnis des kleinen Chinesen, der allein ihm in der Sterbestunde beistand, von einem süßen Lächeln verklärt war, hatte kein Verständnis für diese sogenannte Tragik. Denn er war allezeit ein wundersam fröhlicher Mensch, weil er es einmal, in den seligen Tagen von Paris, in der Schule seines Meisters Inigo de Loyola, gelernt hatte: daß es eine Freude über alle Freuden ist, sich selbst zu vergessen und mit wortloser Tapferkeit das Kreuz zu umfangen.

So wollen wir ihm hier ein paar Worte des bewundernden Gedenkens widmen und etwas berichten von seiner Fröhlichkeit. Er war in Wahrheit ein „Francisco", ein ęchter Sohn des fröhlichen Menschen von Umbrien, in einem wahren Sinn der „Poverello" der Jesuiten. Er war zugleich ein echter Sohn des Loyola, von dem ein Zeitgenosse sagte: „Das ist der kleine Spanier, der ein wenig hinkt und so fröhliche Augen hat“; und Francisco hat seinen Meister zeitlebens genannt den „Vater meiner Seele" und „Meinen Vater in der Herzensliebe Christi“.

Don Francisco de Jassu y Xavier, der jüngste Sproß aus einer uradeligen Familie des Baskenlandes, deren Stamm- baurti man bis weit über die Grenze der Jahrtausendwende zurückverfolgen kann, war in den ersten Jahren seiner Pariser Universitätsjahre (1525 bis 1536) alles andere denn ein zukünftiger Heiliger. Gescheit, elegant, ein bewunderter Sportsmann, dazu Kleriker mit der Anwartschaft auf eine reiche spanische Pfründe, war er keineswegs geneigt, auf die frommen Zusprüche des alternden Studenten Inigo de Loyola zu hören, der ihm seit 1528 begegnet war. Ignatius hat später einmal gestanden: „Der unfügsamste Teig, den ich jemals unter den Händen hatte, war dieser junge Francisco de Xavier.“ Und der Berichterstatter, dem wir diesen Ausspruch verdanken, fährt fort: „Francisco war jung, ein hübscher Bursch, adeliger Biskayer. Und fast jedesmal, wenn er mit Inigo zusammentraf, mokierte er sich über dessen Pläne oder bewarf dessen Gefährten Laynez und Salmeron mit einem witzigen Wort." Aber Ignatius gewann diese adelige Seele in einem Kampf von fünf geduldigen Jahren. Aus Francisco wurde der Jesuit und der Eroberer einer neuen Welt für Christus, ein Mann der heroischen Liebe zu Kreuz und Mühsal — und dennoch (oder genauer, deswegen) ist er der echte und ganze Mensch geblieben, der er immer war, der Mensch einer reizenden Fröhlichkeit, einer Eleganz des Herzens, die man nur bewahren und lebendig erhalten kann, wenn man sein Herz an Gott verloren hat. Mit einem unnachahmlichen Wort hat nach Franciscos Tod ein französischer Mitbruder diese Eigenart gekennzeichnet, als er an ihm die „fröhliche Bubenhaftigkeit des Herzens“ pries, „die man freilich nur besitzen kann, wenn man sich schon immer darin übte" (gail- lardise de coeur acquise de longue main).

Wir sind heute imstande, diesen Zug am Bild des großen Apostels von Indien und Japan genauer zu erfassen, weil wir seit einigen Jahren die herrliche kritische Ausgabe seiner Briefe besitzen, die uns der jahrzehntelange Fleiß der beiden Gelehrten G. Schurhammer und J. Wicki 1944/45 geschenkt hat — das schönste Denkmal für die Größe des Heiligen, das jemals gesetzt worden ist. Wer immer diese wundervollen Briefe liest, etwa in der deutschen Auswahl, die E. Gräfin Vitzthum herausgegeben hat, vermag hinter allem Heroismus und aller Leidenskraft dieses wunderbaren Menschen die Fröhlichkeit zu erahnen, die ihn erfüllt, ja geradezu den köstlichen Humor, der leise oder bitter odert entzückend gelöst das Schwere und Harte dieser Lebensarbeit umglänzt. Schon aus den ersten Briefen des Heiligen, noch vor seiner Indienfahrt (1541), können wir miterleben, welch reizender Ton von Fröhlichkeit unter den ersten Gefährten der eben entstehenden Gesellschaft Jesu geherrscht hat. Da ist schon einmal die eine Tatsache: für die große Fahrt nach dem portugiesischen Indien hatte Ignatius eigentlich das unbezahlbare Original unter den ersten Jesuiten, Nikolaus Bobadilla, bestimmt. Und erst, als dieser plötzlich erkrankte, fiel die Wahl auf Francisco, der bis da als Sekretär des Ignatius amtierte. Francisco kannte seinen Bobadilla genau und alle seine Schwächen, und in einem Brief aus Lissabon, wo Francisco hohen Herrschaften die geistlichen Übungen gab, schreibt er an Ignatius: „Das würde Bobadilla ungemein schätzen", denn „Bob" (wie man ihn im Kreis der Gefährten gerne nannte) war bekannt wegen seiner Vorliebe für vornehme Beziehungen. Francisco war entschieden geeigneter für die großartige Aufgabe, nach Indien zu fahren, als für die trockenen Geschäfte des Sekretärs, manchmal vergaß er, rasch zu antworten, und so wird er mit Schmunzeln gelesen haben, wie einmal einer der Mitbrüder ihm schreibt: „Die Winterkälte hat offenbar Ihre Finger schreibfaul gemacht." Nun, er ging nach Indien und Bob blieb in Europa, und dieser notiert dazu in seinen Lebenserinnerungen mit trockenem Humor: „Die Gerichte Gottes sind ein unergründlicher Abgrund." Man kann sich freilich die Geschicke Indiens und Japans nicht vorstellen, wenn statt Francisco der immer etwas extrtivangante Bobadilla in den Fernen Osten gesegelt wäre. Francisco hat jedenfalls in all den unerhörten Strapazen seines nun beginnenden Missionslebens die seligen Jahre nie vergessen, in denen er mit Inigo und seinen Brüdern in Paris, Venedig und Rom gelebt hat, und wo immer es ging, flössen ihm in den Briefen nach Europa die einst so geliebten scherzenden Worte ein. Da sucht er sich schon in Lissabon geeignete Helfer für die große Fahrt, und da findet er einen höchst bescheiden talentierten jungen Mann namens Francisco Mansilhas, der noch nicht Priester ist, aber freudig bereit, mitzufahren in die lockenden Fernen. Für diesen bittet er in Rom um die Dispens zur Priesterweihe, trotzdem Mansilhas die Studien nie beenden konnte, und fügt humorvoll hinzu, man könne ihn zum mindesten auf den Titel der „über das Maß hinausgehenden Einfalt“ weihen, Mansilhas sei gar nicht redegewandt, und es hätte ihm sicher gut getan, wenn er hätte mit Magister Bobadilla (dessen geläufige Zunge bekannt war) verkehren können! Voll des Interesses erkundigt sich Francisco bei Ignatius, nachdem 1450 der Orden vom Papst bestätigt war, ob sich nun aus dem Kreis der römischen Freunde auch einige der Hoffnungsvollsten der kleinen Schar angeschlossen hätten. Darunter ist der vornehme Lizentiat Dr. Madrid, der so gerne in römischen Adelspalästen zu Gaste ist. Francisco mokiert sich über ihn: „Ich fürchte, er wird den Frieden in Gott nicht finden, wenn er sich in Palästen herumtreiht." Da ist der gute Doktor Inigo Lopez, ein Priester und Arzt, der den ersten Patres ein treuer Freund ist. Wird der auch Jesuit? Francisco hat ihn besonders gerne, er kuriert ja vor allem auch den immer magenkranken Ignatius und den ewig hypochondrischen Bobadilla mit seinen tausend kleinen Krankheiten. Francisco zweifelt: „Von Doktor Inigo Lopez bin ich sicher, daß er kein Glück im Kurieren mehr haben wird, wenn er sich ganz von uns entfernte, denn dann könnte er ja nicht mehr den Magen des Paters Inigo und die Brechgefühle des Bobadilla umsorgen." Und noch aus dem indischen Kotschin erkundigt er sich gelegentlich bei Ignatius: „Ich sehne mich nach Neuigkeiten über den Doktor Inigo Lopez. Reitet er jetzt auf einem Maultier? Falls er immer noch auf einem Pferd reitet, wie damals, als ich ihn verließ, wird große Krankheit und Schwäche sein Anteil sein, denn trotz allen Ärzten und Medizinen wird er es nicht mehr fertigbringen, zu heilen und zu Fuß zu wandeln." So der Heilige an den Heiligen, mitten aus den Todesnöten der ersten Missionsmühen —• zum Erweis für die sublime christliche Wahrheit, daß nur derjenige ein wahrer Heiliger ist, der ein Mensch bleibt. Nicht umsonst bezeugt Franciscos erster Biograph, er sei voll von einer wundersamen Heiterkeit gewesen und habe seine Predigten an Gläubige und Heiden „mit Salz und Scherz“ gewürzt. Francisco kann allen alles werden wie Paulus. Und sein getreuester Sohn unter den indischen Jesuiten, der Flame Caspar Berže, schreibt darum einmal an Ignatius nach Rom (an diesen herrlichen Ignatius, der selbst einer der fröhlichsten Menschen war und einem Mitbruder in seinen Seelennöten gar einen echten baskischen Tanz aufführen konnte, um ihn zu erheitern): „Mit denen, die lachen, suche ich zu lachen, mit denen, die singen, singe ich zuweilen, und wenn ich wüßte, ich könnte einem nützen, wenn ich tanzte, so würde ich tanzen. Und ich habe dabei den Gedanken, daß ich etwas davon bei Magister Francisco finde, dessen Schuhriemen aufzulösen ich nicht würdig bin. Auf einer der endlosen Fahrten zwischen Indien und den Molukken kann Francisco gelegentlich einmal einem Matrosen, der alles Geld verwürfelt hat, beispringen und ihm helfen, das Verlorene zurückzugewinnen, um ihn dann freilich in eine heilsame Kur zu nehmen — auch das können die Heiligen. Bitter wird sein Scherz, wenn er an die Schäden denkt, die das geldgierige und unsittliche Treibei der Kolonialbeamten seinem Missionswerk zufügt. So schreibt er an seinen Freund und Mitbruder Simon Rodriguez nach Lissabon (mit der Adresse an den portugiesischen König) in der unnachahmlichen Feinheit des heiter gelassenen Tadels: „Der Mensch hier ist so gewohnt zu tun, was nicht erlaubt ist, daß ich kein Heilmittel sehe, denn alle gehen den Weg des ,rapio, rapis" (,Ich raube, du raubst...’). Ich bin erstarrt, wie jene, die von drüben kommen, so viele Modi, Tempora und Partizipia finden für dieses arme Verbum ,rapio, rapis". Und die, welche mit diesen Ämtern wohlversorgt von drüben kommen, lassen niemals etwas fahren von dem, was sie einmal haben!" Franciscos Humor ist voll von Menschenkenntnis und von der Weisheit einer harten Erfahrung. Geradezu sarkastisch kann er werden, wenn er gegen den strohfeurigen Eifer der aus Coimbra kommenden juftgen Mitbrüder losgeht, „deren Begeisterung schon ver- pufft ist, bevor sie in Indien landen oder wenn er von Mitarbeitern spricht, die eher eifrig als klug sind und alles durcheinander bringen. Da ist ein merkwürdiger Missionar an der kleinen Kirche „Unserer Lieben Frau vom Licht" in Goa, ein eingewanderter Franzose von offenbar mehr als bescheidenen Geistesgaben. Francisco kann es Sich nicht versagen, in feinem Brief aus Kagoshima in Japan ihn grüßen zu lassen mit den Worten: „Meine Grüße auch an den französischen Pater, und bitte sagen Sie ihm von mir, da er doch Vikar bei Uriserer Lieben Frau vom Licht ist, er möge recht sehr um Licht für sich beten: denn in der Zeit, da ich seine Bekanntschaft machte, hatte er von Licht nur recht wenig!“ Scharfes Salz aus dem Munde eines Heiligen, aber echt, ohne Hinterhalt, gutgemeint; und mit Recht sagt einer seiner Biographen von Franciscos Briefen: „Besser als alle Vergoldung späterer Zeiten kennzeichnen diese Briefproben den Apostel Indiens. Hier spüren wir gleichsam etwas von dem Salz, mit dem diese resolute, frische Uhd doch so liebenswürdige Persönlichkeit gewürzt war." Und schon die Zeitgenossen waren sich einig in der Kennzeichnung seines Wesens: „Er lächelte immer und lachte doch nie", er war heiter, vertraulich und von einer immer neu entzückenden Liebenswürdigkeit. Er war, äiich auf den Höhen seiner großartigen Arbeit, imitier noch der „Gaillard" aus Paris, uhd wehh er an die geliebten Mitbrüder aus der Gesellschaft Jesu in Europa schrieb, floß stets etwas ein vom Humor aus den seligen Tagen von Paris, wo die Gefährten des Inigo in ihren Studehtenbüden fröhliche und arme Mahlzeiten hielten Und sich an ihren Jerusalemplänen ergötzten oder nach der GelübdeableQung „mit köstlicher Freude und im Jubel des Herzens bei der Quelle des heiligen Dionysius saßen und dann im Abendschein nach dem Quartier Latin zurückwanderten" (Simon Rodriguez erinnert sich an diese Stunde noch im hohen Alter!). Francisco denkt an diese gebenedeiten Jahre zurück, so oft er nach Europa schreibt, und seine Feder wird nicht müde, noch im Todesjahr, als er ihnen einen unfendlich langen Brief schreibt — aber er beendet dieses Schreiben mit dem launigen Wort, das alle Tieffen seiner von Herzen fröhlichen Seele offenbart: „Nun fürchte ich, daß mein Schreiben euch nur langweilt, denn man muß da so viel lesen. Aber ich tröste mich damit, daß ihr, wenn es euch langweilt, das alles zu lesen, einfach aufhören könnt mit Lesen." Einst war er aus Lissabon ausgezogen, nur mit ein wenig warmer Wäsche und ein päär Füchern, uhd als der hochgeborene Graf Castan- heira ihm feineh Diener und ein wenig mehr Komfort für die Reise aufdrängen wollte, sagte er ihm das großartige Wort, das zugleich voll von einem süblimeh Hümor war: „Herr Graf, das Streben, sich auf diese Weise Ansehen und Autorität zu vferSchaffen, hat die Kirche Gottes in dieseh traurigen Züstahd gebrächt, in dein sie heute ist, und ihre Prälaten mit íhh Dás Mittel, durch das man sich Absehen Uhd Autorität verschaffet! muß, besteht darin, daß mah sich selber seine Kleider wäscht ünd seinen Kochtopf besorgt, ohhe die Dienste ahderfer dafür in Anspruch Zu nehmen." Wahrlich, Franciscos wundervolle Heitetkeit ist nur erklärbar, wehn wir wissen, däß er fein Heiliger der glühenden Kreuzliebe und dfer herzlichen Derhul war. Und sö ist uns der Francisco ain teuersten, den wir über die eiskalten fierce von Japan wandern sehfeh, bis zum Sprfengen des Herzehs erfüllt voh feiner göttlichen Heiterkeit mitten im Leid, laufend vom inneren Entzückert und springehd wie einst ih den Slüdentehtagen, als er auf der Insel in der Pariset Seihte sfeine bewunderten Kunstsprünge machte. „Und er sprang äüf vor Freude, Und warf eineh Apfel in die Luft und fing ihn wieder auf", berichtet der Begleiter — eš wár das mystische Spiel eines ih Gott dem Gekreuzigten fröhlich gebliebenen Menschen. Francisco wär der Pövertello der Gesellschaft Jesu. Vor vierhundert Jahteh ist er einsam gestorben, aber seitdem ist sein „Lobpreis ih der großen Kirchfe" nie mehr verstummt. ühd feih Hymnus preist ihn nach seiner Heiligsprechung mit einem Wort, das auch heutte noch, gerade heute wieder, wo die Kirche .ih China leidet und ih Japan sich zur Eroberung ahschickt, gilt: „Noch heute glüht Francisco in Japan, noch heute tut er Kriegsdienst in China, noch heute feiert et allüberall einen Triumph!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung