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Frank Thieß und sein Hauptwerk

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Als eine der unumgänglichsten Fragen des menschlichen Leben6, von keiner geringeren Bedeutung als die der Gemeinschaft oder der Verwandlung, erscheint Frank Thieß das Freiheitsproblem. Seine richtige Lösung biete die Voraussetzung zur Bewältigung aller anderen Lebensfragen. Dieser Gedanke war baltisches Erbe, und um ihn kreist fast das ganze essayistische und dichterische Werk von Frank Thieß. Eine zweite Grundidee: „daß Leben und Schicksal ein irrationales Geschehen darstellen; alle Wirklichkeit ist immer nur Oberfläche, dahinter breitet sich ein dein VerStande nicht erfaßbares Kraftfeld au6, um dessen Geheimnis .sich die großen Religions-etifter der Menschheit bemüht haben und dem die christliche Religion am nächsten gekommen ist.“ Diese Erkenntnisse werden vor allem in zwei Werken exemplifiziert: in dem Roman eines Jahrtausends „Das Reich der Dämonen“ und in den „Ideen zur Natur- und Leidensgeschichte der Völker“.

Das Werk von Frank Thieß ist ungewöhnlich reich und vielgestaltig. Innerhalb des deutschen Sprachraumes ist Thieß einer der wenigen hommes de lettre. Er war Schauspieler und Regisseur, Theaterkritiker und Journalist, Essayist, Geschichtsphilosoph und Musikhistoriker, Novellist und Romancier, Dramatiker und Filmautor. So bietet 6ein Opus die verschiedenartigsten Ansatzpunkte für ästhetische, formale und weltanschauliche Durchforschung. Gleichzeitig wird, wer 6ich mit. Frank Thieß beschäftigt, auf die bren-

nendsten Gegenwartsfragen gestoßen. So konnte der Herausgeber der vorliegenden Festschrift zu des Dichters 60. Geburtstag die 32 Studien und Bekenntnisse zu Frank Thieß mit Recht unter dem Titel „Beiträge zur Problematik unserer Zeit“ zusammenfassen. R. Italiaander gibt, auf unveröffentlichte persönliche Aufzeichnungen des Dichters gestützt, einen Gesamtüberblick über Persönlichkeit, Werk und Wirkung von Frank Thieß. Die Titel: Janus, Dichtung als Orakel der Zeit, Jugend von gestern und heute, Ergriffenheit durch Liebe, Von der Freiheit der epischen Kunstform (ein besonders interessanter Beitrag von Mario Galletti), Ende des Theaters, Ikarisches Weltbild, Voraussetzungen des musikalischen Schaffens, Einladung zu einem Ideenbuch und andere, geben eine ungefähre Vorstellung von der Vielfalt der Problme, die Thieß mit seinen Büchern aufgerührt hat. — Wie bei allen Publikationen dieser Art mag sich der Herausgeber oft vor die Alternative: berühmter Name oder gewichtiger Beitrag gestellt gesehen haben. Von einigen wenigen Höflichkeitsbezeugungen abgesehen, enthält jeder der Beiträge etwas Interessantes und meist auch einen Bezug auf den Gefeierten.

Die erste Auflage des Buche6 „Das Reich der Dämonen, 1940, wie die kurz darauf folgende zweite, wurde mit Heißhunger verschlungen. Vor allem von den Gegnern des damals herrschenden Regimes. Dies geschah mit Recht. Denn obwohl der Verfa66er behauptet, er wolle mit 6einem Buch seiner Zeit keinerlei Spiegel vorhalten, 60 hat er nicht nur dies, sondern noch mehr getan: Er hat über sie ein furchtbares Gericht gehalten und ihren Untergang vorausgesagt. Selten wurde in einem Werk, das unter der NS-Herrschaft erschien, so eklatant der Sieg des Geistes über die Mächte der Unterwelt an Hand der Geschichte nachgewiesen. Selten wurde in einem Werke, das in der Zeit einer schrankenlosen Diktatur herauskam, der Wahnsinn jeder Tynannis und deren Untergehenmüssen so blendend dargestellt wie hier. Selten wurde auch in einem nichtkatholischen Buch, das zur Zeit einer antichristlichen Herrschaft erschien, das unaufhaltsame Vordringen des Christentums, der Sinn des Märtyrertums, die Bedeutung des hl. Paulus den Lesern so demonstriert wie in diesem „Roman eines Jahrtausends“, der die Geschichte von 500 vor bis 500 nach Christi Geburt zum Inhalt hat.

Wer heute dieses Buch wieder liest, der begreift, warum man über die brüchigen Stellen dieses Werkes hinweglesen konnte. Zu sehr war man durch das Hauptanliegen des Autors gefesselt, der Zeit den Untergang der Dämonen zu zeigen. Denn zweifellos hat dieses Buch, das in einem sehr flüssigen, teilweise blendenden Stil geschrieben ist, seine Bruchstellen. Es sind dies größtenteils

die Kapitel, die sich mit dem Christentum beschäftigen. Der Verfasser hat über diesen T=il der Weltgeschichte viel gelesen und \ eles richtig gesehen, dennoch passieren ihm et unverzeihliche Fehler und unterlaufen i -n Behauptungen, die manchmal direkt an Rc.isn erinnern. So, wenn er (240) behauptet, der katholische Muttergotteskult gehe weitgehend auf heidnische Mutterkulte zurück. Oder wenn er (261) allen Ernstes erklärt, das Evangelium des hl. Johannes sei geschrieben worden, um die drei anderen zu „erledigen“. Oder gar. die Evangelisten 6eien nicht Jünger de6 Herrn gewesen. (Was waren dann Matthäus und Johannes?) Die Lüge, so behauptet der Verfasser weiter (280), sei im Neuen Testament nirgends verboten. Ganz undiskutabel ist die Erklärung des Kommens Chri6ti, das der Weltgeist nach einer Reihe von „Versuchen“ auf dem Gewissen hat (258). Die Vergottung Christi liegt nach der Ansicht

des Verfassers im Zuge der Zeit (297). Glauben mit Wissen zu vereinen, zeigt nach der Ansicht des Verfassers von psychologischer Unkenntnis, denn wo der Glaube herrscht, hat die Logik ausgespielt. (Thomas von Aquin und alle Scholastiker waren demnach auf dem Holzweg!)

Der Verfasser nennt das Buch selbst einen Roman und dies mit Recht. Es ist kein wissenschaftliches Werk und darf deshalb auch nicht so 6treng wie ein solches unter die Lupe genommen werden. Dessenungeachtet dürfen natürlich grundlegende Fehler nicht unwidersprochen bleiben.

Darüber hinaus bleibt das Werk ein sehr spannend geschriebener und sehr interessanter „Roman“, der heute, zehn Jahre nach seinem Erscheinen, noch immer großes Interesse finden wird.

DDr. Willy Lorenz

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