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Frankreich blickt ostwärts

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Dem aufmerksamen Besucher Frankreichs fällt es bald auf, daß die Gefühle weiter Schichten der Bevölkerung Deutschland und den Deutschen gegenüber ganz andere sind wie nach dem ersten Weltkrieg. Höchst selten wird man von b och es reden hören, und wer die heutigen Zeitungen, Zeitschriften und Literatur Frankreichs kennt, weiß, daß gegenwärtig jenseits des Rheins ein ganz außerordentliches Interesse für den östlichen Nachbarn herrscht. Und dieses Interesse ist nur zu geringem Teil von Furcht und Haß diktiert; Neugierde und selbst oft eine gewisse Sympathie sind da die Triebfedern. Die Ursache dafür ist im zweiten Weltkriegserlebnis Frankreichs zu finden, das nun endlich einmal mit einer großen Anzahl von Deutschen in direktem Kontakt kam. Ein großer Teil dieser Beziehungen war keineswegs freundlich und stand unter dem denkbar ungünstigsten Stern. Gestapo und SS hatten in France la Doulce brutal gewütet, eine Tatsache, von der die Ruinen Oradours beredtes Zeugnis ablegen. Doch viele Soldaten und Zivilisten, die das Schicksal nach Frankreich verschlagen hatte, überraschten die Franzosen durch ihre schöne Menschlichkeit, und viele der französischen Sklavenarbeiter, die das Glück hatten, nicht in einer seelenlosen Fabrik, sondern in einem privaten Kleinbetrieb mit Familienanschluß unterzukommen, hegen für die Deutschen die freundschaftlichsten Gefühle. Im Rheinlande hingegen begegnete ich einem Eisenbahner, der, bald aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, das Hohelied seines Brotgebers sang, eines kleinen Grundbesitzers, der der Frau seines Zwangarbeiters Lebensmittel und tröstende Briefe sandte; im Zug Straßburg— München erzählte mir eine ganze Handvoll deutscher Zivilarbeiter über ihre schlechte Behandlung hinter dem Stacheldraht bis 1946 und den verblüffenden Wechsel, de" gleich nach ihrer Entlassung stattfand. Fast alle waren sie mit französischen Mädchen verlobt, die Staatsbürgerschaft war ihnen versprochen worden und die Haltung ihrer Arbeitskollegen verwischte schnell die bitteren Erinnerungen der Gefangenschaft. Doch wie weit das menschliche Verhältnis wirklich gediehen ist, zeigte mir eine kleine Szene in der Banque Nationale in Paris, wo eine auffallend hübsche, junge Frau versuchte, Okkupationsfranken einzuwechseln. Das ging natürlich nicht, der Beamte erkundigte sich, wo in aller Welt sie diese „verbotene Währung“ aufgeklaubt hatte, worauf sie gestand, daß sie diese Banknoten in der französischen Zone Deutschlands geschenkt erhalten hätte. Er bat sie um ihren Paß, den er mit etwas erhobenen Brauen las. „Oui“, sagte sie da auf einmal einfach, „j’ai mariee un boche.“ Doch da ließ der Beamte den Paß sinken. „Mais, Madame, enfin … mais, Madame …“ In diesem väterlich-verzeihenden und doch auch, wieder humorvoll-beschwichtigenden Blick spiegelte sich die ganze Geschichte der Okkupation wider — eine Geschichte menschlicher Irrungen und vergeblicher Versuche des Brückenschlagens, in der das Edle und Unedle in seltener Mischung sich verband. Und überdies gibt es da noch andere Erinnerungen; die unter dem Protest de Gaulles in den Luftangriffen umgekommenen Franzosen — 4500 von ihnen allein beim Bombardement Le Havres.

Man braucht nur das Buch des jungen französischen Jesuiten Henri Perrin lesen, der freiwillig als Sklavenarbeiter nach

Deutschland ging, um verschleppte Franzosen zu betreuen. In den Seiten des „P r e t r e- ouvrier en Allemagne“ finden wir oft eine wirkliche geistige und seelische Hochachtung für einzelne Deutsche und selbst eine gewisse Liebe für das deutsche Volk. Und auch das berühmte Buch des „Untergrund-Schriftstellers“ Vercors „L e silence de la mer“, das erst kürzlich verfilmt wurde, zeigt eine tragische Situation auf und ergibt sich nicht einem sterilen Haß, wie ein guter Teil amerikanischer und selbst englischer, heute vergessener Kriegsliteratur. Man erinnere sich nur an Hemingway, der vor lauter Patriotismus alle Deutschen sterilisieren wollte! Und die Ursache zu dieser Haltung ist nicht nur in der geistigen Grundhaltung Frankreichs zu finden, die schon in ihrer Latinität universalistisch ist, sondern auch in der wenn auch unter- bewußtheitlichen Erkenntnis von einem letzt- endig doch gemeinsamen Schicksal der beiden unselig getrennten Hälften des karolingischen Urreichs und von der unmittelbaren Nachbarschaft im immerhin kleinen und gedrängten Europa.

Ganz besonders im Bereich der Philosophie hatten sich während des Krieges die Wechselbeziehungen als fruchtbar erwiesen. Der französische Existentialismus der letzten sieben Jahre ist von deutschen Denkern christlicher und agnestischer Prägung mächtig angeregt worden. So wie Sartre ein Schüler Heideggers ist, ist auch Gabriel Marcel zwar kein Jünger, aber doch eine Parallelerscheinung zu Karl Jaspers. Daß der Existentialismus durch das gemeinsame Erlebnis der Tyrannis auch psychologisch unterbaut wurde, ist wohl selbstverständlich. Ein Leben, in dem man stündlich schweren Gewissensentscheidungen gegenübersteht, ein Leben, in dem der Schrecken einer totalen Polizeigewalt und der unbarmherzigen Bombardierung die Grenzen, aber auch die Einmaligkeit der Person zu Bewußtsein bringen, verlangt nach einer lebendigen Philosophie, die nicht trockenen Erwägungen, sondern einer bis in die Tiefen erschütterten Gesamtpersönlichkeit entspringt. Deshalb auch der Existentialismus auf beiden Seiten des Rheins, deshalb auch die große Melancholie in beiden Ländern, der bei Christen sich als Diesseitspessimismus zeigt Ber- nanos’ „La France contre les robots!“, deshalb auch die Popularität, die Emst Jünger in Frankreich genießt; seine „Falaises de Marbre“ Auf den Marmorklippen waren ein ganz großer Achtungserfolg und seine „Strahlungen“ erschienen bezeichnenderweise in der französischen Zone Deutschlands. Die Druckerlaubnis hiefür war ein delikates Problem, da sich Jünger prinzipiell weigert, vor einem Denazifizierungsgericht zu erscheinen. Doch auch andere deutsche Autoren haben verblüffende Erfolge. Wer würde sich denken, daß die „Jerominskinder“ von Wiechert von Franzosen verschlungen werden?

Nicht zuletzt ist durch die Abberufung General Königs in Deutschland .und die Ernennung Franfois-Poncets zum Zivilkommissär der französischen Zone ein weiterer Wandel geschaffen worden. Westdeutschland hat wahrscheinlich heute schon eine schwache katholische Mehrheit, und Fran?ois-Poncet ist nicht nur ehemaliger französischer Botschafter in Berlin, sondern auch ein hochgebildeter Germanist und gläubiger Katholik. Weltanschaulich und erfahrungsmäßig steht er da dem Außenminister Robert Schuman, der als deutscher Staatsbürger in Luxemburg von lothringischen Eltern geboren wurde, nahe. Schumans Muttersprache ist deutsch, und er spricht die Sprache Goethes noch gewandter als der Führer der Rechtsopposition, General de Gaulle, der von seinen Deutschlandkenntnissen eine nicht geringe Meinung hat. Ein Niederschlag seiner Erfahrungen ist „La dis-corde diez l’ennemi", eine treffliche Analyse der Wirkung der Ententepropaganda innerhalb Deutschlands mit einer These, welche die Vertreter der. „Dolchstoßlegende“ nicht enttäuschen würde. Und obwohl de Gaulle manchmal öffentlich über Deutschland in einer Weise gesprochen hat, die nicht allzu freundlich klang, so war dies fast immer nur ein innenpolitischer Vorstoß, um der Regierung „Verrat an den Interessen Frankreichs“ vorwerfen zu können.

Das gesteigerte Interesse für Deutschland wird auch nicht zuletzt durch eine rapide Zunahme des Deutschstudiums bezeugt. Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Deutsche aus den meisten Schulen verbannt. Die Entwicklung ist diesmal rückläufig. In den Zeitungen und Zeitschriften will das Thema Deutschland nicht verstummen. „Esprit“ gab schon vor einiger Zeit eine deutsche Sondernummer heraus, „Ternps Modernes“, an denen sich Sartre hervorragend beteiligt, hat das Doppelheft August-September Deutschland gewidmet. Die Zahl der Bücher über Deutschland und die Deutschen aufzuzählen, überstiege den Rahmen dieses Artikels. Unzweifelhaft ist aber der aufsehenerregende Aufsatz Paul Mällia- vins in „Ferits de Paris“ über das deutschfranzösische Verhältnis eine kleinere Sensation gewesen. Durch eine bedauerliche Verkettung von Umständen ist er in Deutschland nicht bekannt und deshalb auch nicht beachtet worden.

Freilich hat die französische Besatzung in Deutschland in der kurzen Zeit der Neuorientierung noch nicht die richtige „Stimmlage“ gefunden, um eine Politik durchzuführen, die in Frankreich von der Regierung und einem Großteil der Opposition in steigendem Maße gewünscht wird. Doch ist da auch in den letzten Monaten ein beträchtlicher Wandel eingetreten.

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