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Frankreichs Presse zwischen Hoffnung und Untergang

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Frankreich ist neben Italien das klassische Land abendländischer Buchdruckerkunst. Der edle Schnitt der Lettern, wie ihn die prachtvollen Kunstbücher des Ancien regime kennen, setzt sich bis heute in den bibliophilen Werken des Landes fort. Da ist es wohl nicht ver- • wunderlich, daß die französische Presse frühzeitig Bedeutung erlangte. Der französische Geist ist ja leicht beweglich, kommt der Journalistik als einer Kunst des Tages entgegen; wenn er auf hervorragende technische Möglichkeiten trifft, muß er auch ein weithin befriedigendes Ergebnis zeitigen. Es ist kennzeichnend für die historische Bedeutung der französischen Presse, daß H a t i n s klassisches Werk über die französische Zeitungsgeschichte (Histoire de la Presse en France) 1859—1861 veröffentlicht, nicht weniger als acht Bände umfaßt.

Schon seit Jahrzehnten unterscheidet man in Frankreich die Meinungspresse (presse d’opinion) und die Nachrichtenpresse (presse d’information). Der amerikanische Zeitungstyp ist vorwiegend auf die Nachrichten abgestellt, wenn man von den führenden Wochenblättern absieht. Der große Journalist ist dort der erfolgreiche Reporter. In Frankreich war seit jeher die weltanschauliche Grundhaltung einer Zeitung entscheidend. Der große Journalist war dort stets der Leitartikler. Man braucht nur an die bedeutenden Leitartikler der Zwischenkriegszeit zu denken, wie Wladimir d’Ormesson, der im „Figaro” schrieb, an Madame Tabouis vom „Oeuvre”. Man kann ruhig sagen, daß die französische Meinungspresse vor 1939 Weltpolitik großen Stils gemacht hat: „Le Temps” als konservatives Blatt, „La Croix” als Zentralorgan des katholischen Frankreich, aber auch das „Journal des Debats”, „La Liberte”, „Le Figaro” und die Blätter der Linksparteien „L’Humanite” und „Le Populaire”. Führende Organe der reinen Nachrichtenpresse, die gerade um der Vielfalt ihrer Informationen willen weit verbreitet waren, sind der „Petit Parisien” gewesen, ferner der „Matin” und das „Journal”.

Die große Pariser Presse übte ihren — für die Geschichte Europas freilich oft recht unheilvollen — Einfluß nicht nur durch die formende Gestaltung der französischen Innen- und Außenpolitik. Ähnlich wie die „Neue Freie Presse” und die „Reichspost” in der alten Donaumonarchie, wirkte sie auch als warnende, oft geradezu offiziöse Stellungnahme starker Mächte, denen sie Sprachrohr wurde. Man braucht sich nur der bedeutenden Rolle zu erinnern, die die französische Presse als Weltherold der Ansprüche der Kleinen Entente spielte, oder des ungeheuren Einflusses, den sie im ganzen Vorderen Orient hatte.

Diese Weltbedeutung führte dazu, daß vor allem die Meinungspresse über beträchtliche Geldmittel verfügte. Große Machtgruppen Frankreichs — seine Industrie- und Bankkonzerne vor allem — vereinigten sich mit außenpolitisch interessierten Geldgebern, um die Pariser Zeitungen zu den bestgeführten und bestinformierten der Welt zu machen. Die eigene Auflage, mochte sie auch fast die Millionengrenze erreichen, war angesichts des ungemein kostspieligen Korrespondentennetzes in aller Welt kaum je ausreichend, die Kosten zu decken. Immerhin war die starke Verbreitung der französischen Presse in Mittel- und Osteuropa, in Kanada und vor allem in Ägypten, Italien und Kleinasien auch ein finanziell wichtiger Faktor. Rund ein Drittel der Auflage bürgerlich-kapitalistischer Blätter fand dort den Absatz.

Mit Kriegsbeginn sah sich die französische Presse vor neue Probleme gestellt, die nach Einrichtung des Etat Franęais des Marschalls P6tain an die Lebensnerven griffen. Der Auslandsabsatz war mit einem Male beseitigt. Die scheinbare oder wirkliche Pressefreiheit war dahin und damit der Einfluß. Die großen Geldgeber wandten sich ab. Der Staat selbst, dessen wohlwollende oder unfreundliche Haltung auch früher schon von Wichtigkeit war — an seiner Zurückhaltung ging 1936 das für deutsch-französische Verständigung arbeitende ausgezeichnete Blatt „La Presse” zugrunde —, nahm plötzlich starken Einfluß, ohne zugleich aber die einstige starke Stütze geben zu können. Die Besatzungsmacht bemächtigte sich vom ersten Tage an der Presse, wie überall. Mochte sie sich dabei auch auf nicht unbedeutende freiwillige Helfer stützen können (etwa Marcel Deat oder den heute in Genf als Verleger wirkenden einstigen Botschafter Rochas), so mußte sie doch in der Hauptsache die Presse und ihre führenden Personen kaufen.

Es ist nicht weiter verwunderlich, wenn nach der Liberation sich eine Art Volkszorn gegen die Träger alter Namen unter den Zeitungen kundgab, die sich für Vichy eingesetzt hatten. Sie wurden im Fieber des August 1944 hinweggefegt, um zahlreichen Neugründungen Platz zu machen, die inzwischen großenteils aber ebenfalls wieder verschwunden sind. Die Tribunale der Resistance, personell überall mehrheitlich aus Kommunisten zusammengesetzt, räumten mit den sogenannten „Journaux de trahison” (Verräterzeitungen) gründlich auf, und sehr harte Urteile gegen führende Journalisten der Kollaboration, Brasillach, Rochas, Suarez usw., bildeten die Überleitung zu einer neuen Art von Zeitungen und auch von Journalisten. Endgültig wurde diese Überleitung durch das Gesetz vom 11. Mai 1946 geregelt. Gemäß diesem Gesetz wurden ungefähr zwei Drittel der Blätter aus der Vichy-Zeit freigesprochen und ein Drittel verurteilt. Gegen die Freisprüche, die in der Provinz teilweise nach anderen Gesichtspunkten als in der gaullistischkommunistischen Mischatmosphäre der Hauptstadt vor sich gingen, wurden sehr bittere Kritiken, auch von katholischer Seite, laut. Auf jeden Fall fand sich Frankreich am Beginn seines neuen, befreiten Staatswesens sowohl ohne ausreichende Journalisten wie auch ohne Presse mit Tradition.

Unter diesen Umständen muß man der heutigen französischen Presse die Anerkennung zollen, daß sie schon wieder einen beträchtlichen Schritt nach vorwärts getan hat, um über die lokale Bedeutung einer zweitrangigen Macht hinauszugelangen und an dem noch immer gültigen Weltreich des französischen Geistes teilzuhaben. Aber, gemessen an der Presse von einst, ist sie schwach und unbedeutend. Zersetzende Kräfte machen sich geltend und ihre Anerkennung begründet allein die hohe Auflagenzahl, ohne welche angesichts der enormen Papier- und Druckkosten die französische Presse von heute noch weniger leben kann als jene von einst, obwohl die Kosten für eine teure Auslandsberichterstattung fehlen, weil es eine solche Berichterstattung nicht mehr gibt. An der Spitze der Auflagen figuriert „France-Soir” (641.000 Auflage = 141.000 mehr als vor einem Jahr). Das Blatt will offenbar den einstigen „Paris-Soir” kopieren, dessen Chefredakteur Pierre Lažareff übrigens neben A. Blank in der Rue Reaumur die Zeitung mitleitet. Verbrechen und sittlicher Verfall füllen die Seiten dieses geschickt aufgezogenen Blattes, dessen krasse Realistik nur noch durch üble Boulevardwochenblätter, wie „Samedi-Soir” (810.000 Auflage!) übertroffen wird. Man wird auch, wenngleich eine Stufe höher, die gegen den politischen Konservativismus auf tretende Tageszeitung „F r a n c - T i r e u r” (365.000 Auflage) hiebet klassieren können, während der rein kommunistische „Ce Soir” (478.000 Auflage, um 58.000 mehr als vor einem Jahr) in seinem Chefredakteur Aragon einen geschickten Vertreter der kommunistischen Weltanschauung hat, deren offizielles Sprachrohr freilich nach wie vor die „H u m an itf” (unter Herve) mit 450.000 Auflagenhöhe ist.

Daß die kommunistische und die mit ihr sympathisierende Presse (auch „Liberation” und „Ordre” gehören dazu) nicht der wahre Ausdruck der France Eternelle sein können, liegt auf der Hand. Wo aber ist die seriöse französische Presse von Welteinfluß und klarer Meinung? Man wird sie vergeblich suchen. Gewiß, der „F i g a r o”, eines der wenigen Blätter, die ihren Namen über Vichy bis heute bewahren konnten (er gehört der Gaullistin Madame Cottanareanu, die aber die Richtung des Blattes nicht bestimmt), ist noch da. Seine Auflage von 410.000 ist beachtlich. Als konservatives Blatt der Troisieme Force schmückt er sich noch immer mit der illustren Mitarbeit der Akademiker und Botschafter. Aber ein Sprachrohr von und nach Europa ist er trotz allen Glanzes heute nicht.

Die Pariser De-Gaulle-Blätter, nämlich „Le Parisien 1 i b e r e” (Gruppe Amaury, Auflage 420.000 = 80.000 mehr als im Vorjahr) und das Abendblatt „P a r i s - P r e s s e” (508.000 = 90.000 mehr) sind weniger zur Meinungspresse gehörig als zur Informationspresse, deren einstige Vorbilder sie kopieren. Wer liest sie außerhalb Frankreichs, ja bloß außerhalb von Paris? Das MRP-Blatt „Aube” (100.000 Auflage = 60.000 weniger), der sozialistische „Populaire” (140.000 = 40.000 weniger), die katholischkonservative Zeitung „L e M o n d e” 174.000 Auflage unverändert), die ebenfalls konservative „Epoque” (110.000) schwanken in ihrer Haltung zu den europäischen Fundamentalproblemen, aber auch gegenüber jiem Gaullismus. Sie haben wohl solide Mitarbeiter, aber kein weitreichendes Echo, und nur die aus der Resistance hervorgegangene Zeitung „C o m b a t” vermochte eine Zeltlang sich auf die Mitarbeit hervorragender Männer des französischen Geistes (Camus, Pia, Ollivier) zu stützen.

Alle Pariser Blätter leiden unter würgender Geldnot, ausgenommen eben jene, die sich in irgendeiner Form den Kräften der Destruktion oder Antieuropas verkauft haben. Eine Tageszeitung mit nur 100.000 oder 200.000 Auflage kann in Paris auch bei guten Anzeigeneinnahmen (die sehr teuren Heiratsanzeigen ausgenommen) nicht auf ihre Rechnung kommen. Dies um so weniger, als ja keine Sicherheit einer stabilen Auflagenhöhe besteht. Eine solche hat eigentlich nur die katholische „Croix” (180.000 Auflage, davon 80.000 Festabonnenten).

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