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Franz Schubert, vom Klischee befreit

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Hat Schubert wirklich gedarbt? 39 Mitarbeiter schufen ein Nachschlagewerk, das Musikhistorikern und Musiksoziologen viel Mühe sparen wird. Für den Nicht-fachmann ist es eine Herausforderung, sich Schubert auf neue Weise zu nähern: Nicht über das Fertigprodukt einer Biographie, sondern durch ein Puzzlespiel von Fakten. Schlagen wir also nach unter „Einkommen".

In den letzten Jahren seines Lebens verdiente Schubert fast so viel wie ein Vize-Hofkapellmeister, dreimal soviel wie ein Musikdirektor in Laibach. (Um beide Positionen hatte ersieh beworben.) Trotzdem kam er in den zwölf Jahren seiner kurzen Laufbahn im Durchschnitt nur auf das Zweieinhalbfache eines Schulgehilfen. Auch stieg sein Einkommen nicht im selben Maß wie sein Ansehen. In Schuberts Sterbejahr kassierte Paganini in Wien für acht Konzerte 20.000 fl., Schubert für sein einziges „Privatkonzert" 800 fl. Wiener Währung, was heute etwa 225.000 Schilling entspräche. Das Existenzminimum war von 1825 bis 1828 von 1 auf 3 fl. täglich gestiegen.

Zu Schuberts Zeit, erfahren wir un -ter „Habsburger", war bei Hof Sparen angesagt, die Napoleonischen Kriege hatten die Kassen geleert und der Wiener Kongreß mit seiner Verschwendungssucht war auch vorbei, als Schubert in Erscheinung trat. Das Mäzenatentum ging auf das Bürgertum über, dessen Aufstieg verlief aber gerade in Osterreich noch sehr gebremst. Deshalb und aus politischen Gründen wanderten viele Künstler aus. Schubert war sozusagen ein freischaffender Künstler erster Generation. Der unerfahrene Anfänger (später war er in kaufmännischen Fragen selbstbewußt) wurde von einem Teil seiner Verleger schamlos ausgenützt, was ihn zu dem gleich zweimal zitierten bitteren Ausspruch ver-anlaßte, dafür habe „schon die weise u. wohlthätige Einrichtung des Staates gesorgt, daß der Künstler ewig der Sclave jedes elenden Krämers bleibt".

Als er starb, war er kein vielversprechendes Talent mehr, sondern eine aufsteigende Berühmtheit, und auch seine Lebensfremdheit ist Klischee. Aber er hatte Probleme mit dem Zeitgeschmack, dem ein Teil seiner Arbeiten nicht entgegenkam, das heißt mit dem Markt, und da nicht mehr der Komponist gefördert, sondern das einzelne Werk verkauft wurde, bedeutete jede nicht verwertete Komposition einen Verlust.

Die ihn kannten, schildern ihn, siehe „Persönlichkeit", divergierend. Für Josef von Spaun hatte er „eine Doppelnatur: Auf der einen Seite wollte er eine gewisse Derbheit u. Sinnlichkeit in seinem Wesen festgestellt haben, auf der anderen eine Neigung zur Melancholie". Albert Stadler hielt ihn für „völlig anspruchslos, fast etwas lässig im Äußeren u. jeder Ziererei abhold". Andere erwähnten seine „rücksichtslose Freymüthig-keit", beschrieben ihn als „eher mürrisch als heiter", als jemanden, der „nie hell oder frei" auflachte.

Schubert war kein Träumer, kein Schlafwandler und kein Unpolitischer. Die Zensur piesackte auch ihn, er mußte jede Komposition vorlegen, sauber geschrieben, mit breitem Rand für Anmerkungen. Den Einakter „Die Verschworenen" mußte er in „Der häusliche Krieg" umbenennen, das Textbuch zum „Graf von Gleichen" wurde verboten, von vielen kleineren Eingriffen weiß man, doch wurde das Archivmaterial 1927 beim Brand des Justizpalastes vernichtet. Bei der Verhaftung seines Freundes Johann Senn soll er mit anderen „gegen den amtshandelnden Beamten mit Verbalinjurien und Beschimpfungen losgezogen seyn". Gestorben ist er offenbar an einer Salmonellen-Infektion, nach jüngsten Erkenntnissen in Verbindung mit einer Rehand-lung, die das durch jahrelange Quecksilbertherapien geschwächte Immunsystem nicht mehr aushielt.

Das Lexikon umfaßt mit seinen über 800 Artikeln auch die Schubert-Rezeption und die Interpreten bis zur Gegenwart. Daß sich auch ein paar Irrtümer einschleichen, ist bei so einem Werk unvermeidlich.

SCHUBERT-LEXIKON

Herausgeben Ernst Hilmar, Margret Jestremski

Akademische Druck- und Verlagsanstall, Graz 1997. 5)4 Seiten, Ln., ohne Illustrationen, öS 1.200,-

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