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Frauen, Heilige und Teufel

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DIE VERBANNTEN. Von Al ja Ra chm a n o wa. Aus dem russischen Manuskript übertragen von Dr. Arnulf Hoyer. Huber und C o. A. G. Frauenfeld, Zürich, 1964. 349 Seite mit 6 Bildtafeln. Preis 23.50 sFr. — RUSSISCHE FRAUEN. Diederichs Taschenausgaben. 298 Seiten. Preis 14.80 DM. — GEH AUF DEN MARKT. Roman von A. J. Cronin. Zsol- nay-Verlag, 1964. Preis 140 S. — MEIN FRANZ V. ASSISI. Roman von Nikos Kazmi- zakls, Fischer-Bücherei, Nr. 613. 295 Seiten. Preis 3.80 DM.

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DIE VERBANNTEN. Von Al ja Ra chm a n o wa. Aus dem russischen Manuskript übertragen von Dr. Arnulf Hoyer. Huber und C o. A. G. Frauenfeld, Zürich, 1964. 349 Seite mit 6 Bildtafeln. Preis 23.50 sFr. — RUSSISCHE FRAUEN. Diederichs Taschenausgaben. 298 Seiten. Preis 14.80 DM. — GEH AUF DEN MARKT. Roman von A. J. Cronin. Zsol- nay-Verlag, 1964. Preis 140 S. — MEIN FRANZ V. ASSISI. Roman von Nikos Kazmi- zakls, Fischer-Bücherei, Nr. 613. 295 Seiten. Preis 3.80 DM.

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Merkwürdiges geschah am 14. Dezember, den die Russen dekabr nennen, des Jahres 1825. Hätte das Drama nicht mit Toten, Verwundeten und vernichteten Schicksalen geendet, so dürften wir hierzulande von einem Operetten-, von einem Pfrimer-Putsch sprechen, so dilettantisch unmilitärisch war diese Erhebung der „Dekabristen“, 121 Aufständischen, darunter 13 Generäle und Obersten, 14 Fürsten, 9 Grafen, 4 Barone und anderen Adeligen. Ihre Motive waren lauter: Aufhebung der Leibeigenschaft, Abschaffung von Mißständen in der Armee sowie Kampf gegen die sonstigen Auswüchse des zaristischen Absolutismus.

Der Anlaß schien günstig: Nach dem Drama von Taganrog, dem Werner Bergengruen die Poesie ewiger Gültigkeit verschuf, also dem Tode oder Untertauchen des Zaren Alexander I., trat in dem Riesenreich ein Regentenleerraum ein: Thronfolger

Konstantin lehnte ab, sein jüngerer Bruder Nikolai setzte erst nach langem Schwanken seine Eidesleistung für den 14. Dezember 1825 an. Und in diesem Augenblick schlug die Samtpfote der Dekabristen zu. Hätte sie wenigstens Krallen gehabt! Aber die Truppenführer waren mit den Nachbargarnisonen so gut wie nicht verständigt, die Gruppen Petersburg und Kiew kannten sich kaum dem Namen nach, vor allem aber: In der Schrecksekunde kniff der Wasserkopf der Verschwörung, Fürst Sergej Petrowitsch Trubetzkoj — es sollte ihm nichts nützen. In ganzen sechs Stunden war der Aufstand niedergeschlagen. Die Strafe war hart: Fünf Hinrichtungen, lebenslange oder terminierte Zwangsarbeit zumeist in primitivsten sibirischen Bergwerken mit und ohne Zwangsansiedlung oder bloße Verbannung auf Lebenszeit. Zwar milderte Zar Nikola j I., dessen Herz zwischen verletzter Eitelkeit und Achtung vor dem Mut der Aufständischen (oder ihrer Frauen?) schwankte, in den nächsten Jahren das Härteste, trotzdem waren bei der Generalamnestie des Zarennachfolgers Alexander II. 1856 nur noch 34 der Verbannten am Leben.

Aber nicht diesen in der Verbannung sehr, sehr verschiedenen „Helden“ gehört in dem Roman Alja Rachmanowas „Die Verbannten“ das Herz der Dichterin Alja Rach- manowa; vielleicht weniger, weil sie selbst eine Frau ist (hat sie doch immerhin ihren harten „Russischen Wiener Tagebüchern“ Romane über Männer, wie Tolstoj, Dostojewsky, Turgenjew, Puschkin und Tschechow folgen lassen), sondern weil sie völlig richtig den größeren Heroismus bei jenen elf Frauen sieht, die ihren Männern freiwillig in die Verbannung gefolgt sind und mit deren Männemot und Jammer auch den Verlust ihres eigenen Vermögens und Ranges auf sich genommen haben. Die Dichterin verschweigt nicht, daß daneben schon in Petersburg Bräute ihre Verhältnisse lösten und sichFrauen von den „Staatsverbrechern" scheiden ließen, sie unterdrückt auch nicht die ehebrecherischen Beziehungen der Fürstin Wolskonsky (mit der sanften Katascha Trubetzkaja übrigens die profilierteste, aber die dämonische Gestalt des Romans) zu Poggio. Dennoch aber läuten die Glocken von Tolstojs „Auferstehung“ über dieser tröstlichen, Stürme ankündigenden und Stürme besänftigenden Geschichte von Schuld und Sühne, deren einzelne Stationen in Transbaikalien und Burjatien mit ihren wundersamen Lichtern und Schatten am Himmel in Grün, Orange und Schwefelgelb, die es nur in diesem Land gibt, unverkennbar die Ortskenntnis der Dichterin (Irkutsk!) und ihres treuen Mitarbeiters Dr. Arnulf v. Hoyer verrät. Wieder künden mehr als 200 Literaturen in Deutsch und Russisch auf zwölf Druckseiten von Fleiß und dem eigenen „Dokumentarerzählungsstil“ der Dichterin, unter deren Händen das größte deutsche Kompendium des „russischen Jahrhunderts“ wächst. „Die Verbannten“ zählen zu einem der wichtigsten Kapitel dieser einzigartigen Chronik.

Ein eigentümlicher Zufall will es, daß eben auch der Übersetzer und Herausgeber des Diederichs-Verlages, Johannes Harder, unter dem Titel „Russische Frauen, Erzählungen aus dem alten und neuen Rußland“ den Frauen Rußlands neue vielfarbige, einander oft sich schlagende Nuancen der zaristischen und (überraschend wenig) revolutionären russischen Frauen zufügt: harte Gutsherrinnen und neue Studentinnen, geduldige Muschiks ' und steinalte, stocktaube Großmütterchen, die längst schon das Knistam im Gebälk hörten… Wer aber glaubt, daß dabei die großen vier, Tolstoj und Turgenjew, Tschechow und, Puschkin, den Vogel abschigßen, der irrt gewaltig. Erzählungen, wie „Christen“ von Leonid Andrejew und „Vater unser“ von Valentin Katjajew, sind, ohne mit ihnen durch dick und dünn zu gehen, Brocken, an denen wohlerzogene Christen (was ist denn das eigentlich: wohlerzogene Christen?) ein paar Monate würgen können.

Ein neuer Cronin?Das bedeutet („Geh auf den Markt“) für zehntausende Leser neben gehobener Unterhaltung immer neue Einblicke in die Heimat des Schriftstellers, der hier, unverkennbar selbsterlebt, mit einiger Bitterkeit von der Unduldsamkeit der dortigen Protestanten gegenüber der katholischen Einge- sprengtheit erzählt. Das Kind der Familie nützt die „Lehrjahre Wilhelm Meisters“ und wächst an der Seite einer kleinen Heiligen, nämlich der still duldenden Mutter und des leichtlebigen Vaters, nach dessen Tod an der Seite greulicher Ver wandten zum Arzt, etwas bitter gesprochen: hinein in den Markt…

„Mein Franz von Assisi“ ist nicht das beste Werk Nikolas Kazantzakis (1885 bis 1947), jenes seltsamen Kreters, zweifachen griechischen Ministers und Knickebockers, dessen drei größten Erzählungen knapp hintereinander in zwei Jahren (1952/53)

deutsch erschienen sind: „Alexis Sorbas“, „Die letzte Versuchung“ und die großartig verfilmte „Griechische Passion“. Sein „Franciscus“, kein mittelalterlicher Dulder, sondern ein moderner Kämpfer, hat trotzdem noch Längen, aber eine noch in der Übertragung duftende und blühende Sprache.

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