Freiheit zur Mitbestimmung

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Demokratie wär' eine prima Alternative. Aber dafür braucht es Teilhabe am Eigentum, meint der Schweizer Philosoph Urs Marti.

Der algerische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun machte vor der letzten Präsidentschaftswahl in den USA den Vorschlag, alle Erdenbürger sollten über den amerikanischen Präsidenten abstimmen, schließlich seien (fast) alle so oder so vom Ausgang der Wahl betroffen.

Wenn man Urs Marti folgt, dann ist das nicht nur eine lustige oder provokante Idee, sondern durchaus auch eine echte Problemanzeige. Denn die Krise der Demokratie liegt für Marti darin, dass immer mehr Menschen von Entscheidungen betroffen seien, über die sie nicht mehr (ausreichend) mitentscheiden können. Das gelte auf der Ebene der Nationalstaaten genauso wie im globalen Maßstab.

Diese Problemlage analysiert Marti - und das ist ein durchaus erhellender Schachzug - mit zwei Klassikern der Demokratietheorie, Jean-Jaques Rousseau und Alexis de Tocqueville. Beide kamen zu dem Ergebnis, dass Demokratie nur unter Bürgern gelingen könne, die auch in ökonomischer Hinsicht ähnlich gut gestellt seien. Große ökonomische Ungleichheiten führten dazu, dass die Bürger nicht mehr das Allgemeinwohl zur Grundlage ihrer Entscheidungen machten, sondern das eigene Interesse. Das ist insofern interessant, als dass weder der eine noch der andere Franzose unter dem Verdacht stehen, Anhänger sozialistischer Ideen gewesen zu sein. Marti vielleicht schon: In der Fluchtlinie von Karl Marx argumentiert er, dass es in der Demokratie nicht nur um die Verwirklichung von negativer Freiheit gehen solle - also der Freiheit von Anmaßungen der Mitbürger und des Staates -, sondern auch um positive Freiheiten, die es den Menschen ermöglichten, ihre angestrebten Ziele zu verfolgen - also die Freiheit zum Handeln und Mitbestimmen. Dafür brauche es nicht nur Freiheit von Hunger und Not, sondern auch eine Teilhabe am Eigentum der Gesellschaft.

Wie unzeitgemäß das ist, macht Marti am Beispiel der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen deutlich: Wenn Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und Infrastruktur vom Staat verkauft und privat betrieben werden, kann die Gemeinschaft nicht mehr einklagen, dass diese Dienste gemäß dem Allgemeinwohl organisiert werden, da die Privatbesitzer als Anbieter auf dem freien Markt agieren müssen. Die Bürger werden demzufolge zu Konsumenten und Steuerzahlern - und dem Gang zur Wahlurne alle paar Jahre messen immer mehr Bürger offensichtlich keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Wenn man auf die globale Ebene schaut, verschärft sich das Problem noch, da nationale Politik immer mehr von Entscheidungen internationaler Organisationen (oder mächtiger Staaten) abhängig ist, an deren demokratischer Legitimation die Betroffenen nicht mitwirken können.

Urs Martis Buch hat phasenweise den Charakter eines Lehrbuches: Er trägt mit großem Wissen zusammen, was in den letzten 15 Jahren zum Thema Demokratie gedacht wurde und reichert das Ganze mit vielen historischen Erinnerungen an. Er stellt - von Jean-Jaques Rousseau bis zu Jürgen Habermas - die theoretischen Ansätze ausführlich dar. Das ist ein Wert des Buches.

Aber darunter leidet ein wenig die luzide und sprachlich flüssige Argumentation für die eigene Position. Die ist gleichwohl deutlich erkennbar: Mit seiner Kritik an der gegenwärtigen Eigentumsordnung positioniert Marti sich deutlich links von der Sozialdemokratie. Das ist erfrischend, erweitert es doch den "Möglichkeitssinn" in diesen utopiearmen Zeiten. Dass er zu guter Letzt wie viele linke Theoretiker nur Problembewusstsein aber kaum Lösungen präsentiert, das kann man ihm im Prinzip nachsehen: Erst einmal muss das Denken die Richtung ändern. Aber etwas deutlicher hätte er schon werden können, wo erste Schritte in die richtige Richtung möglich sind. Wie kann die Wirtschaft so organisiert werden, dass die Arbeitenden Eigentum an den Produktionsmitteln erlangen? Auch bei der Diskussion um Demokratie auf Weltebene wäre es interessant gewesen, welcher Strategie Marti den Rücken stärkt: Einer De-Globalisierung, die auf die Entmachtung von WTO und anderen Trägern der gegenwärtigen Globalisierung zielt, oder einer Steuerung der Globalisierung durch Reform der supranationalen Institutionen. So entfährt dem Leser am Ende der Lektüre vielleicht der Seufzer "Allein, die Welt, sie ist nicht so." Das wäre schade, denn eigentlich will Marti den Bürger als politisches Lebewesen wiederbeleben.

Demokratie

Das uneingelöste Versprechen

Von Urs Marti

Rotpunkt Verlag Zürich 2006

256 Seiten, kart., e 20,40

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