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Anne Weber bekennt sich in "Gold im Mund" zu einer literarischen Gegenwelt.

Freiwillig begibt sich die Schriftstellerin Anne Weber während eines Arbeitsstipendiums in der Schweizer Stadt Biel in das Großraumbüro der Firma "Cendres & Metaux", in deutscher Übersetzung "Asche & Metalle". Im Französischen, so mutmaßt die Autorin, könnte der Name auch für den Titel eines Lyrikbandes durchgehen. In der Schweizer Wirklichkeit handelt es sich um ein Dentallabor. Und damit erklärt sich auch die reale Grundlage des Buchtitels "Gold im Mund", die aber dennoch nicht seinen poetischen Mehrwert schmälert.

In Fremdheit erzählen

Anne Weber nimmt täglich ihren Arbeitsplatz im Büro ein, beobachtet das Treiben rundherum, fühlt sich von den Angestellten eher belästigt, empfindet das Angesprochenwerden als Unterbrechung ihrer Arbeit und ist überhaupt nicht neugierig auf die Menschen, die in diesem Großraumbüro ihren Arbeitsalltag verbringen. Sie weiß um das gegenseitige Missverständnis zwischen Künstlern und Erwerbstätigen, aber sie hat ohnehin nicht vor, sich der Großrauminsassen zu bemächtigen und sie in ihr Buch zu pferchen, sie hat beschlossen, "keinen einzigen von ihnen in die Buchfalle zu zerren und in der Öffentlichkeit zu kompromittieren." Die Ich-Erzählerin nützt ihre Fremdheit, um in der Bürowelt nicht über diese zu erzählen, sondern über die ihr vertraute Arbeitswelt, über das Schreiben als Abschweifung, als das Nicht-Verwertbare. Ihr Text möchte ein Plädoyer für die Poesie inmitten einer Welt sein, in der sie nichts zu suchen hat. Dazu zählen philosophische Reflexionen über einen Schokoladehasen ebenso wie Überlegungen über das Ende des Kapitalismus.

Es mag durchaus befremden, dass sich eine Autorin in ein Büro begibt, um über die Poesie zu reflektieren. Auch mir erscheint diese Versuchsanordnung mehr eine Pose zu sein als wirklich erkenntnisfördernd. Umso mehr, als der zweite Text des Bandes, "Liebe Vögel", lange Jahre vor dem ersten entstanden, bereits eine furiose Abrechnung mit dem Büroleben darstellt. In einem vernichtenden Rundumschlag empört sich ein Individuum gegen die Ordnungen und Zwänge, die das Arbeitsleben zur Qual machen. Es ist ein "Brief aus dem Käfig, ein Abschiedsbrief an die Mitgefangenen, die weiter hinter Gittern ausharren müssen." Denn mit diesem Text beendete Anne Weber ihre Büroexistenz und kündigte ihrer Chefin. Und so verwundert es nicht, dass der Erzählerin auch in der Dentalfirma alle Mitarbeiter als Gefängnisinsassen erscheinen und es nur natürlich ist, dass das Sonnenlicht, das durch die Jalousien dringt, allen Angestellten Sträflingsuniformen anzieht.

Am Ende ihres Ausflugs in die heile Welt des Schweizer Großraumbüros glaubt sie die Stimme des Direktors zu hören, die nun doch laut wird: "Und wohin haben Sie das Gold, unser reines, unvorstellbar wertvolles Firmengold getragen?" Da ist man dann doch wieder trotz aller Vorbehalte gegen ihre Verallgemeinerungen auf der Seite von Anne Weber und ihrer poetischen Verwandlungsfähigkeit.

GOLD IM MUND

Von Anne Weber

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005

127 Seiten, geb., e 15,30

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